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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

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zum vergnügten und gelassenen Sterben.
"Ueberdem befällt er uns meist zur Unzeit. Jn der
Jugend
"Raubt er dem sein kurzes Leben, der von Edelmuth und
Tugend

"So viel Hoffnung von sich gab; den entreißet er der Welt,
"Eben da er im Begriff, daß sein Wohlfahrtsbau bestellt
"Und sein Haus berathen würde. Einen andern reißt
er dort

"Mitten in dem Lauf der Ehren, aus der Gattin Armen,
fort,

"Die noch jung und voller Liebreiz, mitten aus den
Kinderlein,

"Mitten aus den Rechnungen, die noch unberichtigt seyn,
"Aus verwirreten Processen, die er leichtlich enden können,
"Hätt' ihm nur der Tod dazu wenig Jahre wollen gönnen.
"Einen andern mordet er, der nach viel-und schweren Lasten,
"Jn dem Stande sich befindet, nach der Arbeit auszurasten,
"Seines Fleißes zu genießen, und nach vielerworbnen
Dingen

"Seines sanften Alters Rest still und ruhig zuzubringen.
"Dieser wird zur andern Zeit, nie zu rechter, weggerissen;
"So, daß wir wohl recht mit jenem Patriarchen sagen
müssen,

"Was wir in der Bibel lesen:
"Kurz und böse sind die Tage meiner Lebenszeit gewesen.

A. Aber du, der du so richtig deine Lebenstag' erwägest,
Und, bey ihrer kurzen Dauer, sie mit Murren überlegest,
Sprich: was hast du doch für Recht, da du selbe böse nennest,
Daß du über ihre Kürze klagst und ungeduldig flennest?
Sind sie bös', ist es ja besser, daß derselben wenig nur,
Deine Quaal nicht zu verlängern; wo du nicht von der
Natur,
Daß
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zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
„Ueberdem befaͤllt er uns meiſt zur Unzeit. Jn der
Jugend
„Raubt er dem ſein kurzes Leben, der von Edelmuth und
Tugend

„So viel Hoffnung von ſich gab; den entreißet er der Welt,
„Eben da er im Begriff, daß ſein Wohlfahrtsbau beſtellt
„Und ſein Haus berathen wuͤrde. Einen andern reißt
er dort

„Mitten in dem Lauf der Ehren, aus der Gattin Armen,
fort,

„Die noch jung und voller Liebreiz, mitten aus den
Kinderlein,

„Mitten aus den Rechnungen, die noch unberichtigt ſeyn,
„Aus verwirreten Proceſſen, die er leichtlich enden koͤnnen,
„Haͤtt’ ihm nur der Tod dazu wenig Jahre wollen goͤnnen.
„Einen andern mordet er, der nach viel-und ſchweren Laſten,
„Jn dem Stande ſich befindet, nach der Arbeit auszuraſten,
„Seines Fleißes zu genießen, und nach vielerworbnen
Dingen

„Seines ſanften Alters Reſt ſtill und ruhig zuzubringen.
„Dieſer wird zur andern Zeit, nie zu rechter, weggeriſſen;
„So, daß wir wohl recht mit jenem Patriarchen ſagen
muͤſſen,

„Was wir in der Bibel leſen:
„Kurz und boͤſe ſind die Tage meiner Lebenszeit geweſen.

A. Aber du, der du ſo richtig deine Lebenstag’ erwaͤgeſt,
Und, bey ihrer kurzen Dauer, ſie mit Murren uͤberlegeſt,
Sprich: was haſt du doch fuͤr Recht, da du ſelbe boͤſe nenneſt,
Daß du uͤber ihre Kuͤrze klagſt und ungeduldig flenneſt?
Sind ſie boͤſ’, iſt es ja beſſer, daß derſelben wenig nur,
Deine Quaal nicht zu verlaͤngern; wo du nicht von der
Natur,
Daß
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[581/0601] zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben. „Ueberdem befaͤllt er uns meiſt zur Unzeit. Jn der Jugend „Raubt er dem ſein kurzes Leben, der von Edelmuth und Tugend „So viel Hoffnung von ſich gab; den entreißet er der Welt, „Eben da er im Begriff, daß ſein Wohlfahrtsbau beſtellt „Und ſein Haus berathen wuͤrde. Einen andern reißt er dort „Mitten in dem Lauf der Ehren, aus der Gattin Armen, fort, „Die noch jung und voller Liebreiz, mitten aus den Kinderlein, „Mitten aus den Rechnungen, die noch unberichtigt ſeyn, „Aus verwirreten Proceſſen, die er leichtlich enden koͤnnen, „Haͤtt’ ihm nur der Tod dazu wenig Jahre wollen goͤnnen. „Einen andern mordet er, der nach viel-und ſchweren Laſten, „Jn dem Stande ſich befindet, nach der Arbeit auszuraſten, „Seines Fleißes zu genießen, und nach vielerworbnen Dingen „Seines ſanften Alters Reſt ſtill und ruhig zuzubringen. „Dieſer wird zur andern Zeit, nie zu rechter, weggeriſſen; „So, daß wir wohl recht mit jenem Patriarchen ſagen muͤſſen, „Was wir in der Bibel leſen: „Kurz und boͤſe ſind die Tage meiner Lebenszeit geweſen. A. Aber du, der du ſo richtig deine Lebenstag’ erwaͤgeſt, Und, bey ihrer kurzen Dauer, ſie mit Murren uͤberlegeſt, Sprich: was haſt du doch fuͤr Recht, da du ſelbe boͤſe nenneſt, Daß du uͤber ihre Kuͤrze klagſt und ungeduldig flenneſt? Sind ſie boͤſ’, iſt es ja beſſer, daß derſelben wenig nur, Deine Quaal nicht zu verlaͤngern; wo du nicht von der Natur, Daß O o 3

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/601>, abgerufen am 22.11.2024.