Gedächtniß ohne Phantasey auch ohn Verstand zu einem Brauch Der Seelen jemals dienen könnte; so scheint ein Wille, den wir frey Und gleichsam unumschränket halten, auch ebenfalls kein solches Wesen, Das sonder Phantasey, Verstand, und ohn Gedächtniß könn' erlesen Und auch verwerfen vor sich selbst, was ihm misfällt. Hingegen scheint Des Willens Kraft, mit andern Kräften der Seelen, dergestalt vereint, Daß sie viel eh' für eine Folge von der Vernunft ist an- zusehen, Als daß man ihm fast einen Thron für sich alleine zu- gestehen, Als König ihn verehren müsse. Laßt uns in unser Jnnres gehn, Und auf das uns verborgne Wesen des Geistes die Ge- danken lenken, Und gleichsam unsre Seele selbst in unsrer Seelen Tiefe senken! Wir finden, daß von unsern Sinnen die Wurzel in der Seele liegen, Da, ohne Geist, der Leib nicht sinnlich. Wie sich die- selbigen nun fügen Und sich in dem Gefühl vereinen; So deucht mich, daß die Seelenkräfte fast geist'ge Sinn- lichkeiten scheinen, Die in der Phantasie sich binden, und, nur mit ihr ver- einet, wirken, So etwan, wie in dem Gefühl die andern Sinnen sich vereinen.
Kann
Vermiſchte Gedichte
Gedaͤchtniß ohne Phantaſey auch ohn Verſtand zu einem Brauch Der Seelen jemals dienen koͤnnte; ſo ſcheint ein Wille, den wir frey Und gleichſam unumſchraͤnket halten, auch ebenfalls kein ſolches Weſen, Das ſonder Phantaſey, Verſtand, und ohn Gedaͤchtniß koͤnn’ erleſen Und auch verwerfen vor ſich ſelbſt, was ihm misfaͤllt. Hingegen ſcheint Des Willens Kraft, mit andern Kraͤften der Seelen, dergeſtalt vereint, Daß ſie viel eh’ fuͤr eine Folge von der Vernunft iſt an- zuſehen, Als daß man ihm faſt einen Thron fuͤr ſich alleine zu- geſtehen, Als Koͤnig ihn verehren muͤſſe. Laßt uns in unſer Jnnres gehn, Und auf das uns verborgne Weſen des Geiſtes die Ge- danken lenken, Und gleichſam unſre Seele ſelbſt in unſrer Seelen Tiefe ſenken! Wir finden, daß von unſern Sinnen die Wurzel in der Seele liegen, Da, ohne Geiſt, der Leib nicht ſinnlich. Wie ſich die- ſelbigen nun fuͤgen Und ſich in dem Gefuͤhl vereinen; So deucht mich, daß die Seelenkraͤfte faſt geiſt’ge Sinn- lichkeiten ſcheinen, Die in der Phantaſie ſich binden, und, nur mit ihr ver- einet, wirken, So etwan, wie in dem Gefuͤhl die andern Sinnen ſich vereinen.
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Vermiſchte Gedichte
Gedaͤchtniß ohne Phantaſey auch ohn Verſtand zu einem
Brauch
Der Seelen jemals dienen koͤnnte; ſo ſcheint ein Wille,
den wir frey
Und gleichſam unumſchraͤnket halten, auch ebenfalls kein
ſolches Weſen,
Das ſonder Phantaſey, Verſtand, und ohn Gedaͤchtniß
koͤnn’ erleſen
Und auch verwerfen vor ſich ſelbſt, was ihm misfaͤllt.
Hingegen ſcheint
Des Willens Kraft, mit andern Kraͤften der Seelen,
dergeſtalt vereint,
Daß ſie viel eh’ fuͤr eine Folge von der Vernunft iſt an-
zuſehen,
Als daß man ihm faſt einen Thron fuͤr ſich alleine zu-
geſtehen,
Als Koͤnig ihn verehren muͤſſe. Laßt uns in unſer
Jnnres gehn,
Und auf das uns verborgne Weſen des Geiſtes die Ge-
danken lenken,
Und gleichſam unſre Seele ſelbſt in unſrer Seelen Tiefe
ſenken!
Wir finden, daß von unſern Sinnen die Wurzel in der
Seele liegen,
Da, ohne Geiſt, der Leib nicht ſinnlich. Wie ſich die-
ſelbigen nun fuͤgen
Und ſich in dem Gefuͤhl vereinen;
So deucht mich, daß die Seelenkraͤfte faſt geiſt’ge Sinn-
lichkeiten ſcheinen,
Die in der Phantaſie ſich binden, und, nur mit ihr ver-
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So etwan, wie in dem Gefuͤhl die andern Sinnen ſich
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/484>, abgerufen am 31.10.2024.
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