Tief unergründlichs Meer, ist alle Noth versencket. Jndem er sie nicht fühlt, und nicht daran gedencket; So ist sie würcklich nicht. Was man von Lethens Fluth Wol ehe fabulirt, das trifft hier gleichsam ein. Scheint ein Betrübter nicht, so bald er schläfft und ruht, Mit diesem holden Naß getränckt zu seyn? Wer Ehre, Gut und Blut, Haus, Weib und Kind muß missen, Wer elend, kranck und arm, im schwartzen Kercker steckt; Wen ein schon naher Tod mit grausem Blick erschreckt, Der ist gleich seiner Angst, so bald er schläfft, entrissen, Und wird man ihn mit Recht, so lang er schläfft, nicht können Gefangen, elend, arm und unglückseelig nennen.
Jndem ich dieses schreib' und ernstlich überdencke, Wie leicht ein Sterblicher von Angst und Jammer frey, Und aus dem Unglücks-Pfuhl heraus zu ziehen sey, Bloß durch den Schlaf allein, und daß, so lang' er währet, Sein Leid für ihm so gut als würcklich aufgehöret; So denck' ich: wie vielmehr wird durch des Schlafes Bruder, Ein hier Geängsteter, durch Jammer, Schmach und Pein, Von aller Noth befreyt, im Grabe ruhig seyn, Wenn er von allen dem, wodurch er auf der Erden, Mit Armuth, Frost und Pein, mit Jammer und Beschwerden, Auch wenn die Leidenschafft sein Jnnerstes durchwühlt, Auf einmahl frey gemacht, nicht das geringste fühlt. "Wie aber, fällst du mir vielleicht, mein Leser, ein: "Soll einem Schlafenden ein Todter ähnlich seyn, "Wo bleibt der Himmel denn? der Stand der seel' gen Seelen; "Soll bis zum jüngsten Tag er uns denn etwann fehlen?
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Tief unergruͤndlichs Meer, iſt alle Noth verſencket. Jndem er ſie nicht fuͤhlt, und nicht daran gedencket; So iſt ſie wuͤrcklich nicht. Was man von Lethens Fluth Wol ehe fabulirt, das trifft hier gleichſam ein. Scheint ein Betruͤbter nicht, ſo bald er ſchlaͤfft und ruht, Mit dieſem holden Naß getraͤnckt zu ſeyn? Wer Ehre, Gut und Blut, Haus, Weib und Kind muß miſſen, Wer elend, kranck und arm, im ſchwartzen Kercker ſteckt; Wen ein ſchon naher Tod mit grauſem Blick erſchreckt, Der iſt gleich ſeiner Angſt, ſo bald er ſchlaͤfft, entriſſen, Und wird man ihn mit Recht, ſo lang er ſchlaͤfft, nicht koͤnnen Gefangen, elend, arm und ungluͤckſeelig nennen.
Jndem ich dieſes ſchreib’ und ernſtlich uͤberdencke, Wie leicht ein Sterblicher von Angſt und Jammer frey, Und aus dem Ungluͤcks-Pfuhl heraus zu ziehen ſey, Bloß durch den Schlaf allein, und daß, ſo lang’ er waͤhret, Sein Leid fuͤr ihm ſo gut als wuͤrcklich aufgehoͤret; So denck’ ich: wie vielmehr wird durch des Schlafes Bruder, Ein hier Geaͤngſteter, durch Jammer, Schmach und Pein, Von aller Noth befreyt, im Grabe ruhig ſeyn, Wenn er von allen dem, wodurch er auf der Erden, Mit Armuth, Froſt und Pein, mit Jammer und Beſchwerden, Auch wenn die Leidenſchafft ſein Jnnerſtes durchwuͤhlt, Auf einmahl frey gemacht, nicht das geringſte fuͤhlt. „Wie aber, faͤllſt du mir vielleicht, mein Leſer, ein: „Soll einem Schlafenden ein Todter aͤhnlich ſeyn, „Wo bleibt der Himmel denn? der Stand der ſeel’ gen Seelen; „Soll bis zum juͤngſten Tag er uns denn etwann fehlen?
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Tief unergruͤndlichs Meer, iſt alle Noth verſencket.
Jndem er ſie nicht fuͤhlt, und nicht daran gedencket;
So iſt ſie wuͤrcklich nicht. Was man von Lethens Fluth
Wol ehe fabulirt, das trifft hier gleichſam ein.
Scheint ein Betruͤbter nicht, ſo bald er ſchlaͤfft und ruht,
Mit dieſem holden Naß getraͤnckt zu ſeyn?
Wer Ehre, Gut und Blut, Haus, Weib und Kind muß
miſſen,
Wer elend, kranck und arm, im ſchwartzen Kercker ſteckt;
Wen ein ſchon naher Tod mit grauſem Blick erſchreckt,
Der iſt gleich ſeiner Angſt, ſo bald er ſchlaͤfft, entriſſen,
Und wird man ihn mit Recht, ſo lang er ſchlaͤfft, nicht koͤnnen
Gefangen, elend, arm und ungluͤckſeelig nennen.
Jndem ich dieſes ſchreib’ und ernſtlich uͤberdencke,
Wie leicht ein Sterblicher von Angſt und Jammer frey,
Und aus dem Ungluͤcks-Pfuhl heraus zu ziehen ſey,
Bloß durch den Schlaf allein, und daß, ſo lang’ er waͤhret,
Sein Leid fuͤr ihm ſo gut als wuͤrcklich aufgehoͤret;
So denck’ ich: wie vielmehr wird durch des Schlafes Bruder,
Ein hier Geaͤngſteter, durch Jammer, Schmach und Pein,
Von aller Noth befreyt, im Grabe ruhig ſeyn,
Wenn er von allen dem, wodurch er auf der Erden,
Mit Armuth, Froſt und Pein, mit Jammer und Beſchwerden,
Auch wenn die Leidenſchafft ſein Jnnerſtes durchwuͤhlt,
Auf einmahl frey gemacht, nicht das geringſte fuͤhlt.
„Wie aber, faͤllſt du mir vielleicht, mein Leſer, ein:
„Soll einem Schlafenden ein Todter aͤhnlich ſeyn,
„Wo bleibt der Himmel denn? der Stand der ſeel’ gen
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„Soll bis zum juͤngſten Tag er uns denn etwann fehlen?
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/705>, abgerufen am 16.02.2025.
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