Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Mücke.
Die Mücke.
Jch fühlte mich, am linken Bein, von einer Mücken jüngst
gestochen,

Und zwar so spitzig, daß michs schmerzte. Der Stich ward durch
den Tod gerochen:

Doch dacht ich bey dem Zufall weiter: Wie weit ist dieß von
meiner Stirn,

Und dem daselbst vorhandenen, allein nur fühlenden Gehirn,
Dem Sitz der Seelen, die nur fühlet! wie muß die Nerve doch
so klein,

So zart, so fein,
Und doch von solcher Länge seyn,
Daß sie bis ans Gehirn sich strecket,
So kleinen Stich der Seel entdecket,
Der in die äussre Haut kaum dringet,
Und sie gleich in Bewegung bringet.


Dieß scheint seltsam, doch begreiflich. Da der Geist den Leib
regiert:

Muß er ihn auch ganz erfüllen; und daher begreifet man,
Wie er allenthalben fühlet, allenthalben folglich spüret,
Was ihm wohlthut, was ihn schmerzt, wenns gleich nur die
Haut berühret.
Aber hieraus scheinet ferner, daß man deutlich spüren kann,
Wo der Seelen Gränzen sind. Weiter als die äußre Haut,
Die man epidermis nennt, wird von aller ihrer Kraft,
Jhrer Wirkung, Sinnlichkeit, Ueberlegen, Eigenschaft,
Nichts
Die Muͤcke.
Die Muͤcke.
Jch fuͤhlte mich, am linken Bein, von einer Muͤcken juͤngſt
geſtochen,

Und zwar ſo ſpitzig, daß michs ſchmerzte. Der Stich ward durch
den Tod gerochen:

Doch dacht ich bey dem Zufall weiter: Wie weit iſt dieß von
meiner Stirn,

Und dem daſelbſt vorhandenen, allein nur fuͤhlenden Gehirn,
Dem Sitz der Seelen, die nur fuͤhlet! wie muß die Nerve doch
ſo klein,

So zart, ſo fein,
Und doch von ſolcher Laͤnge ſeyn,
Daß ſie bis ans Gehirn ſich ſtrecket,
So kleinen Stich der Seel entdecket,
Der in die aͤuſſre Haut kaum dringet,
Und ſie gleich in Bewegung bringet.


Dieß ſcheint ſeltſam, doch begreiflich. Da der Geiſt den Leib
regiert:

Muß er ihn auch ganz erfuͤllen; und daher begreifet man,
Wie er allenthalben fuͤhlet, allenthalben folglich ſpuͤret,
Was ihm wohlthut, was ihn ſchmerzt, wenns gleich nur die
Haut beruͤhret.
Aber hieraus ſcheinet ferner, daß man deutlich ſpuͤren kann,
Wo der Seelen Graͤnzen ſind. Weiter als die aͤußre Haut,
Die man epidermis nennt, wird von aller ihrer Kraft,
Jhrer Wirkung, Sinnlichkeit, Ueberlegen, Eigenſchaft,
Nichts
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0154" n="130"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Mu&#x0364;cke.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Die Mu&#x0364;cke.</hi> </head><lb/>
          <lg n="1">
            <l><hi rendition="#in">J</hi>ch fu&#x0364;hlte mich, am linken Bein, von einer Mu&#x0364;cken ju&#x0364;ng&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;tochen,</hi></l><lb/>
            <l>Und zwar &#x017F;o &#x017F;pitzig, daß michs &#x017F;chmerzte. Der Stich ward durch<lb/><hi rendition="#et">den Tod gerochen:</hi></l><lb/>
            <l>Doch dacht ich bey dem Zufall weiter: Wie weit i&#x017F;t dieß von<lb/><hi rendition="#et">meiner Stirn,</hi></l><lb/>
            <l>Und dem da&#x017F;elb&#x017F;t vorhandenen, allein nur fu&#x0364;hlenden Gehirn,</l><lb/>
            <l>Dem Sitz der Seelen, die nur fu&#x0364;hlet! wie muß die Nerve doch<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;o klein,</hi></l><lb/>
            <l>So zart, &#x017F;o fein,</l><lb/>
            <l>Und doch von &#x017F;olcher La&#x0364;nge &#x017F;eyn,</l><lb/>
            <l>Daß &#x017F;ie bis ans Gehirn &#x017F;ich &#x017F;trecket,</l><lb/>
            <l>So kleinen Stich der Seel entdecket,</l><lb/>
            <l>Der in die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;re Haut kaum dringet,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ie gleich in Bewegung bringet.</l>
          </lg><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <lg n="2">
            <l>Dieß &#x017F;cheint &#x017F;elt&#x017F;am, doch begreiflich. Da der Gei&#x017F;t den Leib<lb/><hi rendition="#et">regiert:</hi></l><lb/>
            <l>Muß er ihn auch ganz erfu&#x0364;llen; und daher begreifet man,</l><lb/>
            <l>Wie er allenthalben fu&#x0364;hlet, allenthalben folglich &#x017F;pu&#x0364;ret,</l><lb/>
            <l>Was ihm wohlthut, was ihn &#x017F;chmerzt, wenns gleich nur die<lb/><hi rendition="#et">Haut beru&#x0364;hret.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>Aber hieraus &#x017F;cheinet ferner, daß man deutlich &#x017F;pu&#x0364;ren kann,</l><lb/>
            <l>Wo der Seelen Gra&#x0364;nzen &#x017F;ind. Weiter als die a&#x0364;ußre Haut,</l><lb/>
            <l>Die man <hi rendition="#aq">epidermis</hi> nennt, wird von aller ihrer Kraft,</l><lb/>
            <l>Jhrer Wirkung, Sinnlichkeit, Ueberlegen, Eigen&#x017F;chaft,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Nichts</fw><lb/></l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0154] Die Muͤcke. Die Muͤcke. Jch fuͤhlte mich, am linken Bein, von einer Muͤcken juͤngſt geſtochen, Und zwar ſo ſpitzig, daß michs ſchmerzte. Der Stich ward durch den Tod gerochen: Doch dacht ich bey dem Zufall weiter: Wie weit iſt dieß von meiner Stirn, Und dem daſelbſt vorhandenen, allein nur fuͤhlenden Gehirn, Dem Sitz der Seelen, die nur fuͤhlet! wie muß die Nerve doch ſo klein, So zart, ſo fein, Und doch von ſolcher Laͤnge ſeyn, Daß ſie bis ans Gehirn ſich ſtrecket, So kleinen Stich der Seel entdecket, Der in die aͤuſſre Haut kaum dringet, Und ſie gleich in Bewegung bringet. Dieß ſcheint ſeltſam, doch begreiflich. Da der Geiſt den Leib regiert: Muß er ihn auch ganz erfuͤllen; und daher begreifet man, Wie er allenthalben fuͤhlet, allenthalben folglich ſpuͤret, Was ihm wohlthut, was ihn ſchmerzt, wenns gleich nur die Haut beruͤhret. Aber hieraus ſcheinet ferner, daß man deutlich ſpuͤren kann, Wo der Seelen Graͤnzen ſind. Weiter als die aͤußre Haut, Die man epidermis nennt, wird von aller ihrer Kraft, Jhrer Wirkung, Sinnlichkeit, Ueberlegen, Eigenſchaft, Nichts

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/154
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/154>, abgerufen am 21.11.2024.