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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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entgegentritt, nun auch ihrerseits das rechte Maass über-
schritt. Ich will dabei von dem Ton der Gehässigkeit und
Gereiztheit gegen verdiente Gelehrte ganz absehen; aber
auch in sachlicher Beziehung bilden Zweifel und Mistrauen
so sehr den Grundton, dass Köhler's Schrift durchaus nur
den Werth eines Anklageactes, nicht eines unparteiischen Ur-
theilsspruches haben kann. Betrachten wir sie von diesem
Standpunkte aus, so müssen wir allerdings zugestehen, dass
die Anklage mit Energie und Sachkenntniss durchgeführt ist:
es gebührt Köhler auf jeden Fall das Verdienst, den grössten
Theil der in dieser Einleitung entwickelten Principien zuerst
aufgestellt oder in umfassender Weise in Anwendung gebracht
zu haben. Aber schon das Schlussresultat, dass unter allen
Künstlerinschriften auf Gemmen nur fünf echt sein sollen,
muss Mistrauen dagegen erwecken, ob in der Anwendung
überall das richtige Maass innegehalten worden ist, ein Mis-
trauen, dem sich selbst Köhler's Herausgeber, Stephani, nicht
ganz hat entziehen können; obwohl er sich sonst fast durch-
gängig als dessen Verehrer und Bewunderer zu erkennen
giebt.

Die Aufgabe, welche zunächst zu lösen war, kann hier-
nach nicht zweifelhaft sein. Es kann sich nicht darum han-
deln, schon jetzt aus unsicheren Elementen eine Geschichte
der Steinschneider zu entwerfen, sondern nur, uns dieser Ele-
mente selbst zu versichern. Das gesammte, von verschiedenen
Seiten beigebrachte Material war nach den oben entwickel-
ten Grundsätzen einer erneuten und umfassenden Prüfung
zu unterwerfen. Aber selbst diese Aufgabe liess sich für
den Augenblick nicht einmal in ihrem vollen Umfange lösen.
Manche Frage ist nur durch eine Prüfung der an den ver-
schiedensten Orten zerstreuten Originale zu entscheiden;
manche andere nur durch specielle Kenntniss der Technik,
des Materials u. s. w., von denen ich offen bekenne, dass ich
sie nicht besitze. Wenn daher keine vollständig abschlies-
sende Untersuchung möglich war, so musste mein Augen-
merk hauptsächlich auf zwei Punkte gerichtet sein: nämlich
innerhalb gewisser Grenzen eine feste Grundlage zu gewin-
nen und ferner das gesammte Material in der Weise über-
sichtlich zu ordnen, dass dadurch ein Einblick in den Stand
der einzelnen Fragen möglichst erleichtert und die Aufmerk-

entgegentritt, nun auch ihrerseits das rechte Maass über-
schritt. Ich will dabei von dem Ton der Gehässigkeit und
Gereiztheit gegen verdiente Gelehrte ganz absehen; aber
auch in sachlicher Beziehung bilden Zweifel und Mistrauen
so sehr den Grundton, dass Köhler’s Schrift durchaus nur
den Werth eines Anklageactes, nicht eines unparteiischen Ur-
theilsspruches haben kann. Betrachten wir sie von diesem
Standpunkte aus, so müssen wir allerdings zugestehen, dass
die Anklage mit Energie und Sachkenntniss durchgeführt ist:
es gebührt Köhler auf jeden Fall das Verdienst, den grössten
Theil der in dieser Einleitung entwickelten Principien zuerst
aufgestellt oder in umfassender Weise in Anwendung gebracht
zu haben. Aber schon das Schlussresultat, dass unter allen
Künstlerinschriften auf Gemmen nur fünf echt sein sollen,
muss Mistrauen dagegen erwecken, ob in der Anwendung
überall das richtige Maass innegehalten worden ist, ein Mis-
trauen, dem sich selbst Köhler’s Herausgeber, Stephani, nicht
ganz hat entziehen können; obwohl er sich sonst fast durch-
gängig als dessen Verehrer und Bewunderer zu erkennen
giebt.

Die Aufgabe, welche zunächst zu lösen war, kann hier-
nach nicht zweifelhaft sein. Es kann sich nicht darum han-
deln, schon jetzt aus unsicheren Elementen eine Geschichte
der Steinschneider zu entwerfen, sondern nur, uns dieser Ele-
mente selbst zu versichern. Das gesammte, von verschiedenen
Seiten beigebrachte Material war nach den oben entwickel-
ten Grundsätzen einer erneuten und umfassenden Prüfung
zu unterwerfen. Aber selbst diese Aufgabe liess sich für
den Augenblick nicht einmal in ihrem vollen Umfange lösen.
Manche Frage ist nur durch eine Prüfung der an den ver-
schiedensten Orten zerstreuten Originale zu entscheiden;
manche andere nur durch specielle Kenntniss der Technik,
des Materials u. s. w., von denen ich offen bekenne, dass ich
sie nicht besitze. Wenn daher keine vollständig abschlies-
sende Untersuchung möglich war, so musste mein Augen-
merk hauptsächlich auf zwei Punkte gerichtet sein: nämlich
innerhalb gewisser Grenzen eine feste Grundlage zu gewin-
nen und ferner das gesammte Material in der Weise über-
sichtlich zu ordnen, dass dadurch ein Einblick in den Stand
der einzelnen Fragen möglichst erleichtert und die Aufmerk-

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[465/0482] entgegentritt, nun auch ihrerseits das rechte Maass über- schritt. Ich will dabei von dem Ton der Gehässigkeit und Gereiztheit gegen verdiente Gelehrte ganz absehen; aber auch in sachlicher Beziehung bilden Zweifel und Mistrauen so sehr den Grundton, dass Köhler’s Schrift durchaus nur den Werth eines Anklageactes, nicht eines unparteiischen Ur- theilsspruches haben kann. Betrachten wir sie von diesem Standpunkte aus, so müssen wir allerdings zugestehen, dass die Anklage mit Energie und Sachkenntniss durchgeführt ist: es gebührt Köhler auf jeden Fall das Verdienst, den grössten Theil der in dieser Einleitung entwickelten Principien zuerst aufgestellt oder in umfassender Weise in Anwendung gebracht zu haben. Aber schon das Schlussresultat, dass unter allen Künstlerinschriften auf Gemmen nur fünf echt sein sollen, muss Mistrauen dagegen erwecken, ob in der Anwendung überall das richtige Maass innegehalten worden ist, ein Mis- trauen, dem sich selbst Köhler’s Herausgeber, Stephani, nicht ganz hat entziehen können; obwohl er sich sonst fast durch- gängig als dessen Verehrer und Bewunderer zu erkennen giebt. Die Aufgabe, welche zunächst zu lösen war, kann hier- nach nicht zweifelhaft sein. Es kann sich nicht darum han- deln, schon jetzt aus unsicheren Elementen eine Geschichte der Steinschneider zu entwerfen, sondern nur, uns dieser Ele- mente selbst zu versichern. Das gesammte, von verschiedenen Seiten beigebrachte Material war nach den oben entwickel- ten Grundsätzen einer erneuten und umfassenden Prüfung zu unterwerfen. Aber selbst diese Aufgabe liess sich für den Augenblick nicht einmal in ihrem vollen Umfange lösen. Manche Frage ist nur durch eine Prüfung der an den ver- schiedensten Orten zerstreuten Originale zu entscheiden; manche andere nur durch specielle Kenntniss der Technik, des Materials u. s. w., von denen ich offen bekenne, dass ich sie nicht besitze. Wenn daher keine vollständig abschlies- sende Untersuchung möglich war, so musste mein Augen- merk hauptsächlich auf zwei Punkte gerichtet sein: nämlich innerhalb gewisser Grenzen eine feste Grundlage zu gewin- nen und ferner das gesammte Material in der Weise über- sichtlich zu ordnen, dass dadurch ein Einblick in den Stand der einzelnen Fragen möglichst erleichtert und die Aufmerk-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/482>, abgerufen am 29.06.2024.