Eine nützliche Wahrheit, die jemand zu bekräftigen verspricht, aber dazu keine Grün- de vorträgt, die uns mehr bewegten, ihm bey- zupflichten, als wir vorher dazu geneigt ge- wesen, wird zwar an und für sich Wahrheit, aber auch der Leser eben derjenige verbleiben, der er vorher gewesen.
Je deutlicher, je leichter und angenehmer eine Sache vorgetragen wird, je eher darf sich ein Verfasser versprechen, daß er seinen Endzweck erhalten werde. So nöthig dieses überhaupt, so unentbehrlich ist es denen, die das Herze ihrer Leser rühren, und in ihnen eine Neigung, seinen Absichten gemäß, erwe- cken wollen.
Eine Lehre, die uns bloß zeiget, was wir thun und unterlassen sollen, heißt eine trocke- ne Moral. Werden Gründe hinzugefüget, die tüchtig genug sind, an der einen Seite, ei- ne Neigung zu einer Sache, die wir als uns nützlich und nöthig ansehen, an der andern Seite einen Abscheu für einer andern zu er- regen, die wir uns schädlich, und unserm wahren Besten hinderlich zu seyn erkennen:
So
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Vorrede.
Eine nuͤtzliche Wahrheit, die jemand zu bekraͤftigen verſpricht, aber dazu keine Gruͤn- de vortraͤgt, die uns mehr bewegten, ihm bey- zupflichten, als wir vorher dazu geneigt ge- weſen, wird zwar an und fuͤr ſich Wahrheit, aber auch der Leſer eben derjenige verbleiben, der er vorher geweſen.
Je deutlicher, je leichter und angenehmer eine Sache vorgetragen wird, je eher darf ſich ein Verfaſſer verſprechen, daß er ſeinen Endzweck erhalten werde. So noͤthig dieſes uͤberhaupt, ſo unentbehrlich iſt es denen, die das Herze ihrer Leſer ruͤhren, und in ihnen eine Neigung, ſeinen Abſichten gemaͤß, erwe- cken wollen.
Eine Lehre, die uns bloß zeiget, was wir thun und unterlaſſen ſollen, heißt eine trocke- ne Moral. Werden Gruͤnde hinzugefuͤget, die tuͤchtig genug ſind, an der einen Seite, ei- ne Neigung zu einer Sache, die wir als uns nuͤtzlich und noͤthig anſehen, an der andern Seite einen Abſcheu fuͤr einer andern zu er- regen, die wir uns ſchaͤdlich, und unſerm wahren Beſten hinderlich zu ſeyn erkennen:
So
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[0009]
Vorrede.
Eine nuͤtzliche Wahrheit, die jemand zu
bekraͤftigen verſpricht, aber dazu keine Gruͤn-
de vortraͤgt, die uns mehr bewegten, ihm bey-
zupflichten, als wir vorher dazu geneigt ge-
weſen, wird zwar an und fuͤr ſich Wahrheit,
aber auch der Leſer eben derjenige verbleiben,
der er vorher geweſen.
Je deutlicher, je leichter und angenehmer
eine Sache vorgetragen wird, je eher darf
ſich ein Verfaſſer verſprechen, daß er ſeinen
Endzweck erhalten werde. So noͤthig dieſes
uͤberhaupt, ſo unentbehrlich iſt es denen, die
das Herze ihrer Leſer ruͤhren, und in ihnen
eine Neigung, ſeinen Abſichten gemaͤß, erwe-
cken wollen.
Eine Lehre, die uns bloß zeiget, was wir
thun und unterlaſſen ſollen, heißt eine trocke-
ne Moral. Werden Gruͤnde hinzugefuͤget,
die tuͤchtig genug ſind, an der einen Seite, ei-
ne Neigung zu einer Sache, die wir als uns
nuͤtzlich und noͤthig anſehen, an der andern
Seite einen Abſcheu fuͤr einer andern zu er-
regen, die wir uns ſchaͤdlich, und unſerm
wahren Beſten hinderlich zu ſeyn erkennen:
So
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/9>, abgerufen am 23.11.2024.
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