Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.Andenken der grimmigen Kälte Wie würd' es sonst mit ganzen Ländern, mit Millionen Menschen, stehn? Es müßte wenigstens Europa, für Hunger, mehrentheils vergehn. Darum erwege doch ein jeder, was uns, in beyden vor- gen Jahren, Dadurch, daß uns der Rokken blieb, für eine Gnade wiederfahren! Ja, sprichst du, alles dieses hebt doch meinen ersten Einwurf nicht; Es ist uns anders doch ergangen, als, von der Zeit, die Bibel spricht: Der Sommer ist nicht warm gewesen, der Herbst hat keine Frucht gereift; Hiedurch werd' ich um desto mehr in meiner Meynung noch gesteift. So höre! Diese Stelle handelt ja nicht allein von einem Lande; Nein! sondern von der ganzen Welt. Nun blieb der Rest der Welt im Stande: Jn andern Theilen unsrer Erden hat es an Wärme nicht gefehlt; Man hat daselbst, wie sonst, geerndtet, und sie hat gar kein Frost gequält. So folgt ja nicht: Was einem Lande, zur Strafe etwan, auferlegt, Daß es die Ordnung für das Ganze durchlöchert, und zu Boden schlägt. Laßt uns vielmehr die Schuld erkennen, und daß wir alles wohl verdient; Weil sonst vielleicht, durch fernen Frost verderbet, uns kein Gras mehr grünt. Der
Andenken der grimmigen Kaͤlte Wie wuͤrd’ es ſonſt mit ganzen Laͤndern, mit Millionen Menſchen, ſtehn? Es muͤßte wenigſtens Europa, fuͤr Hunger, mehrentheils vergehn. Darum erwege doch ein jeder, was uns, in beyden vor- gen Jahren, Dadurch, daß uns der Rokken blieb, fuͤr eine Gnade wiederfahren! Ja, ſprichſt du, alles dieſes hebt doch meinen erſten Einwurf nicht; Es iſt uns anders doch ergangen, als, von der Zeit, die Bibel ſpricht: Der Sommer iſt nicht warm geweſen, der Herbſt hat keine Frucht gereift; Hiedurch werd’ ich um deſto mehr in meiner Meynung noch geſteift. So hoͤre! Dieſe Stelle handelt ja nicht allein von einem Lande; Nein! ſondern von der ganzen Welt. Nun blieb der Reſt der Welt im Stande: Jn andern Theilen unſrer Erden hat es an Waͤrme nicht gefehlt; Man hat daſelbſt, wie ſonſt, geerndtet, und ſie hat gar kein Froſt gequaͤlt. So folgt ja nicht: Was einem Lande, zur Strafe etwan, auferlegt, Daß es die Ordnung fuͤr das Ganze durchloͤchert, und zu Boden ſchlaͤgt. Laßt uns vielmehr die Schuld erkennen, und daß wir alles wohl verdient; Weil ſonſt vielleicht, durch fernen Froſt verderbet, uns kein Gras mehr gruͤnt. Der
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0362" n="348"/> <fw place="top" type="header">Andenken der grimmigen Kaͤlte</fw><lb/> <lg n="22"> <l>Wie wuͤrd’ es ſonſt mit ganzen Laͤndern, mit Millionen<lb/><hi rendition="#et">Menſchen, ſtehn?</hi></l><lb/> <l>Es muͤßte wenigſtens Europa, fuͤr Hunger, mehrentheils<lb/><hi rendition="#et">vergehn.</hi></l><lb/> <l>Darum erwege doch ein jeder, was uns, in beyden vor-<lb/><hi rendition="#et">gen Jahren,</hi></l><lb/> <l>Dadurch, daß uns der Rokken blieb, fuͤr eine Gnade<lb/><hi rendition="#et">wiederfahren!</hi></l><lb/> <l>Ja, ſprichſt du, alles dieſes hebt doch meinen erſten<lb/><hi rendition="#et">Einwurf nicht;</hi></l><lb/> <l>Es iſt uns anders doch ergangen, als, von der Zeit,<lb/><hi rendition="#et">die Bibel ſpricht:</hi></l><lb/> <l>Der Sommer iſt nicht warm geweſen, der Herbſt hat<lb/><hi rendition="#et">keine Frucht gereift;</hi></l><lb/> <l>Hiedurch werd’ ich um deſto mehr in meiner Meynung<lb/><hi rendition="#et">noch geſteift.</hi></l><lb/> <l>So hoͤre! Dieſe Stelle handelt ja nicht allein von einem<lb/><hi rendition="#et">Lande;</hi></l><lb/> <l>Nein! ſondern von der ganzen Welt. Nun blieb der<lb/><hi rendition="#et">Reſt der Welt im Stande:</hi></l><lb/> <l>Jn andern Theilen unſrer Erden hat es an Waͤrme nicht<lb/><hi rendition="#et">gefehlt;</hi></l><lb/> <l>Man hat daſelbſt, wie ſonſt, geerndtet, und ſie hat gar<lb/><hi rendition="#et">kein Froſt gequaͤlt.</hi></l><lb/> <l>So folgt ja nicht: Was einem Lande, zur Strafe etwan,<lb/><hi rendition="#et">auferlegt,</hi></l><lb/> <l>Daß es die Ordnung fuͤr das Ganze durchloͤchert, und<lb/><hi rendition="#et">zu Boden ſchlaͤgt.</hi></l><lb/> <l>Laßt uns vielmehr die Schuld erkennen, und daß wir<lb/><hi rendition="#et">alles wohl verdient;</hi></l><lb/> <l>Weil ſonſt vielleicht, durch fernen Froſt verderbet, uns<lb/><hi rendition="#et">kein Gras mehr gruͤnt.</hi></l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [348/0362]
Andenken der grimmigen Kaͤlte
Wie wuͤrd’ es ſonſt mit ganzen Laͤndern, mit Millionen
Menſchen, ſtehn?
Es muͤßte wenigſtens Europa, fuͤr Hunger, mehrentheils
vergehn.
Darum erwege doch ein jeder, was uns, in beyden vor-
gen Jahren,
Dadurch, daß uns der Rokken blieb, fuͤr eine Gnade
wiederfahren!
Ja, ſprichſt du, alles dieſes hebt doch meinen erſten
Einwurf nicht;
Es iſt uns anders doch ergangen, als, von der Zeit,
die Bibel ſpricht:
Der Sommer iſt nicht warm geweſen, der Herbſt hat
keine Frucht gereift;
Hiedurch werd’ ich um deſto mehr in meiner Meynung
noch geſteift.
So hoͤre! Dieſe Stelle handelt ja nicht allein von einem
Lande;
Nein! ſondern von der ganzen Welt. Nun blieb der
Reſt der Welt im Stande:
Jn andern Theilen unſrer Erden hat es an Waͤrme nicht
gefehlt;
Man hat daſelbſt, wie ſonſt, geerndtet, und ſie hat gar
kein Froſt gequaͤlt.
So folgt ja nicht: Was einem Lande, zur Strafe etwan,
auferlegt,
Daß es die Ordnung fuͤr das Ganze durchloͤchert, und
zu Boden ſchlaͤgt.
Laßt uns vielmehr die Schuld erkennen, und daß wir
alles wohl verdient;
Weil ſonſt vielleicht, durch fernen Froſt verderbet, uns
kein Gras mehr gruͤnt.
Der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |