son des Daedalos übertrug, dass also nicht die Einheit des Künstlers, sondern die Verwandtschaft und Uebereinstimmung der Kunstgattung das Ursprüngliche war. Unsere Aufgabe ist es daher, zu ermitteln, worin diese Eigenthümlichkeit Daeda- lischer Kunst bestanden habe.
Der Stoff Daedalischer Bildwerke, wo er ausdrücklich genannt wird, ist immer Holz: darin also unterscheiden sie sich nicht von andern Werken der ältesten griechischen Kunst. Die goldene Honigscheibe auf dem Eryx ist mir als alt-dae- dalisches Werk zu verdächtig, um daraus einen Schluss auf Metallarbeit des Daedalos zu ziehen 1). -- Auch im Techni- schen erfahren wir nichts von besonderen Eigenthümlichkei- ten: Die Werkzeuge, deren Erfindung die Sage dem Daeda- los beilegt: Säge, Axt, Bleiloth, Bohrer, Leim, Fischleim 2), bilden die fabrica materiaria, die Werkstatt des Handwerkers, beweisen also noch wenig für Fortschritte der Kunst.
Gegenstände der Darstellung sind vorzugsweise die Bilder der Götter, zu denen auch Herakles zu zählen ist. In welcher Gestalt sie aber gebildet waren, erfahren wir nur bei zweien: der Herakles zu Pisa war nackt, die Aphrodite zu Delos endigte unten in Gestalt einer Herme.
Wichtiger als diese Nachrichten ist uns, was die Alten im Allgemeinen als Kennzeichen Daedalischer Werke angeben. Am häufigsten nun hören wir an ihnen die täuschende Leben- digkeit rühmen: sie scheinen zu leben, Herakles wirft mit einem Steine nach seinem Abbilde; man muss die Bilder fes- seln, damit sie nicht entlaufen 3). Alle diese Lobsprüche ha- ben natürlich nur einen Sinn, wenn wir sie auf die vorher- gehende, nicht auf die nachfolgende Zeit beziehen. Denn auch ohne das Zeugniss des Plato 4) würden wir es glauben, dass zu seiner Zeit ein Künstler sich lächerlich gemacht haben würde, wenn er in der Weise des Daedalos hätte arbeiten wollen. Vor der Zeit des Daedalos aber ward die menschli- che Figur mit geschlossenen Füssen, eng anliegenden Armen
1) Ueber khruson bei Kallistr. Stat. 8. vgl. die Note von Jacobs.
3) Plato Meno p. 97. Arist. Polit. I, 4. Lucian Philops. 19. nebst den Schol. Hesych s. v. Daida- leia. Schol. Eur. Hec. 838.
4) Hipp. maior. p. 382. vgl. Arist. orat. Platon. I. T. II. p. 30. ed. Jebb.
son des Daedalos übertrug, dass also nicht die Einheit des Künstlers, sondern die Verwandtschaft und Uebereinstimmung der Kunstgattung das Ursprüngliche war. Unsere Aufgabe ist es daher, zu ermitteln, worin diese Eigenthümlichkeit Daeda- lischer Kunst bestanden habe.
Der Stoff Daedalischer Bildwerke, wo er ausdrücklich genannt wird, ist immer Holz: darin also unterscheiden sie sich nicht von andern Werken der ältesten griechischen Kunst. Die goldene Honigscheibe auf dem Eryx ist mir als alt-dae- dalisches Werk zu verdächtig, um daraus einen Schluss auf Metallarbeit des Daedalos zu ziehen 1). — Auch im Techni- schen erfahren wir nichts von besonderen Eigenthümlichkei- ten: Die Werkzeuge, deren Erfindung die Sage dem Daeda- los beilegt: Säge, Axt, Bleiloth, Bohrer, Leim, Fischleim 2), bilden die fabrica materiaria, die Werkstatt des Handwerkers, beweisen also noch wenig für Fortschritte der Kunst.
Gegenstände der Darstellung sind vorzugsweise die Bilder der Götter, zu denen auch Herakles zu zählen ist. In welcher Gestalt sie aber gebildet waren, erfahren wir nur bei zweien: der Herakles zu Pisa war nackt, die Aphrodite zu Delos endigte unten in Gestalt einer Herme.
Wichtiger als diese Nachrichten ist uns, was die Alten im Allgemeinen als Kennzeichen Daedalischer Werke angeben. Am häufigsten nun hören wir an ihnen die täuschende Leben- digkeit rühmen: sie scheinen zu leben, Herakles wirft mit einem Steine nach seinem Abbilde; man muss die Bilder fes- seln, damit sie nicht entlaufen 3). Alle diese Lobsprüche ha- ben natürlich nur einen Sinn, wenn wir sie auf die vorher- gehende, nicht auf die nachfolgende Zeit beziehen. Denn auch ohne das Zeugniss des Plato 4) würden wir es glauben, dass zu seiner Zeit ein Künstler sich lächerlich gemacht haben würde, wenn er in der Weise des Daedalos hätte arbeiten wollen. Vor der Zeit des Daedalos aber ward die menschli- che Figur mit geschlossenen Füssen, eng anliegenden Armen
1) Ueber χρυσὸν bei Kallistr. Stat. 8. vgl. die Note von Jacobs.
3) Plato Meno p. 97. Arist. Polit. I, 4. Lucian Philops. 19. nebst den Schol. Hesych s. v. Δαιδά- λεια. Schol. Eur. Hec. 838.
4) Hipp. maior. p. 382. vgl. Arist. orat. Platon. I. T. II. p. 30. ed. Jebb.
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es daher, zu ermitteln, worin diese Eigenthümlichkeit Daeda-
lischer Kunst bestanden habe.
Der Stoff Daedalischer Bildwerke, wo er ausdrücklich
genannt wird, ist immer Holz: darin also unterscheiden sie
sich nicht von andern Werken der ältesten griechischen Kunst.
Die goldene Honigscheibe auf dem Eryx ist mir als alt-dae-
dalisches Werk zu verdächtig, um daraus einen Schluss auf
Metallarbeit des Daedalos zu ziehen 1). — Auch im Techni-
schen erfahren wir nichts von besonderen Eigenthümlichkei-
ten: Die Werkzeuge, deren Erfindung die Sage dem Daeda-
los beilegt: Säge, Axt, Bleiloth, Bohrer, Leim, Fischleim 2),
bilden die fabrica materiaria, die Werkstatt des Handwerkers,
beweisen also noch wenig für Fortschritte der Kunst.
Gegenstände der Darstellung sind vorzugsweise die
Bilder der Götter, zu denen auch Herakles zu zählen ist. In
welcher Gestalt sie aber gebildet waren, erfahren wir nur bei
zweien: der Herakles zu Pisa war nackt, die Aphrodite zu
Delos endigte unten in Gestalt einer Herme.
Wichtiger als diese Nachrichten ist uns, was die Alten
im Allgemeinen als Kennzeichen Daedalischer Werke angeben.
Am häufigsten nun hören wir an ihnen die täuschende Leben-
digkeit rühmen: sie scheinen zu leben, Herakles wirft mit
einem Steine nach seinem Abbilde; man muss die Bilder fes-
seln, damit sie nicht entlaufen 3). Alle diese Lobsprüche ha-
ben natürlich nur einen Sinn, wenn wir sie auf die vorher-
gehende, nicht auf die nachfolgende Zeit beziehen. Denn
auch ohne das Zeugniss des Plato 4) würden wir es glauben,
dass zu seiner Zeit ein Künstler sich lächerlich gemacht haben
würde, wenn er in der Weise des Daedalos hätte arbeiten
wollen. Vor der Zeit des Daedalos aber ward die menschli-
che Figur mit geschlossenen Füssen, eng anliegenden Armen
1) Ueber χρυσὸν bei Kallistr. Stat. 8. vgl. die Note von Jacobs.
2) Plin.
7, 198. Seneca ep. 90. vgl. Varro fr. p. 325. ed. Bip.
3) Plato Meno p.
97. Arist. Polit. I, 4. Lucian Philops. 19. nebst den Schol. Hesych s. v. Δαιδά-
λεια. Schol. Eur. Hec. 838.
4) Hipp. maior. p. 382. vgl. Arist. orat. Platon.
I. T. II. p. 30. ed. Jebb.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/33>, abgerufen am 21.11.2024.
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