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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 13. Die Sippe.
ist es Sache ihrer Sippe, sie durch Eid oder Zweikampf zu reinigen47.
Die Schuldige aber ist nicht bloss der Rache des Ehemanns und seiner
Verwandten, sondern auch ihrer eigenen Blutsfreunde ausgesetzt48.

Den Pflichten, welche der Sippeverband auferlegte, insbesondere
der Teilnahme an der Fehde und der Magenhaftung konnte der
einzelne sich nicht entziehen, so lange er innerhalb der Sippe ver-
blieb. Doch war es zulässig, sich durch Austritt aus der Sippe,
durch Entsippung von diesen Pflichten zu befreien. So wenigstens
schon nach dem altsalischen Volksrechte49, welches für die Entsippung
eine rechtsförmliche gerichtliche Handlung vorschreibt, die einen
altertümlichen Charakter hat. Der Ausscheidende zerbricht nämlich
über seinem Haupte vier Erlenstäbe, wirft sie von sich und erklärt,
dass er sich lossage von der Eideshilfe50, von der Erbschaft und von
jeder Gemeinschaft mit der Sippe. Mit den Pflichten werden auch
die Rechte der Sippe aufgegeben. Wenn einer seiner früheren
Geschlechtsgenossen stirbt, hat der Entsippte keinen Anspruch auf
Erbe und Wergeld.

Wohl ebenso alt, wenn auch erst in jüngeren Quellen bezeugt,
ist das Recht der Sippe, einen Genossen, für dessen Handlungen sie
nicht haften will, aus ihrem Kreise auszuscheiden, sich von ihm los-
zusagen. Ein angelsächsisches Gesetz setzt die Befugnis der Mag-
schaft voraus, sich von einem Totschläger loszusagen (forsacan). Da-
mit entzieht sie sich der Fehde und der Wergeldhaftung, darf aber
andrerseits dem Ausgeschlossenen weder Nahrung noch Obdach ge-
währen51. Quellen des 15. Jahrhunderts, welche der Landschaft
Drente angehören, kennen eine gerichtliche Handlung, opsechen, Auf-
sagung genannt, welche an drei auf einander folgenden Gerichtstagen
von den gemeinen Magen oder von den Magen der Vaterseite oder
von denen der Mutterseite vorgenommen wird, um die Gemeinschaft
mit einem Sippegenossen aufzuheben52. Hennegauer Handfesten des

47 Rothari 202. 203. Grimoald 7. Lex Thuringorum 15. Gregor von Tours,
Hist. Fr. V 32: aut idoneam redde filiam tuam aut certe moriatur, ne stuprum hoc
generi nostro notam infligat.
48 Wilda, Strafrecht S 811. 823. Bei Gregor von Tours, Hist. Fr. IX 33
S 388 sagt König Guntram: parens mea haec est; si quicquam mali exercuit in
domum viri sui, ego ulciscar.
49 Lex Salica 60.
50 And. Ans. Siegel, Gerichtsverf. S 184 und Cosack, Eidhelfer S 24.
Allein der Wortlaut von Codex 3. 5. 6 ff. spricht gegen die von ihnen ver-
fochtene Ansicht, auch wenn Codex 1. 2. 4 mit ihr vereinbar sein sollten.
51 Edm. II 1 § 2. Schmid, Gesetze der Angels. S 177.
52 Feith, Ordelboek van den Etstoel van Drenthe, 1870 in den Verhande-

§ 13. Die Sippe.
ist es Sache ihrer Sippe, sie durch Eid oder Zweikampf zu reinigen47.
Die Schuldige aber ist nicht bloſs der Rache des Ehemanns und seiner
Verwandten, sondern auch ihrer eigenen Blutsfreunde ausgesetzt48.

Den Pflichten, welche der Sippeverband auferlegte, insbesondere
der Teilnahme an der Fehde und der Magenhaftung konnte der
einzelne sich nicht entziehen, so lange er innerhalb der Sippe ver-
blieb. Doch war es zulässig, sich durch Austritt aus der Sippe,
durch Entsippung von diesen Pflichten zu befreien. So wenigstens
schon nach dem altsalischen Volksrechte49, welches für die Entsippung
eine rechtsförmliche gerichtliche Handlung vorschreibt, die einen
altertümlichen Charakter hat. Der Ausscheidende zerbricht nämlich
über seinem Haupte vier Erlenstäbe, wirft sie von sich und erklärt,
daſs er sich lossage von der Eideshilfe50, von der Erbschaft und von
jeder Gemeinschaft mit der Sippe. Mit den Pflichten werden auch
die Rechte der Sippe aufgegeben. Wenn einer seiner früheren
Geschlechtsgenossen stirbt, hat der Entsippte keinen Anspruch auf
Erbe und Wergeld.

Wohl ebenso alt, wenn auch erst in jüngeren Quellen bezeugt,
ist das Recht der Sippe, einen Genossen, für dessen Handlungen sie
nicht haften will, aus ihrem Kreise auszuscheiden, sich von ihm los-
zusagen. Ein angelsächsisches Gesetz setzt die Befugnis der Mag-
schaft voraus, sich von einem Totschläger loszusagen (forsacan). Da-
mit entzieht sie sich der Fehde und der Wergeldhaftung, darf aber
andrerseits dem Ausgeschlossenen weder Nahrung noch Obdach ge-
währen51. Quellen des 15. Jahrhunderts, welche der Landschaft
Drente angehören, kennen eine gerichtliche Handlung, opsechen, Auf-
sagung genannt, welche an drei auf einander folgenden Gerichtstagen
von den gemeinen Magen oder von den Magen der Vaterseite oder
von denen der Mutterseite vorgenommen wird, um die Gemeinschaft
mit einem Sippegenossen aufzuheben52. Hennegauer Handfesten des

47 Rothari 202. 203. Grimoald 7. Lex Thuringorum 15. Gregor von Tours,
Hist. Fr. V 32: aut idoneam redde filiam tuam aut certe moriatur, ne stuprum hoc
generi nostro notam infligat.
48 Wilda, Strafrecht S 811. 823. Bei Gregor von Tours, Hist. Fr. IX 33
S 388 sagt König Guntram: parens mea haec est; si quicquam mali exercuit in
domum viri sui, ego ulciscar.
49 Lex Salica 60.
50 And. Ans. Siegel, Gerichtsverf. S 184 und Cosack, Eidhelfer S 24.
Allein der Wortlaut von Codex 3. 5. 6 ff. spricht gegen die von ihnen ver-
fochtene Ansicht, auch wenn Codex 1. 2. 4 mit ihr vereinbar sein sollten.
51 Edm. II 1 § 2. Schmid, Gesetze der Angels. S 177.
52 Feith, Ordelboek van den Etstoel van Drenthe, 1870 in den Verhande-
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[92/0110] § 13. Die Sippe. ist es Sache ihrer Sippe, sie durch Eid oder Zweikampf zu reinigen 47. Die Schuldige aber ist nicht bloſs der Rache des Ehemanns und seiner Verwandten, sondern auch ihrer eigenen Blutsfreunde ausgesetzt 48. Den Pflichten, welche der Sippeverband auferlegte, insbesondere der Teilnahme an der Fehde und der Magenhaftung konnte der einzelne sich nicht entziehen, so lange er innerhalb der Sippe ver- blieb. Doch war es zulässig, sich durch Austritt aus der Sippe, durch Entsippung von diesen Pflichten zu befreien. So wenigstens schon nach dem altsalischen Volksrechte 49, welches für die Entsippung eine rechtsförmliche gerichtliche Handlung vorschreibt, die einen altertümlichen Charakter hat. Der Ausscheidende zerbricht nämlich über seinem Haupte vier Erlenstäbe, wirft sie von sich und erklärt, daſs er sich lossage von der Eideshilfe 50, von der Erbschaft und von jeder Gemeinschaft mit der Sippe. Mit den Pflichten werden auch die Rechte der Sippe aufgegeben. Wenn einer seiner früheren Geschlechtsgenossen stirbt, hat der Entsippte keinen Anspruch auf Erbe und Wergeld. Wohl ebenso alt, wenn auch erst in jüngeren Quellen bezeugt, ist das Recht der Sippe, einen Genossen, für dessen Handlungen sie nicht haften will, aus ihrem Kreise auszuscheiden, sich von ihm los- zusagen. Ein angelsächsisches Gesetz setzt die Befugnis der Mag- schaft voraus, sich von einem Totschläger loszusagen (forsacan). Da- mit entzieht sie sich der Fehde und der Wergeldhaftung, darf aber andrerseits dem Ausgeschlossenen weder Nahrung noch Obdach ge- währen 51. Quellen des 15. Jahrhunderts, welche der Landschaft Drente angehören, kennen eine gerichtliche Handlung, opsechen, Auf- sagung genannt, welche an drei auf einander folgenden Gerichtstagen von den gemeinen Magen oder von den Magen der Vaterseite oder von denen der Mutterseite vorgenommen wird, um die Gemeinschaft mit einem Sippegenossen aufzuheben 52. Hennegauer Handfesten des 47 Rothari 202. 203. Grimoald 7. Lex Thuringorum 15. Gregor von Tours, Hist. Fr. V 32: aut idoneam redde filiam tuam aut certe moriatur, ne stuprum hoc generi nostro notam infligat. 48 Wilda, Strafrecht S 811. 823. Bei Gregor von Tours, Hist. Fr. IX 33 S 388 sagt König Guntram: parens mea haec est; si quicquam mali exercuit in domum viri sui, ego ulciscar. 49 Lex Salica 60. 50 And. Ans. Siegel, Gerichtsverf. S 184 und Cosack, Eidhelfer S 24. Allein der Wortlaut von Codex 3. 5. 6 ff. spricht gegen die von ihnen ver- fochtene Ansicht, auch wenn Codex 1. 2. 4 mit ihr vereinbar sein sollten. 51 Edm. II 1 § 2. Schmid, Gesetze der Angels. S 177. 52 Feith, Ordelboek van den Etstoel van Drenthe, 1870 in den Verhande-

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/110>, abgerufen am 24.11.2024.