Jhr könnet jetzt, in hellen Chören, Die bunten Vögel singen hören. Jhr sehet jetzt die gelben Aehren, So angenehm als ungemein, Bey sanfter Kühlung, lieblich wallen. Jhr seht, in fliessenden Krystallen, Des grünen Ufers Wiederschein; Wie? wollt ihr euch denn nicht erfreuen, Und Preis und Lob und Dank erneuen? Warum wollt ihr es nicht geniessen? Und lasset diesen Tag verfliessen, Als wie den gestrigen? Warüm Vernehmt ihr nicht die Süßigkeiten, Der schönen Creaturen Stimm? Die euch in diesen schönen Zeiten, Durch jeden Sinn, in vielen Chören Euch reizt, den Schöpfer zu verehren? Jhr seht unachtsam vor euch nieder; Man sieht an Minen und Gesicht, Daß etwas euch ergetzet, nicht. Man hört nicht Dank-nicht Lobes-Lieder. Wie schnell verfliegt die schnelle Zeit! Wollt ihr mit eurer Lust denn warten, Bis Wiesen, Feld, und Wald, und Garten Entlaubt, verwelket und beschneit? Um dann zu wünschen, was ihr itzt, Ohn daß ihr es erkennt, besitzt? Damit, wenn ihr es wiederkrieget, Mit einem ungerührten Sinn, Jhr euch so wenig, wie vorhin, An aller Herrlichkeit vergnüget?
Das
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Wankelmuth der Menſchen.
Jhr koͤnnet jetzt, in hellen Choͤren, Die bunten Voͤgel ſingen hoͤren. Jhr ſehet jetzt die gelben Aehren, So angenehm als ungemein, Bey ſanfter Kuͤhlung, lieblich wallen. Jhr ſeht, in flieſſenden Kryſtallen, Des gruͤnen Ufers Wiederſchein; Wie? wollt ihr euch denn nicht erfreuen, Und Preis und Lob und Dank erneuen? Warum wollt ihr es nicht genieſſen? Und laſſet dieſen Tag verflieſſen, Als wie den geſtrigen? Waruͤm Vernehmt ihr nicht die Suͤßigkeiten, Der ſchoͤnen Creaturen Stimm? Die euch in dieſen ſchoͤnen Zeiten, Durch jeden Sinn, in vielen Choͤren Euch reizt, den Schoͤpfer zu verehren? Jhr ſeht unachtſam vor euch nieder; Man ſieht an Minen und Geſicht, Daß etwas euch ergetzet, nicht. Man hoͤrt nicht Dank-nicht Lobes-Lieder. Wie ſchnell verfliegt die ſchnelle Zeit! Wollt ihr mit eurer Luſt denn warten, Bis Wieſen, Feld, und Wald, und Garten Entlaubt, verwelket und beſchneit? Um dann zu wuͤnſchen, was ihr itzt, Ohn daß ihr es erkennt, beſitzt? Damit, wenn ihr es wiederkrieget, Mit einem ungeruͤhrten Sinn, Jhr euch ſo wenig, wie vorhin, An aller Herrlichkeit vergnuͤget?
Das
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Wankelmuth der Menſchen.
Jhr koͤnnet jetzt, in hellen Choͤren,
Die bunten Voͤgel ſingen hoͤren.
Jhr ſehet jetzt die gelben Aehren,
So angenehm als ungemein,
Bey ſanfter Kuͤhlung, lieblich wallen.
Jhr ſeht, in flieſſenden Kryſtallen,
Des gruͤnen Ufers Wiederſchein;
Wie? wollt ihr euch denn nicht erfreuen,
Und Preis und Lob und Dank erneuen?
Warum wollt ihr es nicht genieſſen?
Und laſſet dieſen Tag verflieſſen,
Als wie den geſtrigen? Waruͤm
Vernehmt ihr nicht die Suͤßigkeiten,
Der ſchoͤnen Creaturen Stimm?
Die euch in dieſen ſchoͤnen Zeiten,
Durch jeden Sinn, in vielen Choͤren
Euch reizt, den Schoͤpfer zu verehren?
Jhr ſeht unachtſam vor euch nieder;
Man ſieht an Minen und Geſicht,
Daß etwas euch ergetzet, nicht.
Man hoͤrt nicht Dank-nicht Lobes-Lieder.
Wie ſchnell verfliegt die ſchnelle Zeit!
Wollt ihr mit eurer Luſt denn warten,
Bis Wieſen, Feld, und Wald, und Garten
Entlaubt, verwelket und beſchneit?
Um dann zu wuͤnſchen, was ihr itzt,
Ohn daß ihr es erkennt, beſitzt?
Damit, wenn ihr es wiederkrieget,
Mit einem ungeruͤhrten Sinn,
Jhr euch ſo wenig, wie vorhin,
An aller Herrlichkeit vergnuͤget?
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/283>, abgerufen am 22.11.2024.
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