Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.Jch habe drauf die gantze Nacht Mit tausend Träumen zugebracht. Jtzt, da ich meinen Sinn auf das vergangne lencke, Und, was ich gestern sah, noch einmahl überdencke, Die Wunder der Natur, das Wunder-Werck der Kunst; Erhebet sich in mir ein trüber Schwermuths-Dunst, Benebelt mein Gehirn, wird der erstaunten Geister Jn einen Augenblick Tyrann und Ober-Meister: Ein kalter Schauder presst und ängstet Hertz und Sinn, Und meine Seele selbst empfand ein schüchtern Grauen, So viele Wunder-Werck im Staub und Graus zu schauen. Welch ein fataler Fall, welch schreckliches Exempel! Der köstlich-prächtige Sophien-Tempel, Ein Wunder-Werck der neuen Zeit, An Heiligkeit, an Pracht, an Kunst und Kostbarkeit, Jst Mahometh geweyht. Von Türckschen Seuffzern dampfft und dünstet der Altar, Der ehemahls den Christen heilig war. Erschrecklich-strenge Macht der Räuberischen Zeit! Was lässet uns dein Grimm für wilde Proben sehen! Von welcher grausen Kostbarkeit Sind deine gräßliche Tropheen! Sie hauchen würcklich noch aus Schutt und Graus So Majestät als Ehrfurcht aus. Von ihrem Uber-Rest prägt ein bemoster Stein Zugleich Erstaunen, Gram, Verwund'rung, Mitleid, ein. Ja eine Lehre selbst find' ich daran geschrieben, Die auch im Schutt und Graus selbst unversehrt geblieben, Ja die so gar in ihrem Sturtz und Fall Recht ausgedrückt, und überall Erst deutlich vorgestellt, Die
Jch habe drauf die gantze Nacht Mit tauſend Traͤumen zugebracht. Jtzt, da ich meinen Sinn auf das vergangne lencke, Und, was ich geſtern ſah, noch einmahl uͤberdencke, Die Wunder der Natur, das Wunder-Werck der Kunſt; Erhebet ſich in mir ein truͤber Schwermuths-Dunſt, Benebelt mein Gehirn, wird der erſtaunten Geiſter Jn einen Augenblick Tyrann und Ober-Meiſter: Ein kalter Schauder preſſt und aͤngſtet Hertz und Sinn, Und meine Seele ſelbſt empfand ein ſchuͤchtern Grauen, So viele Wunder-Werck im Staub und Graus zu ſchauen. Welch ein fataler Fall, welch ſchreckliches Exempel! Der koͤſtlich-praͤchtige Sophien-Tempel, Ein Wunder-Werck der neuen Zeit, An Heiligkeit, an Pracht, an Kunſt und Koſtbarkeit, Jſt Mahometh geweyht. Von Tuͤrckſchen Seuffzern dampfft und duͤnſtet der Altar, Der ehemahls den Chriſten heilig war. Erſchrecklich-ſtrenge Macht der Raͤuberiſchen Zeit! Was laͤſſet uns dein Grimm fuͤr wilde Proben ſehen! Von welcher grauſen Koſtbarkeit Sind deine graͤßliche Tropheen! Sie hauchen wuͤrcklich noch aus Schutt und Graus So Majeſtaͤt als Ehrfurcht aus. Von ihrem Uber-Reſt praͤgt ein bemoſter Stein Zugleich Erſtaunen, Gram, Verwund’rung, Mitleid, ein. Ja eine Lehre ſelbſt find’ ich daran geſchrieben, Die auch im Schutt und Graus ſelbſt unverſehrt geblieben, Ja die ſo gar in ihrem Sturtz und Fall Recht ausgedruͤckt, und uͤberall Erſt deutlich vorgeſtellt, Die
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0730" n="700"/> <lg type="poem"> <l>Jch habe drauf die gantze Nacht</l><lb/> <l>Mit tauſend Traͤumen zugebracht.</l><lb/> <l>Jtzt, da ich meinen Sinn auf das vergangne lencke,</l><lb/> <l>Und, was ich geſtern ſah, noch einmahl uͤberdencke,</l><lb/> <l>Die Wunder der Natur, das Wunder-Werck der Kunſt;</l><lb/> <l>Erhebet ſich in mir ein truͤber Schwermuths-Dunſt,</l><lb/> <l>Benebelt mein Gehirn, wird der erſtaunten Geiſter</l><lb/> <l>Jn einen Augenblick Tyrann und Ober-Meiſter:</l><lb/> <l>Ein kalter Schauder preſſt und aͤngſtet Hertz und Sinn,</l><lb/> <l>Und meine Seele ſelbſt empfand ein ſchuͤchtern Grauen,</l><lb/> <l>So viele Wunder-Werck im Staub und Graus zu ſchauen.</l> </lg><lb/> <lg type="poem"> <l>Welch ein fataler Fall, welch ſchreckliches Exempel!</l><lb/> <l>Der koͤſtlich-praͤchtige Sophien-Tempel,</l><lb/> <l>Ein Wunder-Werck der neuen Zeit,</l><lb/> <l>An Heiligkeit, an Pracht, an Kunſt und Koſtbarkeit,</l><lb/> <l>Jſt Mahometh geweyht.</l><lb/> <l>Von Tuͤrckſchen Seuffzern dampfft und duͤnſtet der Altar,</l><lb/> <l>Der ehemahls den Chriſten heilig war.</l><lb/> <l>Erſchrecklich-ſtrenge Macht der Raͤuberiſchen Zeit!</l><lb/> <l>Was laͤſſet uns dein Grimm fuͤr wilde Proben ſehen!</l><lb/> <l>Von welcher grauſen Koſtbarkeit</l><lb/> <l>Sind deine graͤßliche Tropheen!</l><lb/> <l>Sie hauchen wuͤrcklich noch aus Schutt und Graus</l><lb/> <l>So Majeſtaͤt als Ehrfurcht aus.</l><lb/> <l>Von ihrem Uber-Reſt praͤgt ein bemoſter Stein</l><lb/> <l>Zugleich Erſtaunen, Gram, Verwund’rung, Mitleid, ein.</l><lb/> <l>Ja eine Lehre ſelbſt find’ ich daran geſchrieben,</l><lb/> <l>Die auch im Schutt und Graus ſelbſt unverſehrt geblieben,</l><lb/> <l>Ja die ſo gar in ihrem Sturtz und Fall</l><lb/> <l>Recht ausgedruͤckt, und uͤberall</l><lb/> <l>Erſt deutlich vorgeſtellt,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [700/0730]
Jch habe drauf die gantze Nacht
Mit tauſend Traͤumen zugebracht.
Jtzt, da ich meinen Sinn auf das vergangne lencke,
Und, was ich geſtern ſah, noch einmahl uͤberdencke,
Die Wunder der Natur, das Wunder-Werck der Kunſt;
Erhebet ſich in mir ein truͤber Schwermuths-Dunſt,
Benebelt mein Gehirn, wird der erſtaunten Geiſter
Jn einen Augenblick Tyrann und Ober-Meiſter:
Ein kalter Schauder preſſt und aͤngſtet Hertz und Sinn,
Und meine Seele ſelbſt empfand ein ſchuͤchtern Grauen,
So viele Wunder-Werck im Staub und Graus zu ſchauen.
Welch ein fataler Fall, welch ſchreckliches Exempel!
Der koͤſtlich-praͤchtige Sophien-Tempel,
Ein Wunder-Werck der neuen Zeit,
An Heiligkeit, an Pracht, an Kunſt und Koſtbarkeit,
Jſt Mahometh geweyht.
Von Tuͤrckſchen Seuffzern dampfft und duͤnſtet der Altar,
Der ehemahls den Chriſten heilig war.
Erſchrecklich-ſtrenge Macht der Raͤuberiſchen Zeit!
Was laͤſſet uns dein Grimm fuͤr wilde Proben ſehen!
Von welcher grauſen Koſtbarkeit
Sind deine graͤßliche Tropheen!
Sie hauchen wuͤrcklich noch aus Schutt und Graus
So Majeſtaͤt als Ehrfurcht aus.
Von ihrem Uber-Reſt praͤgt ein bemoſter Stein
Zugleich Erſtaunen, Gram, Verwund’rung, Mitleid, ein.
Ja eine Lehre ſelbſt find’ ich daran geſchrieben,
Die auch im Schutt und Graus ſelbſt unverſehrt geblieben,
Ja die ſo gar in ihrem Sturtz und Fall
Recht ausgedruͤckt, und uͤberall
Erſt deutlich vorgeſtellt,
Die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |