Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen kann. Dieses und ihre schönen Gesichter mit
welchen sie, wider die Gewohnheit der meisten andern
Provinzen in diesen Gegenden, beständig unbedeckt
gehen, und ihre muntere Lebensart und lebhafter Um-
gang, macht sie sehr beliebt. Dessen ungeachtet ha-
ben sie den Ruhm, daß sie sehr keusch sind, ob es ih-
nen gleich selten an Gelegenheit fehlt. Denn es ist
ein festgesetzter Punkt einer guten Lebensart unter ih-
nen, daß, sobald jemand herein kommt mit der Frau
zu sprechen, der Mann aus dem Hause gehet. Ob
aber ihre Enthaltsamkeit bloß von ihrer Großmuth
herrühret, oder ob sie das von ihren Männern auf
sie gesetzte Zutrauen belohnen wollen, oder ob sie ihren
Grund bloß in dem Gerüchte hat, will ich nicht ent-
scheiden. Jhre Sprache haben sie mit den übrigen
benachbarten Tartarn gemein, wiewohl die Vornehm-
sten auch etwas Russisch können. Jhre Religion ist
heidnisch; denn ob sie sich gleich beschneiden lassen, so
haben sie doch weder Priester, noch Alcoran, oder
Moschee, wie andere Mahometaner. Hier opfert je-
der sein Opfer nach Gefallen, wozu sie aber doch
auch, wiewohl mehr aus Gewohnheit, als durch ein
Gebot, bestimmte Tage haben. Sie verrichten ihr
größtes Opfer bey dem Absterben ihrer nächsten Ver-
wandten, wobey Männer und Weiber im Felde zu-
sammen kommen, um bey dem Opfer gegenwärtig zu
seyn, welches in einem Bocke bestehet. Diesem zie-
hen sie, nachdem sie ihn geschlachtet haben, die Haut
ab, breiten sie mit dem Kopfe und Hörnern auf einer
langen Stange über ein Queerholz aus, setzen sie ge-
meiniglich (das Vieh davon abzuhalten) in einen le-
bendigen Zaun, und kochen und braten nicht weit da-

von
U 4

ſehen kann. Dieſes und ihre ſchoͤnen Geſichter mit
welchen ſie, wider die Gewohnheit der meiſten andern
Provinzen in dieſen Gegenden, beſtaͤndig unbedeckt
gehen, und ihre muntere Lebensart und lebhafter Um-
gang, macht ſie ſehr beliebt. Deſſen ungeachtet ha-
ben ſie den Ruhm, daß ſie ſehr keuſch ſind, ob es ih-
nen gleich ſelten an Gelegenheit fehlt. Denn es iſt
ein feſtgeſetzter Punkt einer guten Lebensart unter ih-
nen, daß, ſobald jemand herein kommt mit der Frau
zu ſprechen, der Mann aus dem Hauſe gehet. Ob
aber ihre Enthaltſamkeit bloß von ihrer Großmuth
herruͤhret, oder ob ſie das von ihren Maͤnnern auf
ſie geſetzte Zutrauen belohnen wollen, oder ob ſie ihren
Grund bloß in dem Geruͤchte hat, will ich nicht ent-
ſcheiden. Jhre Sprache haben ſie mit den uͤbrigen
benachbarten Tartarn gemein, wiewohl die Vornehm-
ſten auch etwas Ruſſiſch koͤnnen. Jhre Religion iſt
heidniſch; denn ob ſie ſich gleich beſchneiden laſſen, ſo
haben ſie doch weder Prieſter, noch Alcoran, oder
Moſchee, wie andere Mahometaner. Hier opfert je-
der ſein Opfer nach Gefallen, wozu ſie aber doch
auch, wiewohl mehr aus Gewohnheit, als durch ein
Gebot, beſtimmte Tage haben. Sie verrichten ihr
groͤßtes Opfer bey dem Abſterben ihrer naͤchſten Ver-
wandten, wobey Maͤnner und Weiber im Felde zu-
ſammen kommen, um bey dem Opfer gegenwaͤrtig zu
ſeyn, welches in einem Bocke beſtehet. Dieſem zie-
hen ſie, nachdem ſie ihn geſchlachtet haben, die Haut
ab, breiten ſie mit dem Kopfe und Hoͤrnern auf einer
langen Stange uͤber ein Queerholz aus, ſetzen ſie ge-
meiniglich (das Vieh davon abzuhalten) in einen le-
bendigen Zaun, und kochen und braten nicht weit da-

von
U 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0321" n="311"/>
&#x017F;ehen kann. Die&#x017F;es und ihre &#x017F;cho&#x0364;nen Ge&#x017F;ichter mit<lb/>
welchen &#x017F;ie, wider die Gewohnheit der mei&#x017F;ten andern<lb/>
Provinzen in die&#x017F;en Gegenden, be&#x017F;ta&#x0364;ndig unbedeckt<lb/>
gehen, und ihre muntere Lebensart und lebhafter Um-<lb/>
gang, macht &#x017F;ie &#x017F;ehr beliebt. De&#x017F;&#x017F;en ungeachtet ha-<lb/>
ben &#x017F;ie den Ruhm, daß &#x017F;ie &#x017F;ehr keu&#x017F;ch &#x017F;ind, ob es ih-<lb/>
nen gleich &#x017F;elten an Gelegenheit fehlt. Denn es i&#x017F;t<lb/>
ein fe&#x017F;tge&#x017F;etzter Punkt einer guten Lebensart unter ih-<lb/>
nen, daß, &#x017F;obald jemand herein kommt mit der Frau<lb/>
zu &#x017F;prechen, der Mann aus dem Hau&#x017F;e gehet. Ob<lb/>
aber ihre Enthalt&#x017F;amkeit bloß von ihrer Großmuth<lb/>
herru&#x0364;hret, oder ob &#x017F;ie das von ihren Ma&#x0364;nnern auf<lb/>
&#x017F;ie ge&#x017F;etzte Zutrauen belohnen wollen, oder ob &#x017F;ie ihren<lb/>
Grund bloß in dem Geru&#x0364;chte hat, will ich nicht ent-<lb/>
&#x017F;cheiden. Jhre Sprache haben &#x017F;ie mit den u&#x0364;brigen<lb/>
benachbarten Tartarn gemein, wiewohl die Vornehm-<lb/>
&#x017F;ten auch etwas Ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;ch ko&#x0364;nnen. Jhre Religion i&#x017F;t<lb/>
heidni&#x017F;ch; denn ob &#x017F;ie &#x017F;ich gleich be&#x017F;chneiden la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o<lb/>
haben &#x017F;ie doch weder Prie&#x017F;ter, noch Alcoran, oder<lb/>
Mo&#x017F;chee, wie andere Mahometaner. Hier opfert je-<lb/>
der &#x017F;ein Opfer nach Gefallen, wozu &#x017F;ie aber doch<lb/>
auch, wiewohl mehr aus Gewohnheit, als durch ein<lb/>
Gebot, be&#x017F;timmte Tage haben. Sie verrichten ihr<lb/>
gro&#x0364;ßtes Opfer bey dem Ab&#x017F;terben ihrer na&#x0364;ch&#x017F;ten Ver-<lb/>
wandten, wobey Ma&#x0364;nner und Weiber im Felde zu-<lb/>
&#x017F;ammen kommen, um bey dem Opfer gegenwa&#x0364;rtig zu<lb/>
&#x017F;eyn, welches in einem Bocke be&#x017F;tehet. Die&#x017F;em zie-<lb/>
hen &#x017F;ie, nachdem &#x017F;ie ihn ge&#x017F;chlachtet haben, die Haut<lb/>
ab, breiten &#x017F;ie mit dem Kopfe und Ho&#x0364;rnern auf einer<lb/>
langen Stange u&#x0364;ber ein Queerholz aus, &#x017F;etzen &#x017F;ie ge-<lb/>
meiniglich (das Vieh davon abzuhalten) in einen le-<lb/>
bendigen Zaun, und kochen und braten nicht weit da-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U 4</fw><fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0321] ſehen kann. Dieſes und ihre ſchoͤnen Geſichter mit welchen ſie, wider die Gewohnheit der meiſten andern Provinzen in dieſen Gegenden, beſtaͤndig unbedeckt gehen, und ihre muntere Lebensart und lebhafter Um- gang, macht ſie ſehr beliebt. Deſſen ungeachtet ha- ben ſie den Ruhm, daß ſie ſehr keuſch ſind, ob es ih- nen gleich ſelten an Gelegenheit fehlt. Denn es iſt ein feſtgeſetzter Punkt einer guten Lebensart unter ih- nen, daß, ſobald jemand herein kommt mit der Frau zu ſprechen, der Mann aus dem Hauſe gehet. Ob aber ihre Enthaltſamkeit bloß von ihrer Großmuth herruͤhret, oder ob ſie das von ihren Maͤnnern auf ſie geſetzte Zutrauen belohnen wollen, oder ob ſie ihren Grund bloß in dem Geruͤchte hat, will ich nicht ent- ſcheiden. Jhre Sprache haben ſie mit den uͤbrigen benachbarten Tartarn gemein, wiewohl die Vornehm- ſten auch etwas Ruſſiſch koͤnnen. Jhre Religion iſt heidniſch; denn ob ſie ſich gleich beſchneiden laſſen, ſo haben ſie doch weder Prieſter, noch Alcoran, oder Moſchee, wie andere Mahometaner. Hier opfert je- der ſein Opfer nach Gefallen, wozu ſie aber doch auch, wiewohl mehr aus Gewohnheit, als durch ein Gebot, beſtimmte Tage haben. Sie verrichten ihr groͤßtes Opfer bey dem Abſterben ihrer naͤchſten Ver- wandten, wobey Maͤnner und Weiber im Felde zu- ſammen kommen, um bey dem Opfer gegenwaͤrtig zu ſeyn, welches in einem Bocke beſtehet. Dieſem zie- hen ſie, nachdem ſie ihn geſchlachtet haben, die Haut ab, breiten ſie mit dem Kopfe und Hoͤrnern auf einer langen Stange uͤber ein Queerholz aus, ſetzen ſie ge- meiniglich (das Vieh davon abzuhalten) in einen le- bendigen Zaun, und kochen und braten nicht weit da- von U 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/321
Zitationshilfe: Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/321>, abgerufen am 21.11.2024.