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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 54. Königsrecht und Kapitularien.
nicht einseitig abändern könne, bei den Franken erhalten. Lex und
Capitulum werden bei ihnen grundsätzlich unterschieden. In Bezug
auf das oben erwähnte Kapitular zur Lex Salica, welches die Form
eines Weistums trägt, haben wir eine Verfügung Ludwigs I., dass die
Kapitel, die er im vergangenen Jahre mit allgemeiner Zustimmung
dem salischen Volksrechte hinzugefügt habe, fürderhin nicht mehr
Capitula, sondern Lex genannt werden und als solche beachtet werden
sollen14. Eine Verordnung Karls von 803 bestimmt, dass ein Kapi-
tular dieses Jahres dem Volke zur Annahme vorgelegt und nachdem
es die Zustimmung erlangt habe von den einzelnen unterschrieben
oder signiert werden solle15. Über die Ausführung dieser Massregel
ist uns die vereinzelte Nachricht überliefert, dass jenes Kapitular im
Gau von Paris auf öffentlichem Mallus vor den Schöffen verlesen,
angenommen16 und dann von ihnen, von den Bischöfen, Äbten und
Grafen unterzeichnet wurde17. In helles Licht setzt uns die Voraus-
setzungen und die Schwierigkeiten, mit welchen eine wirksame Ab-
änderung des Volksrechtes sich abzufinden hatte, eine Stelle aus einem
Gesetze Karls des Kahlen von 86418. Nach geltendem Rechte konnte
der Beklagte nicht in den Vorbann gelegt, konnten seine Güter nicht
gefront werden, ehe er nicht secundum legem vorgeladen worden war.
Und zwar verlangte die Lex Salica, dass die Vorladung ad domum
geschehen solle. Nun gab es aber damals in den durch die Nor-

14 Cap. I 295, c. 5: ut capitula, que preterito anno legis Salicae per omnium
consensum addenda esse censuimus, iam non ulterius capitula sed tantum lex di-
cantur, immo pro lege teneantur.
15 Cap. I 116, c. 19.
16 Cap. I 112: et omnes in uno consenserunt, quod ipsi voluissent omni tem-
pore observare usque in posterum.
17 Die Bekräftigung durch Unterschrift findet sich öfter. In Cap. I 170 haben
wir vermutlich den Schluss eines verlorenen Kapitulars, von dem es heisst, dass
Karl es mit Rat und Zustimmung der Grossen und aller Getreuen constituit ex
lege Salica, Romana atque Gombata. Qui et ipse manu propria firmavit capitula
ista, ut omnes fideles manu roborare studuissent. Boretius hat den Passus ge-
mäss der handschriftlichen Überlieferung als Eingang eines Kapitulars abgedruckt.
Allein die Ankündigung der Subskriptio lässt vermuten, dass wir es nicht sowohl
mit einem Protokoll, sondern mit einem Eschatokoll (im Sinne der Diplomatik) zu
thun haben. Auch passt der Inhalt des I 170 ff. abgedruckten Kapitulars, wie
schon Boretius, Beiträge S 47 bemerkt, weder zu einem Capitulare legibus add.,
noch steht es zum salischen, römischen und burgundischen Rechte in irgend welcher
Beziehung. Es scheint sonach ein alter handschriftlicher Irrtum vorzuliegen. --
Conv. Col. v. J. 843 Pertz, LL I 376: capitula ... quae etiam subscriptione eius-
dem principis et episcoporum ac caeterorum fidelium Dei confirmata fuerant.
18 Pertz, LL I 489 c. 6.

§ 54. Königsrecht und Kapitularien.
nicht einseitig abändern könne, bei den Franken erhalten. Lex und
Capitulum werden bei ihnen grundsätzlich unterschieden. In Bezug
auf das oben erwähnte Kapitular zur Lex Salica, welches die Form
eines Weistums trägt, haben wir eine Verfügung Ludwigs I., daſs die
Kapitel, die er im vergangenen Jahre mit allgemeiner Zustimmung
dem salischen Volksrechte hinzugefügt habe, fürderhin nicht mehr
Capitula, sondern Lex genannt werden und als solche beachtet werden
sollen14. Eine Verordnung Karls von 803 bestimmt, daſs ein Kapi-
tular dieses Jahres dem Volke zur Annahme vorgelegt und nachdem
es die Zustimmung erlangt habe von den einzelnen unterschrieben
oder signiert werden solle15. Über die Ausführung dieser Maſsregel
ist uns die vereinzelte Nachricht überliefert, daſs jenes Kapitular im
Gau von Paris auf öffentlichem Mallus vor den Schöffen verlesen,
angenommen16 und dann von ihnen, von den Bischöfen, Äbten und
Grafen unterzeichnet wurde17. In helles Licht setzt uns die Voraus-
setzungen und die Schwierigkeiten, mit welchen eine wirksame Ab-
änderung des Volksrechtes sich abzufinden hatte, eine Stelle aus einem
Gesetze Karls des Kahlen von 86418. Nach geltendem Rechte konnte
der Beklagte nicht in den Vorbann gelegt, konnten seine Güter nicht
gefront werden, ehe er nicht secundum legem vorgeladen worden war.
Und zwar verlangte die Lex Salica, daſs die Vorladung ad domum
geschehen solle. Nun gab es aber damals in den durch die Nor-

14 Cap. I 295, c. 5: ut capitula, que preterito anno legis Salicae per omnium
consensum addenda esse censuimus, iam non ulterius capitula sed tantum lex di-
cantur, immo pro lege teneantur.
15 Cap. I 116, c. 19.
16 Cap. I 112: et omnes in uno consenserunt, quod ipsi voluissent omni tem-
pore observare usque in posterum.
17 Die Bekräftigung durch Unterschrift findet sich öfter. In Cap. I 170 haben
wir vermutlich den Schluſs eines verlorenen Kapitulars, von dem es heiſst, daſs
Karl es mit Rat und Zustimmung der Groſsen und aller Getreuen constituit ex
lege Salica, Romana atque Gombata. Qui et ipse manu propria firmavit capitula
ista, ut omnes fideles manu roborare studuissent. Boretius hat den Passus ge-
mäſs der handschriftlichen Überlieferung als Eingang eines Kapitulars abgedruckt.
Allein die Ankündigung der Subskriptio läſst vermuten, daſs wir es nicht sowohl
mit einem Protokoll, sondern mit einem Eschatokoll (im Sinne der Diplomatik) zu
thun haben. Auch paſst der Inhalt des I 170 ff. abgedruckten Kapitulars, wie
schon Boretius, Beiträge S 47 bemerkt, weder zu einem Capitulare legibus add.,
noch steht es zum salischen, römischen und burgundischen Rechte in irgend welcher
Beziehung. Es scheint sonach ein alter handschriftlicher Irrtum vorzuliegen. —
Conv. Col. v. J. 843 Pertz, LL I 376: capitula … quae etiam subscriptione eius-
dem principis et episcoporum ac caeterorum fidelium Dei confirmata fuerant.
18 Pertz, LL I 489 c. 6.
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[379/0397] § 54. Königsrecht und Kapitularien. nicht einseitig abändern könne, bei den Franken erhalten. Lex und Capitulum werden bei ihnen grundsätzlich unterschieden. In Bezug auf das oben erwähnte Kapitular zur Lex Salica, welches die Form eines Weistums trägt, haben wir eine Verfügung Ludwigs I., daſs die Kapitel, die er im vergangenen Jahre mit allgemeiner Zustimmung dem salischen Volksrechte hinzugefügt habe, fürderhin nicht mehr Capitula, sondern Lex genannt werden und als solche beachtet werden sollen 14. Eine Verordnung Karls von 803 bestimmt, daſs ein Kapi- tular dieses Jahres dem Volke zur Annahme vorgelegt und nachdem es die Zustimmung erlangt habe von den einzelnen unterschrieben oder signiert werden solle 15. Über die Ausführung dieser Maſsregel ist uns die vereinzelte Nachricht überliefert, daſs jenes Kapitular im Gau von Paris auf öffentlichem Mallus vor den Schöffen verlesen, angenommen 16 und dann von ihnen, von den Bischöfen, Äbten und Grafen unterzeichnet wurde 17. In helles Licht setzt uns die Voraus- setzungen und die Schwierigkeiten, mit welchen eine wirksame Ab- änderung des Volksrechtes sich abzufinden hatte, eine Stelle aus einem Gesetze Karls des Kahlen von 864 18. Nach geltendem Rechte konnte der Beklagte nicht in den Vorbann gelegt, konnten seine Güter nicht gefront werden, ehe er nicht secundum legem vorgeladen worden war. Und zwar verlangte die Lex Salica, daſs die Vorladung ad domum geschehen solle. Nun gab es aber damals in den durch die Nor- 14 Cap. I 295, c. 5: ut capitula, que preterito anno legis Salicae per omnium consensum addenda esse censuimus, iam non ulterius capitula sed tantum lex di- cantur, immo pro lege teneantur. 15 Cap. I 116, c. 19. 16 Cap. I 112: et omnes in uno consenserunt, quod ipsi voluissent omni tem- pore observare usque in posterum. 17 Die Bekräftigung durch Unterschrift findet sich öfter. In Cap. I 170 haben wir vermutlich den Schluſs eines verlorenen Kapitulars, von dem es heiſst, daſs Karl es mit Rat und Zustimmung der Groſsen und aller Getreuen constituit ex lege Salica, Romana atque Gombata. Qui et ipse manu propria firmavit capitula ista, ut omnes fideles manu roborare studuissent. Boretius hat den Passus ge- mäſs der handschriftlichen Überlieferung als Eingang eines Kapitulars abgedruckt. Allein die Ankündigung der Subskriptio läſst vermuten, daſs wir es nicht sowohl mit einem Protokoll, sondern mit einem Eschatokoll (im Sinne der Diplomatik) zu thun haben. Auch paſst der Inhalt des I 170 ff. abgedruckten Kapitulars, wie schon Boretius, Beiträge S 47 bemerkt, weder zu einem Capitulare legibus add., noch steht es zum salischen, römischen und burgundischen Rechte in irgend welcher Beziehung. Es scheint sonach ein alter handschriftlicher Irrtum vorzuliegen. — Conv. Col. v. J. 843 Pertz, LL I 376: capitula … quae etiam subscriptione eius- dem principis et episcoporum ac caeterorum fidelium Dei confirmata fuerant. 18 Pertz, LL I 489 c. 6.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/397>, abgerufen am 24.11.2024.