Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 94. Die Immunität. Freiheitsprozesse, durch welche die Freiheit eines Hintersassen, Causae minores, die unter Immunitätsleuten vorkamen, entschied barkeit über ihre Hintersassen; allein criminales actiones ad examen comitis reserventur. 66 Zahlreiche Beispiele giebt Nissl, Gerichtsstand des Klerus 1886, S. 178, Anm. 1--9. 67 Vgl. oben S. 179. 68 Nach Waitz, VG IV 451, soll dies bis circa 840 die Regel gewesen sein. Allein Ludwig I. für Paris, Mühlbacher Nr. 683, handelt nur von der Pflicht, im echten Ding des Grafen zu erscheinen, offenbar weil dieses für causae maiores ausschliesslich kompetent war. Für causae minores hätte das Gericht des Cente- nars genannt werden müssen. Die Urkunde für S. Croix de Poitiers v. J. 822, Mühlbacher Nr. 737, bezieht sich auf Rechtshändel, welche die Kirche selbst mit Dritten auszufechten hat. 69 Ausser Zweifel steht, dass dem Dritten dieser Weg freistand; fraglich ist nur, ob er ihn umgehen konnte. 70 Die Urkunden für Metz und Trier schliessen ein condempnare durch den
öffentlichen Beamten aus. Vaissete Nr. 34 v. J. 815: nec ullus iudex publicus illorum homines .. iudicare praesumat. Unter den Nachfolgern Ludwigs I. spre- chen es die Immunitätsbriefe nicht selten direkt aus, dass die Immunitätsleute nur vor dem Vogte belangt, nicht anderwärts gerichtet werden sollen. Siehe oben S. 299, Anm. 60. § 94. Die Immunität. Freiheitsprozesse, durch welche die Freiheit eines Hintersassen, Causae minores, die unter Immunitätsleuten vorkamen, entschied barkeit über ihre Hintersassen; allein criminales actiones ad examen comitis reserventur. 66 Zahlreiche Beispiele giebt Niſsl, Gerichtsstand des Klerus 1886, S. 178, Anm. 1—9. 67 Vgl. oben S. 179. 68 Nach Waitz, VG IV 451, soll dies bis circa 840 die Regel gewesen sein. Allein Ludwig I. für Paris, Mühlbacher Nr. 683, handelt nur von der Pflicht, im echten Ding des Grafen zu erscheinen, offenbar weil dieses für causae maiores ausschlieſslich kompetent war. Für causae minores hätte das Gericht des Cente- nars genannt werden müssen. Die Urkunde für S. Croix de Poitiers v. J. 822, Mühlbacher Nr. 737, bezieht sich auf Rechtshändel, welche die Kirche selbst mit Dritten auszufechten hat. 69 Auſser Zweifel steht, daſs dem Dritten dieser Weg freistand; fraglich ist nur, ob er ihn umgehen konnte. 70 Die Urkunden für Metz und Trier schlieſsen ein condempnare durch den
öffentlichen Beamten aus. Vaissete Nr. 34 v. J. 815: nec ullus iudex publicus illorum homines .. iudicare praesumat. Unter den Nachfolgern Ludwigs I. spre- chen es die Immunitätsbriefe nicht selten direkt aus, daſs die Immunitätsleute nur vor dem Vogte belangt, nicht anderwärts gerichtet werden sollen. Siehe oben S. 299, Anm. 60. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0319" n="301"/> <fw place="top" type="header">§ 94. Die Immunität.</fw><lb/> <p>Freiheitsprozesse, durch welche die Freiheit eines Hintersassen,<lb/> sei es nun vom Immunitätsherrn selbst oder von einem der Immuni-<lb/> tätsleute oder von einem Dritten, in Frage gestellt wurde, muſsten<lb/> im Grafengerichte erledigt werden<note place="foot" n="66">Zahlreiche Beispiele giebt <hi rendition="#g">Niſsl</hi>, Gerichtsstand des Klerus 1886, S. 178,<lb/> Anm. 1—9.</note>, mindestens seit sie der Kompe-<lb/> tenz des Unterrichters entzogen worden waren<note place="foot" n="67">Vgl. oben S. 179.</note>. Zu Streitigkeiten<lb/> um echtes Grundeigentum war bei Hintersassen selbstverständlich kein<lb/> Anlaſs vorhanden.</p><lb/> <p>Causae minores, die unter Immunitätsleuten vorkamen, entschied<lb/> das Immunitätsgericht. Gegen Dritte muſsten dahin gehörige An-<lb/> sprüche von den Immunitätsleuten im öffentlichen Gerichte verfolgt<lb/> werden, wobei sie die Vertretung des herrschaftlichen Vogtes in An-<lb/> spruch nehmen konnten. Bestritten ist es, wie es bei Klagen Dritter<lb/> gegen Immunitätsleute gehalten wurde. Manche meinen, daſs der Be-<lb/> langte mit dem Vogte der Immunität vor dem öffentlichen Richter zu<lb/> Recht stehen muſste<note place="foot" n="68">Nach <hi rendition="#g">Waitz</hi>, VG IV 451, soll dies bis circa 840 die Regel gewesen sein.<lb/> Allein Ludwig I. für Paris, <hi rendition="#g">Mühlbacher</hi> Nr. 683, handelt nur von der Pflicht, im<lb/> echten Ding des Grafen zu erscheinen, offenbar weil dieses für causae maiores<lb/> ausschlieſslich kompetent war. Für causae minores hätte das Gericht des Cente-<lb/> nars genannt werden müssen. Die Urkunde für S. Croix de Poitiers v. J. 822,<lb/><hi rendition="#g">Mühlbacher</hi> Nr. 737, bezieht sich auf Rechtshändel, welche die Kirche selbst<lb/> mit Dritten auszufechten hat.</note>, während nach einer anderen Ansicht der Dritte<lb/> sich zunächst an den Immunitätsherrn oder dessen Vogt zu wenden<lb/> hatte, der dann die Sache im Immunitätsgerichte verhandeln lieſs<note place="foot" n="69">Auſser Zweifel steht, daſs dem Dritten dieser Weg freistand; fraglich ist<lb/> nur, ob er ihn umgehen konnte.</note>.<lb/> Mag erstere Meinung für die ältere Zeit zutreffend sein, so findet sich<lb/> doch schon in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts, daſs der<lb/> Dritte verpflichtet ist, zunächst den Immunitätsherrn oder dessen Vogt<lb/> anzugehen<note place="foot" n="70">Die Urkunden für Metz und Trier schlieſsen ein condempnare durch den<lb/> öffentlichen Beamten aus. Vaissete Nr. 34 v. J. 815: nec ullus iudex publicus<lb/> illorum homines .. iudicare praesumat. Unter den Nachfolgern Ludwigs I. spre-<lb/> chen es die Immunitätsbriefe nicht selten direkt aus, daſs die Immunitätsleute nur<lb/> vor dem Vogte belangt, nicht anderwärts gerichtet werden sollen. Siehe oben<lb/> S. 299, Anm. 60.</note>. Spätestens seit dem neunten Jahrhundert war dies all-<lb/> gemeiner Grundsatz. Erst wenn der Dritte mit der Erledigung, welche<lb/> die Sache im Immunitätsgerichte fand, unzufrieden war oder wenn<lb/><note xml:id="seg2pn_79_2" prev="#seg2pn_79_1" place="foot" n="65">barkeit über ihre Hintersassen; allein criminales actiones ad examen comitis<lb/> reserventur.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [301/0319]
§ 94. Die Immunität.
Freiheitsprozesse, durch welche die Freiheit eines Hintersassen,
sei es nun vom Immunitätsherrn selbst oder von einem der Immuni-
tätsleute oder von einem Dritten, in Frage gestellt wurde, muſsten
im Grafengerichte erledigt werden 66, mindestens seit sie der Kompe-
tenz des Unterrichters entzogen worden waren 67. Zu Streitigkeiten
um echtes Grundeigentum war bei Hintersassen selbstverständlich kein
Anlaſs vorhanden.
Causae minores, die unter Immunitätsleuten vorkamen, entschied
das Immunitätsgericht. Gegen Dritte muſsten dahin gehörige An-
sprüche von den Immunitätsleuten im öffentlichen Gerichte verfolgt
werden, wobei sie die Vertretung des herrschaftlichen Vogtes in An-
spruch nehmen konnten. Bestritten ist es, wie es bei Klagen Dritter
gegen Immunitätsleute gehalten wurde. Manche meinen, daſs der Be-
langte mit dem Vogte der Immunität vor dem öffentlichen Richter zu
Recht stehen muſste 68, während nach einer anderen Ansicht der Dritte
sich zunächst an den Immunitätsherrn oder dessen Vogt zu wenden
hatte, der dann die Sache im Immunitätsgerichte verhandeln lieſs 69.
Mag erstere Meinung für die ältere Zeit zutreffend sein, so findet sich
doch schon in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts, daſs der
Dritte verpflichtet ist, zunächst den Immunitätsherrn oder dessen Vogt
anzugehen 70. Spätestens seit dem neunten Jahrhundert war dies all-
gemeiner Grundsatz. Erst wenn der Dritte mit der Erledigung, welche
die Sache im Immunitätsgerichte fand, unzufrieden war oder wenn
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66 Zahlreiche Beispiele giebt Niſsl, Gerichtsstand des Klerus 1886, S. 178,
Anm. 1—9.
67 Vgl. oben S. 179.
68 Nach Waitz, VG IV 451, soll dies bis circa 840 die Regel gewesen sein.
Allein Ludwig I. für Paris, Mühlbacher Nr. 683, handelt nur von der Pflicht, im
echten Ding des Grafen zu erscheinen, offenbar weil dieses für causae maiores
ausschlieſslich kompetent war. Für causae minores hätte das Gericht des Cente-
nars genannt werden müssen. Die Urkunde für S. Croix de Poitiers v. J. 822,
Mühlbacher Nr. 737, bezieht sich auf Rechtshändel, welche die Kirche selbst
mit Dritten auszufechten hat.
69 Auſser Zweifel steht, daſs dem Dritten dieser Weg freistand; fraglich ist
nur, ob er ihn umgehen konnte.
70 Die Urkunden für Metz und Trier schlieſsen ein condempnare durch den
öffentlichen Beamten aus. Vaissete Nr. 34 v. J. 815: nec ullus iudex publicus
illorum homines .. iudicare praesumat. Unter den Nachfolgern Ludwigs I. spre-
chen es die Immunitätsbriefe nicht selten direkt aus, daſs die Immunitätsleute nur
vor dem Vogte belangt, nicht anderwärts gerichtet werden sollen. Siehe oben
S. 299, Anm. 60.
65 barkeit über ihre Hintersassen; allein criminales actiones ad examen comitis
reserventur.
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