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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 95. Die Vögte.
die Erledigung verweigert oder verzögert wurde, mochte er sich an
das öffentliche Gericht wenden. Doch stand ihm hier als Beklagter
nicht der Hintersasse, sondern nur der Immunitätsherr oder dessen
Vogt gegenüber, der sich wegen Rechtsverweigerung oder ungerechter
Erledigung der Sache zu verantworten hatte71.

Die Gerichtsbarkeit, die dem Immunitätsherrn fehlte, deckte
sich im wesentlichen mit derjenigen, die dem Grafen im Verhältnis
zum Vikar oder Centenar vorbehalten war. Demnach beschränkte sich
die Immunitätsgerichtsbarkeit im ganzen auf den Umfang der dem
Vikar oder Centenar zustehenden Kompetenz. Als zu Anfang des
neunten Jahrhunderts der Wirkungskreis des Vikars eingeengt wurde72,
hat diese Neuerung die bereits bestehenden Immunitätsgerichte wohl
nicht überall beeinflusst, sodass Ausnahmen bestehen blieben, welche
sich aus dem Fortleben der hergebrachten Kompetenzverhältnisse er-
klären73.

§ 95. Die Vögte.

Muratori, Dissertatio de advocatis et vicedominis in Antiquitates Italiae vol.
V 273. Pfeffinger, Corpus iuris publici (1759) I 1152 (I 15, § 8). Montag,
Geschichte der d. staatsbürgerlichen Freyheit 1812, I 244. Waitz, VG II 2, S. 20.
378, IV 463 ff. v. Daniels, Handbuch I 570. v. Bethmann-Hollweg, Civil-
prozess V 48 ff. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung I 254. Derselbe, Z.
f. Kirchenrecht IX 226. Edg. Loening, Kirchenrecht II 534, Anm. 3; 724.
Schröder, RG S. 193 ff. v. Wickede, Die Vogtei in den geistlichen Stiftern
des fränkischen Reiches 1886. Wilhelm Sickel in den Götting. gel. Anzeigen
1890, S. 589. Ficker, Forschungen II 20. Viollet, Histoire I 372. Beau-
chet, Histoire de l'organisation judiciaire S. 451 ff.

Grundherren und Immunitätsherren bestellten besondere Privat-
beamte, welche die herrschaftlichen Befugnisse gegen Grundholden und

71 Vaissete Nr. 34: quicquid per lege iudicaverint stabilis permaneat et si
extra legem fecerint, per legem emendent. Die noch im neunten Jahrhundert ge-
fälschte Urkunde für Le Mans, Mühlbacher Nr. 972, verbietet, dass die Be-
amten der Kirche im mallus publicus belangt würden, ehe der Kläger sich an die
iudices villarum atque hominum, a quibus laesus est, gewendet habe. Si ab ipso
episcopo neque a suis ministris suam iustitiam accipere nequiverit, postmodum
licentiam habeat, ut in mallo publico suas querelas iuste et rationabiliter atque
legaliter quaerat. Daraus geht jedenfalls mit Sicherheit hervor, dass in mallo pu-
blico nicht der schuldige Hintersasse belangt wurde, da das Verbot sofortiger La-
dung nicht auf ihn, sondern auf den Immunitätsbeamten bezogen wird. Dieselbe
Urkunde enthält den Ausdruck familiaris iustitia, welchen Bethmann-Hollweg und
andere als einen technischen glauben verwerten zu können.
72 Siehe oben S. 178 f.
73 Vgl. Ernst Mayer, Entstehung der Lex Ribuaria S. 168, mit Beziehung
auf Polypt. S. Remig. XVII, § 127.

§ 95. Die Vögte.
die Erledigung verweigert oder verzögert wurde, mochte er sich an
das öffentliche Gericht wenden. Doch stand ihm hier als Beklagter
nicht der Hintersasse, sondern nur der Immunitätsherr oder dessen
Vogt gegenüber, der sich wegen Rechtsverweigerung oder ungerechter
Erledigung der Sache zu verantworten hatte71.

Die Gerichtsbarkeit, die dem Immunitätsherrn fehlte, deckte
sich im wesentlichen mit derjenigen, die dem Grafen im Verhältnis
zum Vikar oder Centenar vorbehalten war. Demnach beschränkte sich
die Immunitätsgerichtsbarkeit im ganzen auf den Umfang der dem
Vikar oder Centenar zustehenden Kompetenz. Als zu Anfang des
neunten Jahrhunderts der Wirkungskreis des Vikars eingeengt wurde72,
hat diese Neuerung die bereits bestehenden Immunitätsgerichte wohl
nicht überall beeinfluſst, sodaſs Ausnahmen bestehen blieben, welche
sich aus dem Fortleben der hergebrachten Kompetenzverhältnisse er-
klären73.

§ 95. Die Vögte.

Muratori, Dissertatio de advocatis et vicedominis in Antiquitates Italiae vol.
V 273. Pfeffinger, Corpus iuris publici (1759) I 1152 (I 15, § 8). Montag,
Geschichte der d. staatsbürgerlichen Freyheit 1812, I 244. Waitz, VG II 2, S. 20.
378, IV 463 ff. v. Daniels, Handbuch I 570. v. Bethmann-Hollweg, Civil-
prozeſs V 48 ff. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung I 254. Derselbe, Z.
f. Kirchenrecht IX 226. Edg. Loening, Kirchenrecht II 534, Anm. 3; 724.
Schröder, RG S. 193 ff. v. Wickede, Die Vogtei in den geistlichen Stiftern
des fränkischen Reiches 1886. Wilhelm Sickel in den Götting. gel. Anzeigen
1890, S. 589. Ficker, Forschungen II 20. Viollet, Histoire I 372. Beau-
chet, Histoire de l’organisation judiciaire S. 451 ff.

Grundherren und Immunitätsherren bestellten besondere Privat-
beamte, welche die herrschaftlichen Befugnisse gegen Grundholden und

71 Vaissete Nr. 34: quicquid per lege iudicaverint stabilis permaneat et si
extra legem fecerint, per legem emendent. Die noch im neunten Jahrhundert ge-
fälschte Urkunde für Le Mans, Mühlbacher Nr. 972, verbietet, daſs die Be-
amten der Kirche im mallus publicus belangt würden, ehe der Kläger sich an die
iudices villarum atque hominum, a quibus laesus est, gewendet habe. Si ab ipso
episcopo neque a suis ministris suam iustitiam accipere nequiverit, postmodum
licentiam habeat, ut in mallo publico suas querelas iuste et rationabiliter atque
legaliter quaerat. Daraus geht jedenfalls mit Sicherheit hervor, daſs in mallo pu-
blico nicht der schuldige Hintersasse belangt wurde, da das Verbot sofortiger La-
dung nicht auf ihn, sondern auf den Immunitätsbeamten bezogen wird. Dieselbe
Urkunde enthält den Ausdruck familiaris iustitia, welchen Bethmann-Hollweg und
andere als einen technischen glauben verwerten zu können.
72 Siehe oben S. 178 f.
73 Vgl. Ernst Mayer, Entstehung der Lex Ribuaria S. 168, mit Beziehung
auf Polypt. S. Remig. XVII, § 127.
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[302/0320] § 95. Die Vögte. die Erledigung verweigert oder verzögert wurde, mochte er sich an das öffentliche Gericht wenden. Doch stand ihm hier als Beklagter nicht der Hintersasse, sondern nur der Immunitätsherr oder dessen Vogt gegenüber, der sich wegen Rechtsverweigerung oder ungerechter Erledigung der Sache zu verantworten hatte 71. Die Gerichtsbarkeit, die dem Immunitätsherrn fehlte, deckte sich im wesentlichen mit derjenigen, die dem Grafen im Verhältnis zum Vikar oder Centenar vorbehalten war. Demnach beschränkte sich die Immunitätsgerichtsbarkeit im ganzen auf den Umfang der dem Vikar oder Centenar zustehenden Kompetenz. Als zu Anfang des neunten Jahrhunderts der Wirkungskreis des Vikars eingeengt wurde 72, hat diese Neuerung die bereits bestehenden Immunitätsgerichte wohl nicht überall beeinfluſst, sodaſs Ausnahmen bestehen blieben, welche sich aus dem Fortleben der hergebrachten Kompetenzverhältnisse er- klären 73. § 95. Die Vögte. Muratori, Dissertatio de advocatis et vicedominis in Antiquitates Italiae vol. V 273. Pfeffinger, Corpus iuris publici (1759) I 1152 (I 15, § 8). Montag, Geschichte der d. staatsbürgerlichen Freyheit 1812, I 244. Waitz, VG II 2, S. 20. 378, IV 463 ff. v. Daniels, Handbuch I 570. v. Bethmann-Hollweg, Civil- prozeſs V 48 ff. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung I 254. Derselbe, Z. f. Kirchenrecht IX 226. Edg. Loening, Kirchenrecht II 534, Anm. 3; 724. Schröder, RG S. 193 ff. v. Wickede, Die Vogtei in den geistlichen Stiftern des fränkischen Reiches 1886. Wilhelm Sickel in den Götting. gel. Anzeigen 1890, S. 589. Ficker, Forschungen II 20. Viollet, Histoire I 372. Beau- chet, Histoire de l’organisation judiciaire S. 451 ff. Grundherren und Immunitätsherren bestellten besondere Privat- beamte, welche die herrschaftlichen Befugnisse gegen Grundholden und 71 Vaissete Nr. 34: quicquid per lege iudicaverint stabilis permaneat et si extra legem fecerint, per legem emendent. Die noch im neunten Jahrhundert ge- fälschte Urkunde für Le Mans, Mühlbacher Nr. 972, verbietet, daſs die Be- amten der Kirche im mallus publicus belangt würden, ehe der Kläger sich an die iudices villarum atque hominum, a quibus laesus est, gewendet habe. Si ab ipso episcopo neque a suis ministris suam iustitiam accipere nequiverit, postmodum licentiam habeat, ut in mallo publico suas querelas iuste et rationabiliter atque legaliter quaerat. Daraus geht jedenfalls mit Sicherheit hervor, daſs in mallo pu- blico nicht der schuldige Hintersasse belangt wurde, da das Verbot sofortiger La- dung nicht auf ihn, sondern auf den Immunitätsbeamten bezogen wird. Dieselbe Urkunde enthält den Ausdruck familiaris iustitia, welchen Bethmann-Hollweg und andere als einen technischen glauben verwerten zu können. 72 Siehe oben S. 178 f. 73 Vgl. Ernst Mayer, Entstehung der Lex Ribuaria S. 168, mit Beziehung auf Polypt. S. Remig. XVII, § 127.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/320>, abgerufen am 22.11.2024.