Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Werkstatt der Seelen.
Kann man nun etwas, wenn man träumet, und mit geschloß-
nen Augen, sehn;
Warum sollt es, mit offnen Augen, und wachend, denn nicht auch
geschehn?

Auf! laßt uns dann, was sonst nicht sichtbar, als sichtbar, uns
vor Augen legen.

Zu Anfang zeiget sich in mir, was um und ausser mir
zugegen.

Wenn ich in einem Zimmer bin, seh ich ein Zimmerchen, im
Kleinen,

Das überall dem großen ähnlich, im Schauplatz des Gehirns,
erscheinen.

Wär eine Landschaft noch so groß, so wird sie unbegreiflich
klein,

Und senkt, mit Farben und Figur, durchs Auge, sich ins Hirn hinein.
Die uns in selbigen entdeckte so wunderbar formirte Klein-
heit,

Scheint, ob mans gleich nicht deutlich faßt, doch mit dem
Geist zu einer Einheit,

Auf eine Weise, zu gelangen, wovon uns alles unbekannt.
Die Schranken des Gehirns, die Haut (die recht als eine
glatte Wand,

Zum Grund und Centro, daß daran die Bilder fallen, aus-
gespannt,

Die aber, weil sie selber lebet, die Bilder selbst empfin-
den kann,)

Seh ich dadurch, als einen Spiegel, der selbst beseelt und reg
ist, an.

Die Seele selbst nun, deren Wesen wir (eben wie sich unsre
Augen,

Nicht selbst, ob sie gleich alles sehn) dennoch nicht recht zu se-
hen taugen,
Scheint

Die Werkſtatt der Seelen.
Kann man nun etwas, wenn man traͤumet, und mit geſchloß-
nen Augen, ſehn;
Warum ſollt es, mit offnen Augen, und wachend, denn nicht auch
geſchehn?

Auf! laßt uns dann, was ſonſt nicht ſichtbar, als ſichtbar, uns
vor Augen legen.

Zu Anfang zeiget ſich in mir, was um und auſſer mir
zugegen.

Wenn ich in einem Zimmer bin, ſeh ich ein Zimmerchen, im
Kleinen,

Das uͤberall dem großen aͤhnlich, im Schauplatz des Gehirns,
erſcheinen.

Waͤr eine Landſchaft noch ſo groß, ſo wird ſie unbegreiflich
klein,

Und ſenkt, mit Farben und Figur, durchs Auge, ſich ins Hirn hinein.
Die uns in ſelbigen entdeckte ſo wunderbar formirte Klein-
heit,

Scheint, ob mans gleich nicht deutlich faßt, doch mit dem
Geiſt zu einer Einheit,

Auf eine Weiſe, zu gelangen, wovon uns alles unbekannt.
Die Schranken des Gehirns, die Haut (die recht als eine
glatte Wand,

Zum Grund und Centro, daß daran die Bilder fallen, aus-
geſpannt,

Die aber, weil ſie ſelber lebet, die Bilder ſelbſt empfin-
den kann,)

Seh ich dadurch, als einen Spiegel, der ſelbſt beſeelt und reg
iſt, an.

Die Seele ſelbſt nun, deren Weſen wir (eben wie ſich unſre
Augen,

Nicht ſelbſt, ob ſie gleich alles ſehn) dennoch nicht recht zu ſe-
hen taugen,
Scheint
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="42">
            <l><pb facs="#f0476" n="452"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Werk&#x017F;tatt der Seelen.</hi></fw><lb/>
Kann man nun etwas, wenn man tra&#x0364;umet, und mit ge&#x017F;chloß-<lb/><hi rendition="#et">nen Augen, &#x017F;ehn;</hi></l><lb/>
            <l>Warum &#x017F;ollt es, mit offnen Augen, und wachend, denn nicht auch<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;chehn?</hi></l><lb/>
            <l>Auf! laßt uns dann, was &#x017F;on&#x017F;t nicht &#x017F;ichtbar, als &#x017F;ichtbar, uns<lb/><hi rendition="#et">vor Augen legen.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="43">
            <l>Zu Anfang zeiget &#x017F;ich in mir, was um und au&#x017F;&#x017F;er mir<lb/><hi rendition="#et">zugegen.</hi></l><lb/>
            <l>Wenn ich in einem Zimmer bin, &#x017F;eh ich ein Zimmerchen, im<lb/><hi rendition="#et">Kleinen,</hi></l><lb/>
            <l>Das u&#x0364;berall dem großen a&#x0364;hnlich, im Schauplatz des Gehirns,<lb/><hi rendition="#et">er&#x017F;cheinen.</hi></l><lb/>
            <l>Wa&#x0364;r eine Land&#x017F;chaft noch &#x017F;o groß, &#x017F;o wird &#x017F;ie unbegreiflich<lb/><hi rendition="#et">klein,</hi></l><lb/>
            <l>Und &#x017F;enkt, mit Farben und Figur, durchs Auge, &#x017F;ich ins Hirn hinein.</l><lb/>
            <l>Die uns in &#x017F;elbigen entdeckte &#x017F;o wunderbar formirte Klein-<lb/><hi rendition="#et">heit,</hi></l><lb/>
            <l>Scheint, ob mans gleich nicht deutlich faßt, doch mit dem<lb/><hi rendition="#et">Gei&#x017F;t zu einer Einheit,</hi></l><lb/>
            <l>Auf eine Wei&#x017F;e, zu gelangen, wovon uns alles unbekannt.</l><lb/>
            <l>Die Schranken des Gehirns, die Haut (die recht als eine<lb/><hi rendition="#et">glatte Wand,</hi></l><lb/>
            <l>Zum Grund und Centro, daß daran die Bilder fallen, aus-<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;pannt,</hi></l><lb/>
            <l>Die aber, weil &#x017F;ie &#x017F;elber lebet, die Bilder &#x017F;elb&#x017F;t empfin-<lb/><hi rendition="#et">den kann,)</hi></l><lb/>
            <l>Seh ich dadurch, als einen Spiegel, der &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;eelt und reg<lb/><hi rendition="#et">i&#x017F;t, an.</hi></l><lb/>
            <l>Die Seele &#x017F;elb&#x017F;t nun, deren We&#x017F;en wir (eben wie &#x017F;ich un&#x017F;re<lb/><hi rendition="#et">Augen,</hi></l><lb/>
            <l>Nicht &#x017F;elb&#x017F;t, ob &#x017F;ie gleich alles &#x017F;ehn) dennoch nicht recht zu &#x017F;e-<lb/><hi rendition="#et">hen taugen,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Scheint</fw><lb/></l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[452/0476] Die Werkſtatt der Seelen. Kann man nun etwas, wenn man traͤumet, und mit geſchloß- nen Augen, ſehn; Warum ſollt es, mit offnen Augen, und wachend, denn nicht auch geſchehn? Auf! laßt uns dann, was ſonſt nicht ſichtbar, als ſichtbar, uns vor Augen legen. Zu Anfang zeiget ſich in mir, was um und auſſer mir zugegen. Wenn ich in einem Zimmer bin, ſeh ich ein Zimmerchen, im Kleinen, Das uͤberall dem großen aͤhnlich, im Schauplatz des Gehirns, erſcheinen. Waͤr eine Landſchaft noch ſo groß, ſo wird ſie unbegreiflich klein, Und ſenkt, mit Farben und Figur, durchs Auge, ſich ins Hirn hinein. Die uns in ſelbigen entdeckte ſo wunderbar formirte Klein- heit, Scheint, ob mans gleich nicht deutlich faßt, doch mit dem Geiſt zu einer Einheit, Auf eine Weiſe, zu gelangen, wovon uns alles unbekannt. Die Schranken des Gehirns, die Haut (die recht als eine glatte Wand, Zum Grund und Centro, daß daran die Bilder fallen, aus- geſpannt, Die aber, weil ſie ſelber lebet, die Bilder ſelbſt empfin- den kann,) Seh ich dadurch, als einen Spiegel, der ſelbſt beſeelt und reg iſt, an. Die Seele ſelbſt nun, deren Weſen wir (eben wie ſich unſre Augen, Nicht ſelbſt, ob ſie gleich alles ſehn) dennoch nicht recht zu ſe- hen taugen, Scheint

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/476
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/476>, abgerufen am 28.09.2024.