Was wollte man doch sonst zu diesem Einwurf sagen, Der jedem schwer zu fassen fällt, Der sich den Zustand dieser Welt Vor seiner Seelen Augen stellt.
"Wie kann doch Gott, der Herr, der so gerecht, ertragen, "Daß auf dem ganzen Kreis der Erden "So wenig Redliche gefunden werden? "Wie kann er doch, die ewge Liebe, leiden, "Daß nicht allein "Viel Millionen Heiden, "Und Millionen Türken, mehr, "Als Christen sind, auch seit viel tausend Jahren "Beständig mehr gewesen seyn, "Ja, allem Ansehn nach, noch lange bleiben werden; "Nein, daß, auch selber unter Christen, "Jndem sie nicht allein so ärgerlich sich zwisten, "Auch fast in jeder Sect die meisten gottlos seyn, "Der guten Christen Zahl viel tausendmal so klein, "Als klein die Christenheit, bey allen Nationen, "Die dort, sowohl in Asia, "Als Africa, zusamt America, "Jn ungezählten Schaaren, wohnen?
"Wie könnt er doch die Bosheits-vollen Schulden "So vieler Teufels-Diener dulden? "Die, selbst den Teufel anzubethen, "Mit Menschenblut beschmitzt, vor sein Altar zu treten, "Und Menschen ihm zu opfern, sich nicht scheuen; "Daß andere * die Menschheit so vergessen, "Und selbst ihr' eigen' erstgebohrne Kinder fressen.
Daß
* Giagas, hinter Congo, in Africa.
Zweifelmuth.
Was wollte man doch ſonſt zu dieſem Einwurf ſagen, Der jedem ſchwer zu faſſen faͤllt, Der ſich den Zuſtand dieſer Welt Vor ſeiner Seelen Augen ſtellt.
„Wie kann doch Gott, der Herr, der ſo gerecht, ertragen, „Daß auf dem ganzen Kreis der Erden „So wenig Redliche gefunden werden? „Wie kann er doch, die ewge Liebe, leiden, „Daß nicht allein „Viel Millionen Heiden, „Und Millionen Tuͤrken, mehr, „Als Chriſten ſind, auch ſeit viel tauſend Jahren „Beſtaͤndig mehr geweſen ſeyn, „Ja, allem Anſehn nach, noch lange bleiben werden; „Nein, daß, auch ſelber unter Chriſten, „Jndem ſie nicht allein ſo aͤrgerlich ſich zwiſten, „Auch faſt in jeder Sect die meiſten gottlos ſeyn, „Der guten Chriſten Zahl viel tauſendmal ſo klein, „Als klein die Chriſtenheit, bey allen Nationen, „Die dort, ſowohl in Aſia, „Als Africa, zuſamt America, „Jn ungezaͤhlten Schaaren, wohnen?
„Wie koͤnnt er doch die Bosheits-vollen Schulden „So vieler Teufels-Diener dulden? „Die, ſelbſt den Teufel anzubethen, „Mit Menſchenblut beſchmitzt, vor ſein Altar zu treten, „Und Menſchen ihm zu opfern, ſich nicht ſcheuen; „Daß andere * die Menſchheit ſo vergeſſen, „Und ſelbſt ihr’ eigen’ erſtgebohrne Kinder freſſen.
Daß
* Giagas, hinter Congo, in Africa.
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Zweifelmuth.
Was wollte man doch ſonſt zu dieſem Einwurf ſagen,
Der jedem ſchwer zu faſſen faͤllt,
Der ſich den Zuſtand dieſer Welt
Vor ſeiner Seelen Augen ſtellt.
„Wie kann doch Gott, der Herr, der ſo gerecht, ertragen,
„Daß auf dem ganzen Kreis der Erden
„So wenig Redliche gefunden werden?
„Wie kann er doch, die ewge Liebe, leiden,
„Daß nicht allein
„Viel Millionen Heiden,
„Und Millionen Tuͤrken, mehr,
„Als Chriſten ſind, auch ſeit viel tauſend Jahren
„Beſtaͤndig mehr geweſen ſeyn,
„Ja, allem Anſehn nach, noch lange bleiben werden;
„Nein, daß, auch ſelber unter Chriſten,
„Jndem ſie nicht allein ſo aͤrgerlich ſich zwiſten,
„Auch faſt in jeder Sect die meiſten gottlos ſeyn,
„Der guten Chriſten Zahl viel tauſendmal ſo klein,
„Als klein die Chriſtenheit, bey allen Nationen,
„Die dort, ſowohl in Aſia,
„Als Africa, zuſamt America,
„Jn ungezaͤhlten Schaaren, wohnen?
„Wie koͤnnt er doch die Bosheits-vollen Schulden
„So vieler Teufels-Diener dulden?
„Die, ſelbſt den Teufel anzubethen,
„Mit Menſchenblut beſchmitzt, vor ſein Altar zu treten,
„Und Menſchen ihm zu opfern, ſich nicht ſcheuen;
„Daß andere * die Menſchheit ſo vergeſſen,
„Und ſelbſt ihr’ eigen’ erſtgebohrne Kinder freſſen.
Daß
* Giagas, hinter Congo, in Africa.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/421>, abgerufen am 22.11.2024.
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