Die Einwohner in Derbent haben eine alte Er-Alexander und Melke- hatun. zählung von Alexandern dem Großen und Melkeha- tun, der Wittwe eines Sultans in der Provinz Jr- van. Alexander kam auf einem Zuge in diesen Ge- genden an die Stadt Berda, wo sich diese Sultaninn aufhielt, gab sich für Alexanders Gesandten aus, und verlangte, daß sie sich selbst, die Stadt und das Land auf Gnade und Ungnade an den Eroberer erge- ben sollte. Melkehatun, welche Geschmack und Neugier besaß, hatte sich einige Zeit vorher ein nach dem Leben gemaltes Bild des Alexander angeschafft, und erkannte ihn also gleich, sobald er zu ihr kam. Nachdem er seinen Antrag verrichtet hatte, ersuchte sie ihn, mit ihr zu essen, worauf er die Antwort, die er seinem Herrn überbringen könne, erhalten sollte. Hierauf ward er in einen großen Saal geführet, wo eine mit Gold und Silber bedeckte Tafel stand, und die darneben stehenden goldenen Tische mit ihren Ju- welen bedeckt waren. Als sich nun der große Erobe- rer mit der Königinn niedergesetzet hatte, nöthigte sie ihn sehr, zu essen, worüber sich Alexander verwunder- te, und die Königinn fragte, ob man an ihrer Tafel keine andere Speisen haben könne, als was er vor sich sähe, denn diese würden ihm den Hunger nicht sehr stillen. Hierauf sagte sie: "O Alexander, ich habe geglaubt, daß du sonst von nichts leben kannst, weil du der Reichthümer wegen so viele Länder verwüster hast, und so viel arme Einwohner verhungern lassen. Du siehest nunmehr, daß du, wenn du alle Schätze der Welt, und keine Speisen hättest, umkommen müßtest." Hier ließ sie einen Vorhang aufziehen, der ihm sein eigenes Bildniß entdeckte, welches ihm
gegenüber
Die Einwohner in Derbent haben eine alte Er-Alexander und Melke- hatun. zaͤhlung von Alexandern dem Großen und Melkeha- tun, der Wittwe eines Sultans in der Provinz Jr- van. Alexander kam auf einem Zuge in dieſen Ge- genden an die Stadt Berda, wo ſich dieſe Sultaninn aufhielt, gab ſich fuͤr Alexanders Geſandten aus, und verlangte, daß ſie ſich ſelbſt, die Stadt und das Land auf Gnade und Ungnade an den Eroberer erge- ben ſollte. Melkehatun, welche Geſchmack und Neugier beſaß, hatte ſich einige Zeit vorher ein nach dem Leben gemaltes Bild des Alexander angeſchafft, und erkannte ihn alſo gleich, ſobald er zu ihr kam. Nachdem er ſeinen Antrag verrichtet hatte, erſuchte ſie ihn, mit ihr zu eſſen, worauf er die Antwort, die er ſeinem Herrn uͤberbringen koͤnne, erhalten ſollte. Hierauf ward er in einen großen Saal gefuͤhret, wo eine mit Gold und Silber bedeckte Tafel ſtand, und die darneben ſtehenden goldenen Tiſche mit ihren Ju- welen bedeckt waren. Als ſich nun der große Erobe- rer mit der Koͤniginn niedergeſetzet hatte, noͤthigte ſie ihn ſehr, zu eſſen, woruͤber ſich Alexander verwunder- te, und die Koͤniginn fragte, ob man an ihrer Tafel keine andere Speiſen haben koͤnne, als was er vor ſich ſaͤhe, denn dieſe wuͤrden ihm den Hunger nicht ſehr ſtillen. Hierauf ſagte ſie: „O Alexander, ich habe geglaubt, daß du ſonſt von nichts leben kannſt, weil du der Reichthuͤmer wegen ſo viele Laͤnder verwuͤſter haſt, und ſo viel arme Einwohner verhungern laſſen. Du ſieheſt nunmehr, daß du, wenn du alle Schaͤtze der Welt, und keine Speiſen haͤtteſt, umkommen muͤßteſt.“ Hier ließ ſie einen Vorhang aufziehen, der ihm ſein eigenes Bildniß entdeckte, welches ihm
gegenuͤber
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Die Einwohner in Derbent haben eine alte Er-
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tun, der Wittwe eines Sultans in der Provinz Jr-
van. Alexander kam auf einem Zuge in dieſen Ge-
genden an die Stadt Berda, wo ſich dieſe Sultaninn
aufhielt, gab ſich fuͤr Alexanders Geſandten aus,
und verlangte, daß ſie ſich ſelbſt, die Stadt und das
Land auf Gnade und Ungnade an den Eroberer erge-
ben ſollte. Melkehatun, welche Geſchmack und
Neugier beſaß, hatte ſich einige Zeit vorher ein nach
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und erkannte ihn alſo gleich, ſobald er zu ihr kam.
Nachdem er ſeinen Antrag verrichtet hatte, erſuchte
ſie ihn, mit ihr zu eſſen, worauf er die Antwort, die
er ſeinem Herrn uͤberbringen koͤnne, erhalten ſollte.
Hierauf ward er in einen großen Saal gefuͤhret, wo
eine mit Gold und Silber bedeckte Tafel ſtand, und
die darneben ſtehenden goldenen Tiſche mit ihren Ju-
welen bedeckt waren. Als ſich nun der große Erobe-
rer mit der Koͤniginn niedergeſetzet hatte, noͤthigte ſie
ihn ſehr, zu eſſen, woruͤber ſich Alexander verwunder-
te, und die Koͤniginn fragte, ob man an ihrer Tafel
keine andere Speiſen haben koͤnne, als was er vor ſich
ſaͤhe, denn dieſe wuͤrden ihm den Hunger nicht ſehr
ſtillen. Hierauf ſagte ſie: „O Alexander, ich habe
geglaubt, daß du ſonſt von nichts leben kannſt, weil
du der Reichthuͤmer wegen ſo viele Laͤnder verwuͤſter
haſt, und ſo viel arme Einwohner verhungern laſſen.
Du ſieheſt nunmehr, daß du, wenn du alle Schaͤtze
der Welt, und keine Speiſen haͤtteſt, umkommen
muͤßteſt.“ Hier ließ ſie einen Vorhang aufziehen,
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gegenuͤber
Alexander
und Melke-
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Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/345>, abgerufen am 21.11.2024.
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