Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite
Neu-Jahrs Gedichte.
Wie der Willen ein Vermögen, die Gedancken zu regieren,
Neue Sachen zu beginnen, solche weiter auszuführen,
Oder es auch einzustellen, in so fern sie bey uns stehn;
So hingegen
Jst die Freyheit ein Vermögen
Was zu thun, was nicht zu thun, wie es unser Geist kann
fassen,

Ob es besser sey zu thun, oder es zu unterlassen?
Also scheinet in der That, daß die Seel, in jeder Sache,
So wie sie das Urtheil fället, unsern Willen rege mache.
Jst der Geist nun selber frey, so daß keine Leidenschaft,
Keine Noth, kein Vorurtheil, keiner wilden Hitze Kraft
Jhm sein helles Licht benebelt; wehlt und will er das was
gut:

Uebereilet ihn hingegen der Begierden Heftigkeit,
Drückt ihn Furcht, betrübte Schwermuth, Grimm, Ver-
achtung, Haß und Neid,

Stockt durch cörperliche Schwachheit, oder wallt sein feu-
rig Blut

Von Begierde, Brunst und Liebe; scheints daß er, so we-
nig frey

Zum vernünftigen Erwegen, als der Will zum Wollen sey.
Bey den Kräften der Begierden, bey der Leidenschaften
brennen,

Wird man den Verstand am besten einem Mann verglei-
chen können,

Welcher bey entstandnem Feuer oben auf des Giebels
Spitze

Den gefährlich wilden Brand, durch das Zuthun einer
Spritze,

Voller Muth zu dämpffen sucht; welches ihm zuweilen
glückt,

Daß er die entstandne Flamme dämpfet, löscht und un-
terdrückt;
Aber
Neu-Jahrs Gedichte.
Wie der Willen ein Vermoͤgen, die Gedancken zu regieren,
Neue Sachen zu beginnen, ſolche weiter auszufuͤhren,
Oder es auch einzuſtellen, in ſo fern ſie bey uns ſtehn;
So hingegen
Jſt die Freyheit ein Vermoͤgen
Was zu thun, was nicht zu thun, wie es unſer Geiſt kann
faſſen,

Ob es beſſer ſey zu thun, oder es zu unterlaſſen?
Alſo ſcheinet in der That, daß die Seel, in jeder Sache,
So wie ſie das Urtheil faͤllet, unſern Willen rege mache.
Jſt der Geiſt nun ſelber frey, ſo daß keine Leidenſchaft,
Keine Noth, kein Vorurtheil, keiner wilden Hitze Kraft
Jhm ſein helles Licht benebelt; wehlt und will er das was
gut:

Uebereilet ihn hingegen der Begierden Heftigkeit,
Druͤckt ihn Furcht, betruͤbte Schwermuth, Grimm, Ver-
achtung, Haß und Neid,

Stockt durch coͤrperliche Schwachheit, oder wallt ſein feu-
rig Blut

Von Begierde, Brunſt und Liebe; ſcheints daß er, ſo we-
nig frey

Zum vernuͤnftigen Erwegen, als der Will zum Wollen ſey.
Bey den Kraͤften der Begierden, bey der Leidenſchaften
brennen,

Wird man den Verſtand am beſten einem Mann verglei-
chen koͤnnen,

Welcher bey entſtandnem Feuer oben auf des Giebels
Spitze

Den gefaͤhrlich wilden Brand, durch das Zuthun einer
Spritze,

Voller Muth zu daͤmpffen ſucht; welches ihm zuweilen
gluͤckt,

Daß er die entſtandne Flamme daͤmpfet, loͤſcht und un-
terdruͤckt;
Aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0516" n="500"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neu-Jahrs Gedichte.</hi> </fw><lb/>
          <lg n="185">
            <l>Wie der Willen ein Vermo&#x0364;gen, die Gedancken zu regieren,</l><lb/>
            <l>Neue Sachen zu beginnen, &#x017F;olche weiter auszufu&#x0364;hren,</l><lb/>
            <l>Oder es auch einzu&#x017F;tellen, in &#x017F;o fern &#x017F;ie bey uns &#x017F;tehn;</l><lb/>
            <l>So hingegen</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t die Freyheit ein Vermo&#x0364;gen</l><lb/>
            <l>Was zu thun, was nicht zu thun, wie es un&#x017F;er Gei&#x017F;t kann<lb/><hi rendition="#et">fa&#x017F;&#x017F;en,</hi></l><lb/>
            <l>Ob es be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ey zu thun, oder es zu unterla&#x017F;&#x017F;en?</l><lb/>
            <l>Al&#x017F;o &#x017F;cheinet in der That, daß die Seel, in jeder Sache,</l><lb/>
            <l>So wie &#x017F;ie das Urtheil fa&#x0364;llet, un&#x017F;ern Willen rege mache.</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t der Gei&#x017F;t nun &#x017F;elber frey, &#x017F;o daß keine Leiden&#x017F;chaft,</l><lb/>
            <l>Keine Noth, kein Vorurtheil, keiner wilden Hitze Kraft</l><lb/>
            <l>Jhm &#x017F;ein helles Licht benebelt; wehlt und will er das was<lb/><hi rendition="#et">gut:</hi></l><lb/>
            <l>Uebereilet ihn hingegen der Begierden Heftigkeit,</l><lb/>
            <l>Dru&#x0364;ckt ihn Furcht, betru&#x0364;bte Schwermuth, Grimm, Ver-<lb/><hi rendition="#et">achtung, Haß und Neid,</hi></l><lb/>
            <l>Stockt durch co&#x0364;rperliche Schwachheit, oder wallt &#x017F;ein feu-<lb/><hi rendition="#et">rig Blut</hi></l><lb/>
            <l>Von Begierde, Brun&#x017F;t und Liebe; &#x017F;cheints daß er, &#x017F;o we-<lb/><hi rendition="#et">nig frey</hi></l><lb/>
            <l>Zum vernu&#x0364;nftigen Erwegen, als der Will zum Wollen &#x017F;ey.</l><lb/>
            <l>Bey den Kra&#x0364;ften der Begierden, bey der Leiden&#x017F;chaften<lb/><hi rendition="#et">brennen,</hi></l><lb/>
            <l>Wird man den Ver&#x017F;tand am be&#x017F;ten einem Mann verglei-<lb/><hi rendition="#et">chen ko&#x0364;nnen,</hi></l><lb/>
            <l>Welcher bey ent&#x017F;tandnem Feuer oben auf des Giebels<lb/><hi rendition="#et">Spitze</hi></l><lb/>
            <l>Den gefa&#x0364;hrlich wilden Brand, durch das Zuthun einer<lb/><hi rendition="#et">Spritze,</hi></l><lb/>
            <l>Voller Muth zu da&#x0364;mpffen &#x017F;ucht; welches ihm zuweilen<lb/><hi rendition="#et">glu&#x0364;ckt,</hi></l><lb/>
            <l>Daß er die ent&#x017F;tandne Flamme da&#x0364;mpfet, lo&#x0364;&#x017F;cht und un-<lb/><hi rendition="#et">terdru&#x0364;ckt;</hi></l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Aber</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[500/0516] Neu-Jahrs Gedichte. Wie der Willen ein Vermoͤgen, die Gedancken zu regieren, Neue Sachen zu beginnen, ſolche weiter auszufuͤhren, Oder es auch einzuſtellen, in ſo fern ſie bey uns ſtehn; So hingegen Jſt die Freyheit ein Vermoͤgen Was zu thun, was nicht zu thun, wie es unſer Geiſt kann faſſen, Ob es beſſer ſey zu thun, oder es zu unterlaſſen? Alſo ſcheinet in der That, daß die Seel, in jeder Sache, So wie ſie das Urtheil faͤllet, unſern Willen rege mache. Jſt der Geiſt nun ſelber frey, ſo daß keine Leidenſchaft, Keine Noth, kein Vorurtheil, keiner wilden Hitze Kraft Jhm ſein helles Licht benebelt; wehlt und will er das was gut: Uebereilet ihn hingegen der Begierden Heftigkeit, Druͤckt ihn Furcht, betruͤbte Schwermuth, Grimm, Ver- achtung, Haß und Neid, Stockt durch coͤrperliche Schwachheit, oder wallt ſein feu- rig Blut Von Begierde, Brunſt und Liebe; ſcheints daß er, ſo we- nig frey Zum vernuͤnftigen Erwegen, als der Will zum Wollen ſey. Bey den Kraͤften der Begierden, bey der Leidenſchaften brennen, Wird man den Verſtand am beſten einem Mann verglei- chen koͤnnen, Welcher bey entſtandnem Feuer oben auf des Giebels Spitze Den gefaͤhrlich wilden Brand, durch das Zuthun einer Spritze, Voller Muth zu daͤmpffen ſucht; welches ihm zuweilen gluͤckt, Daß er die entſtandne Flamme daͤmpfet, loͤſcht und un- terdruͤckt; Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/516
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/516>, abgerufen am 23.11.2024.