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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 90. Das Finanzwesen.
die Erlaubnis zur Handhabung des Zollbannrechts 38. Die öffentliche
Gewalt übte in Sachen des Marktwesens der Graf, ausser wenn der
Markt auf Immunitätsboden abgehalten wurde. Schon in fränkischer
Zeit bestand eine besondere Marktgerichtsbarkeit; denn es existierte
ein besonderer Marktrichter, iudex fori 39, vermutlich ein Unterbeamter
des Grafen, bezw. des Immunitätsherrn. Aus Anlass der Märkte wur-
den Zölle von den marktgängigen Waren erhoben 40, entweder als
Quoten oder als feste Marktzölle 41, ausserdem wohl auch wie im römi-
schen Reiche ein Standzoll für Verkaufsplätze 42.

Auf Zolldefraudationen stand Konfiskation der Ware und des
Fahrzeuges 43 oder die königliche Bannbusse von sechzig Schillingen 44.
Sie wurden nicht im Wege des Gerichtsverfahrens, sondern im Ver-
waltungswege geahndet. Rechtswidrige Erhebung von Zöllen wurde
gleichfalls mit sechzig Solidi gebüsst 45.

In merowingischer Zeit kämpfte die Amtsaristokratie gegen miss-
liebige Neuerungen des Königtums in Zollsachen. Chlothar II. musste
i. J. 614 versprechen, dass es hinsichtlich der Zollstätten und der
zollpflichtigen Waren bei dem älteren Herkommen bleiben solle 46.
Die Karolinger sahen sich veranlasst, wiederholt einzuschärfen, dass
Zölle nur nach alter Gewohnheit erhoben würden, und gegen Miss-
bräuche einzuschreiten, welche öffentliche Beamte oder Immunitäts-
herren sich durch Erhöhung der Zölle oder Anlegung neuer Zollstätten
zu Schulden kommen liessen 47. Aus Anlass zahlreicher Beschwerden

38 Über das Marktkreuz als Zeichen des Marktfriedens siehe Schröder,
RG S. 110, Anm. 28. Über den Marktfrieden unten § 130.
39 Adrevaldi Floriacensis Miracula S. Benedicti, c. 35, MG SS XV 496: con-
tentione oborta iudex fori Engilraus vocabulo accurrit. Siehe oben S. 201, Anm. 25.
40 Das spätrömische Recht kennt einen Marktzoll unter dem Namen siliqua-
ticus. Marquardt, Röm. Staatsverwaltung II 279. Er wurde u. a. auch von
Getreide, Öl und Wein erhoben. Cassiodor, Var. IV 19. Er erhielt sich in Ita-
lien (Troya, Cod. dipl. V, Nr. 985, S. 716) und begegnet noch in der Urkunde
Karls des Gr. für Aquileja, Mühlbacher Nr. 393.
41 Rathgen a. O. S. 14. Feste Marktzölle hat die Zollrolle von Raffel-
stetten.
42 Über das Standgeld, proponenda, siehe Gothofred zu Cod. Theod. VII 20, 2.
43 So nach dem Zollweistum von Raffelstetten.
44 Cap. de functionibus publ. v. J. 820, c. 2, I 294. Siehe Wilh. Sickel
a. O. S. 509 ff.
45 Pipp. Cap. 754--755, c. 4, I 32. Cap. omnibus cognita fac. 801--814, c. 7,
I 144. Cap. Mantuan. 781 (?), c. 8, I 190. Cap. legg. add. 818/9, c. 17, I 284.
Cap. de functionibus publ. v. J. 820, c. 1, I 294.
46 Chloth. ed. c. 9, I 22.
47 Waitz, VG IV 55, Anm. 2.

§ 90. Das Finanzwesen.
die Erlaubnis zur Handhabung des Zollbannrechts 38. Die öffentliche
Gewalt übte in Sachen des Marktwesens der Graf, auſser wenn der
Markt auf Immunitätsboden abgehalten wurde. Schon in fränkischer
Zeit bestand eine besondere Marktgerichtsbarkeit; denn es existierte
ein besonderer Marktrichter, iudex fori 39, vermutlich ein Unterbeamter
des Grafen, bezw. des Immunitätsherrn. Aus Anlaſs der Märkte wur-
den Zölle von den marktgängigen Waren erhoben 40, entweder als
Quoten oder als feste Marktzölle 41, auſserdem wohl auch wie im römi-
schen Reiche ein Standzoll für Verkaufsplätze 42.

Auf Zolldefraudationen stand Konfiskation der Ware und des
Fahrzeuges 43 oder die königliche Bannbuſse von sechzig Schillingen 44.
Sie wurden nicht im Wege des Gerichtsverfahrens, sondern im Ver-
waltungswege geahndet. Rechtswidrige Erhebung von Zöllen wurde
gleichfalls mit sechzig Solidi gebüſst 45.

In merowingischer Zeit kämpfte die Amtsaristokratie gegen miſs-
liebige Neuerungen des Königtums in Zollsachen. Chlothar II. muſste
i. J. 614 versprechen, daſs es hinsichtlich der Zollstätten und der
zollpflichtigen Waren bei dem älteren Herkommen bleiben solle 46.
Die Karolinger sahen sich veranlaſst, wiederholt einzuschärfen, daſs
Zölle nur nach alter Gewohnheit erhoben würden, und gegen Miſs-
bräuche einzuschreiten, welche öffentliche Beamte oder Immunitäts-
herren sich durch Erhöhung der Zölle oder Anlegung neuer Zollstätten
zu Schulden kommen lieſsen 47. Aus Anlaſs zahlreicher Beschwerden

38 Über das Marktkreuz als Zeichen des Marktfriedens siehe Schröder,
RG S. 110, Anm. 28. Über den Marktfrieden unten § 130.
39 Adrevaldi Floriacensis Miracula S. Benedicti, c. 35, MG SS XV 496: con-
tentione oborta iudex fori Engilraus vocabulo accurrit. Siehe oben S. 201, Anm. 25.
40 Das spätrömische Recht kennt einen Marktzoll unter dem Namen siliqua-
ticus. Marquardt, Röm. Staatsverwaltung II 279. Er wurde u. a. auch von
Getreide, Öl und Wein erhoben. Cassiodor, Var. IV 19. Er erhielt sich in Ita-
lien (Troya, Cod. dipl. V, Nr. 985, S. 716) und begegnet noch in der Urkunde
Karls des Gr. für Aquileja, Mühlbacher Nr. 393.
41 Rathgen a. O. S. 14. Feste Marktzölle hat die Zollrolle von Raffel-
stetten.
42 Über das Standgeld, proponenda, siehe Gothofred zu Cod. Theod. VII 20, 2.
43 So nach dem Zollweistum von Raffelstetten.
44 Cap. de functionibus publ. v. J. 820, c. 2, I 294. Siehe Wilh. Sickel
a. O. S. 509 ff.
45 Pipp. Cap. 754—755, c. 4, I 32. Cap. omnibus cognita fac. 801—814, c. 7,
I 144. Cap. Mantuan. 781 (?), c. 8, I 190. Cap. legg. add. 818/9, c. 17, I 284.
Cap. de functionibus publ. v. J. 820, c. 1, I 294.
46 Chloth. ed. c. 9, I 22.
47 Waitz, VG IV 55, Anm. 2.
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[240/0258] § 90. Das Finanzwesen. die Erlaubnis zur Handhabung des Zollbannrechts 38. Die öffentliche Gewalt übte in Sachen des Marktwesens der Graf, auſser wenn der Markt auf Immunitätsboden abgehalten wurde. Schon in fränkischer Zeit bestand eine besondere Marktgerichtsbarkeit; denn es existierte ein besonderer Marktrichter, iudex fori 39, vermutlich ein Unterbeamter des Grafen, bezw. des Immunitätsherrn. Aus Anlaſs der Märkte wur- den Zölle von den marktgängigen Waren erhoben 40, entweder als Quoten oder als feste Marktzölle 41, auſserdem wohl auch wie im römi- schen Reiche ein Standzoll für Verkaufsplätze 42. Auf Zolldefraudationen stand Konfiskation der Ware und des Fahrzeuges 43 oder die königliche Bannbuſse von sechzig Schillingen 44. Sie wurden nicht im Wege des Gerichtsverfahrens, sondern im Ver- waltungswege geahndet. Rechtswidrige Erhebung von Zöllen wurde gleichfalls mit sechzig Solidi gebüſst 45. In merowingischer Zeit kämpfte die Amtsaristokratie gegen miſs- liebige Neuerungen des Königtums in Zollsachen. Chlothar II. muſste i. J. 614 versprechen, daſs es hinsichtlich der Zollstätten und der zollpflichtigen Waren bei dem älteren Herkommen bleiben solle 46. Die Karolinger sahen sich veranlaſst, wiederholt einzuschärfen, daſs Zölle nur nach alter Gewohnheit erhoben würden, und gegen Miſs- bräuche einzuschreiten, welche öffentliche Beamte oder Immunitäts- herren sich durch Erhöhung der Zölle oder Anlegung neuer Zollstätten zu Schulden kommen lieſsen 47. Aus Anlaſs zahlreicher Beschwerden 38 Über das Marktkreuz als Zeichen des Marktfriedens siehe Schröder, RG S. 110, Anm. 28. Über den Marktfrieden unten § 130. 39 Adrevaldi Floriacensis Miracula S. Benedicti, c. 35, MG SS XV 496: con- tentione oborta iudex fori Engilraus vocabulo accurrit. Siehe oben S. 201, Anm. 25. 40 Das spätrömische Recht kennt einen Marktzoll unter dem Namen siliqua- ticus. Marquardt, Röm. Staatsverwaltung II 279. Er wurde u. a. auch von Getreide, Öl und Wein erhoben. Cassiodor, Var. IV 19. Er erhielt sich in Ita- lien (Troya, Cod. dipl. V, Nr. 985, S. 716) und begegnet noch in der Urkunde Karls des Gr. für Aquileja, Mühlbacher Nr. 393. 41 Rathgen a. O. S. 14. Feste Marktzölle hat die Zollrolle von Raffel- stetten. 42 Über das Standgeld, proponenda, siehe Gothofred zu Cod. Theod. VII 20, 2. 43 So nach dem Zollweistum von Raffelstetten. 44 Cap. de functionibus publ. v. J. 820, c. 2, I 294. Siehe Wilh. Sickel a. O. S. 509 ff. 45 Pipp. Cap. 754—755, c. 4, I 32. Cap. omnibus cognita fac. 801—814, c. 7, I 144. Cap. Mantuan. 781 (?), c. 8, I 190. Cap. legg. add. 818/9, c. 17, I 284. Cap. de functionibus publ. v. J. 820, c. 1, I 294. 46 Chloth. ed. c. 9, I 22. 47 Waitz, VG IV 55, Anm. 2.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/258>, abgerufen am 22.11.2024.