Als, daß Er anders, als wie wir, gedenken können, denken müsse: Sonst wär' Er bloß der klügste Mensch. Dieß scheinen ungereimte Schlüsse. Das Denken oder der Jnstinct der Thier' ist ja nicht einerley: Wir sehen, daß ein jedes Thier, auf andre Weise, witzig sey. Wie können wir, die auch Geschöpfe, dann wohl, mit Billigkeit, verlangen, Daß wir dieselbe Art zu denken, wie eine Gottheit denkt, empfangen, Ohn' einen unvernünftgen Stolz? Wir denken besser, als das Vieh; Wir überlegen, wir verbinden, und schliessen besser, als wie sie. Doch folgt aus diesem unsern Vorzug, da wir oft irren, nicht der Schluß, Daß unser eingeschränkte Geist, so wie die Gottheit, denken muß; O nein! die Billigkeit, die Demuth, die Anerkenntniß unsrer Schwäche, Die Ehrfurcht gegen unsern Schöpfer, vertragen solche Thorheit nicht. So wenig eine kleine Grube des großen Welt-Meers Tief' und Fläche Jn seinen engen Schranken faßt; so wenig leidet unsre Pflicht, Daß wir, was Gott, begreifen wollen. Erwege selber, wenn ein Thier, Das ein Geschöpf sowohl, als du, von deinem Wesen und von dir,
Was
Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Als, daß Er anders, als wie wir, gedenken koͤnnen, denken muͤſſe: Sonſt waͤr’ Er bloß der kluͤgſte Menſch. Dieß ſcheinen ungereimte Schluͤſſe. Das Denken oder der Jnſtinct der Thier’ iſt ja nicht einerley: Wir ſehen, daß ein jedes Thier, auf andre Weiſe, witzig ſey. Wie koͤnnen wir, die auch Geſchoͤpfe, dann wohl, mit Billigkeit, verlangen, Daß wir dieſelbe Art zu denken, wie eine Gottheit denkt, empfangen, Ohn’ einen unvernuͤnftgen Stolz? Wir denken beſſer, als das Vieh; Wir uͤberlegen, wir verbinden, und ſchlieſſen beſſer, als wie ſie. Doch folgt aus dieſem unſern Vorzug, da wir oft irren, nicht der Schluß, Daß unſer eingeſchraͤnkte Geiſt, ſo wie die Gottheit, denken muß; O nein! die Billigkeit, die Demuth, die Anerkenntniß unſrer Schwaͤche, Die Ehrfurcht gegen unſern Schoͤpfer, vertragen ſolche Thorheit nicht. So wenig eine kleine Grube des großen Welt-Meers Tief’ und Flaͤche Jn ſeinen engen Schranken faßt; ſo wenig leidet unſre Pflicht, Daß wir, was Gott, begreifen wollen. Erwege ſelber, wenn ein Thier, Das ein Geſchoͤpf ſowohl, als du, von deinem Weſen und von dir,
Was
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><lgtype="poem"><lgn="2"><pbfacs="#f0630"n="616"/><fwplace="top"type="header">Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.</fw><lb/><l>Als, daß Er anders, als wie wir, gedenken koͤnnen,<lb/><hirendition="#et">denken muͤſſe:</hi></l><lb/><l>Sonſt waͤr’ Er bloß der kluͤgſte Menſch. Dieß ſcheinen<lb/><hirendition="#et">ungereimte Schluͤſſe.</hi></l><lb/><l>Das Denken oder der Jnſtinct der Thier’ iſt ja nicht<lb/><hirendition="#et">einerley:</hi></l><lb/><l>Wir ſehen, daß ein jedes Thier, auf andre Weiſe, witzig<lb/><hirendition="#et">ſey.</hi></l><lb/><l>Wie koͤnnen wir, die auch Geſchoͤpfe, dann wohl, mit<lb/><hirendition="#et">Billigkeit, verlangen,</hi></l><lb/><l>Daß wir dieſelbe Art zu denken, wie eine Gottheit denkt,<lb/><hirendition="#et">empfangen,</hi></l><lb/><l>Ohn’ einen unvernuͤnftgen Stolz? Wir denken beſſer,<lb/><hirendition="#et">als das Vieh;</hi></l><lb/><l>Wir uͤberlegen, wir verbinden, und ſchlieſſen beſſer, als<lb/><hirendition="#et">wie ſie.</hi></l><lb/><l>Doch folgt aus dieſem unſern Vorzug, da wir oft<lb/><hirendition="#et">irren, nicht der Schluß,</hi></l><lb/><l>Daß unſer eingeſchraͤnkte Geiſt, ſo wie die Gottheit,<lb/><hirendition="#et">denken muß;</hi></l><lb/><l>O nein! die Billigkeit, die Demuth, die Anerkenntniß<lb/><hirendition="#et">unſrer Schwaͤche,</hi></l><lb/><l>Die Ehrfurcht gegen unſern Schoͤpfer, vertragen ſolche<lb/><hirendition="#et">Thorheit nicht.</hi></l><lb/><l>So wenig eine kleine Grube des großen Welt-Meers<lb/><hirendition="#et">Tief’ und Flaͤche</hi></l><lb/><l>Jn ſeinen engen Schranken faßt; ſo wenig leidet unſre<lb/><hirendition="#et">Pflicht,</hi></l><lb/><l>Daß wir, was Gott, begreifen wollen. Erwege ſelber,<lb/><hirendition="#et">wenn ein Thier,</hi></l><lb/><l>Das ein Geſchoͤpf ſowohl, als du, von deinem Weſen<lb/><hirendition="#et">und von dir,</hi></l><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Was</fw><lb/></lg></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[616/0630]
Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Als, daß Er anders, als wie wir, gedenken koͤnnen,
denken muͤſſe:
Sonſt waͤr’ Er bloß der kluͤgſte Menſch. Dieß ſcheinen
ungereimte Schluͤſſe.
Das Denken oder der Jnſtinct der Thier’ iſt ja nicht
einerley:
Wir ſehen, daß ein jedes Thier, auf andre Weiſe, witzig
ſey.
Wie koͤnnen wir, die auch Geſchoͤpfe, dann wohl, mit
Billigkeit, verlangen,
Daß wir dieſelbe Art zu denken, wie eine Gottheit denkt,
empfangen,
Ohn’ einen unvernuͤnftgen Stolz? Wir denken beſſer,
als das Vieh;
Wir uͤberlegen, wir verbinden, und ſchlieſſen beſſer, als
wie ſie.
Doch folgt aus dieſem unſern Vorzug, da wir oft
irren, nicht der Schluß,
Daß unſer eingeſchraͤnkte Geiſt, ſo wie die Gottheit,
denken muß;
O nein! die Billigkeit, die Demuth, die Anerkenntniß
unſrer Schwaͤche,
Die Ehrfurcht gegen unſern Schoͤpfer, vertragen ſolche
Thorheit nicht.
So wenig eine kleine Grube des großen Welt-Meers
Tief’ und Flaͤche
Jn ſeinen engen Schranken faßt; ſo wenig leidet unſre
Pflicht,
Daß wir, was Gott, begreifen wollen. Erwege ſelber,
wenn ein Thier,
Das ein Geſchoͤpf ſowohl, als du, von deinem Weſen
und von dir,
Was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/630>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.