das Wergeld der Frau, sondern auch das des ungeborenen Kindes; denn das sind, wie die isländische Gragas, in diesem Punkte mit den deutschen Volksrechten übereinstimmend, sich ausdrückt, zwei Tod- schlagssachen 30. Ähnlich wird aber mitunter auch eine That behandelt, die bei unteilbarem Erfolge nur ein Gut, aber mehrere Rechtsnormen verletzt. Nach fränkischem Rechte konnte es sogar vorkommen, dass wegen derselben That Busse und peinliche Strafe nebeneinander verhängt wurden. Wer den Gegner trotz geschworener Urfehde tötete, zahlte das Wergeld wegen des Todschlags, verlor die Schwurhand wegen des Meineids und verwirkte den Königsbann wegen des Un- gehorsams gegen das königliche Verbot 31.
Die Kumulierung von Bussen und sonstigen Strafen hatte aber ihre Grenzen. Brachte jemand einem andern mehrere Wunden oder Schläge bei, so wurde zunächst jede Wunde, jeder Schlag be- sonders gebüsst. Allein in der Regel ging die Addition über eine be- stimmte Zahl von Wunden oder Schlägen nicht hinaus. So wurden nach fränkischem Rechte nicht mehr als drei trockene (unblutige) Schläge berechnet, mochten ihrer noch so viele gewesen sein 32. Das langobardische Recht summierte die Bussen bei Freien bis zu drei, bei Aldien und Knechten nur bis zu zwei Wunden 33. Wenn aus einer Kopfwunde einzelne Knochensplitter heraustraten oder herausgenommen werden mussten, so hatte jeder Splitter seine Busse. Allein nach sali- schem Rechte wurden nur drei Knochensplitter gebüsst 34, ebensoviele nach langobardischem Rechte bei Freien, während Aldien und Knechte stets mit der einfachen Busse des Knochenbruchs abgefunden wurden 35. Eine feinere Methode hat für solchen Fall das ribuarische Recht. Auf den ersten klingenden Knochen, d. h. auf einen Knochen, der so gross ist, dass er, über zwölf Fuss Entfernung auf einen Schild ge- worfen, diesen ertönen macht, steht eine Busse von 36 Schillingen 36. Jeder weitere wird nur mit einer Zusatzbusse von je einem Schilling bezahlt. Manche Rechte setzen die Grenze der Kumulierung in dem Gesamtbetrage der Busssumme fest. So soll nach dem Rechte von Schonen für eine Mehrheit von Wunden nie mehr als 5 Mark, nach west- und ostfriesischem Rechte laut einem Zusatz der Lex Frisionum
30 Gragas I a S. 171 (II 336).
31 Cap. Theod. v. J. 805, c. 5, I 123. Vgl. Ansegis App. 2, 35.
32 Lex Sal. 17, 6. Lex Rib. 1.
33 Roth. 46. 61. 78. 103.
34 Lex Sal. 17, 3. Ebenso werden nach nordischen Rechten nur fünf bis sieben Knochensplitter gerechnet. Wilda, Strafrecht S. 744.
35 Roth. 47. 79. 103.
36 Lex Rib. 68.
§ 124. Begriff und Arten der Missethat.
das Wergeld der Frau, sondern auch das des ungeborenen Kindes; denn das sind, wie die isländische Grágás, in diesem Punkte mit den deutschen Volksrechten übereinstimmend, sich ausdrückt, zwei Tod- schlagssachen 30. Ähnlich wird aber mitunter auch eine That behandelt, die bei unteilbarem Erfolge nur ein Gut, aber mehrere Rechtsnormen verletzt. Nach fränkischem Rechte konnte es sogar vorkommen, daſs wegen derselben That Buſse und peinliche Strafe nebeneinander verhängt wurden. Wer den Gegner trotz geschworener Urfehde tötete, zahlte das Wergeld wegen des Todschlags, verlor die Schwurhand wegen des Meineids und verwirkte den Königsbann wegen des Un- gehorsams gegen das königliche Verbot 31.
Die Kumulierung von Buſsen und sonstigen Strafen hatte aber ihre Grenzen. Brachte jemand einem andern mehrere Wunden oder Schläge bei, so wurde zunächst jede Wunde, jeder Schlag be- sonders gebüſst. Allein in der Regel ging die Addition über eine be- stimmte Zahl von Wunden oder Schlägen nicht hinaus. So wurden nach fränkischem Rechte nicht mehr als drei trockene (unblutige) Schläge berechnet, mochten ihrer noch so viele gewesen sein 32. Das langobardische Recht summierte die Buſsen bei Freien bis zu drei, bei Aldien und Knechten nur bis zu zwei Wunden 33. Wenn aus einer Kopfwunde einzelne Knochensplitter heraustraten oder herausgenommen werden muſsten, so hatte jeder Splitter seine Buſse. Allein nach sali- schem Rechte wurden nur drei Knochensplitter gebüſst 34, ebensoviele nach langobardischem Rechte bei Freien, während Aldien und Knechte stets mit der einfachen Buſse des Knochenbruchs abgefunden wurden 35. Eine feinere Methode hat für solchen Fall das ribuarische Recht. Auf den ersten klingenden Knochen, d. h. auf einen Knochen, der so groſs ist, daſs er, über zwölf Fuſs Entfernung auf einen Schild ge- worfen, diesen ertönen macht, steht eine Buſse von 36 Schillingen 36. Jeder weitere wird nur mit einer Zusatzbuſse von je einem Schilling bezahlt. Manche Rechte setzen die Grenze der Kumulierung in dem Gesamtbetrage der Buſssumme fest. So soll nach dem Rechte von Schonen für eine Mehrheit von Wunden nie mehr als 5 Mark, nach west- und ostfriesischem Rechte laut einem Zusatz der Lex Frisionum
30 Grágás I a S. 171 (II 336).
31 Cap. Theod. v. J. 805, c. 5, I 123. Vgl. Ansegis App. 2, 35.
32 Lex Sal. 17, 6. Lex Rib. 1.
33 Roth. 46. 61. 78. 103.
34 Lex Sal. 17, 3. Ebenso werden nach nordischen Rechten nur fünf bis sieben Knochensplitter gerechnet. Wilda, Strafrecht S. 744.
35 Roth. 47. 79. 103.
36 Lex Rib. 68.
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das Wergeld der Frau, sondern auch das des ungeborenen Kindes;
denn das sind, wie die isländische Grágás, in diesem Punkte mit den
deutschen Volksrechten übereinstimmend, sich ausdrückt, zwei Tod-
schlagssachen 30. Ähnlich wird aber mitunter auch eine That behandelt,
die bei unteilbarem Erfolge nur ein Gut, aber mehrere Rechtsnormen
verletzt. Nach fränkischem Rechte konnte es sogar vorkommen,
daſs wegen derselben That Buſse und peinliche Strafe nebeneinander
verhängt wurden. Wer den Gegner trotz geschworener Urfehde tötete,
zahlte das Wergeld wegen des Todschlags, verlor die Schwurhand
wegen des Meineids und verwirkte den Königsbann wegen des Un-
gehorsams gegen das königliche Verbot 31.
Die Kumulierung von Buſsen und sonstigen Strafen hatte aber
ihre Grenzen. Brachte jemand einem andern mehrere Wunden oder
Schläge bei, so wurde zunächst jede Wunde, jeder Schlag be-
sonders gebüſst. Allein in der Regel ging die Addition über eine be-
stimmte Zahl von Wunden oder Schlägen nicht hinaus. So wurden
nach fränkischem Rechte nicht mehr als drei trockene (unblutige)
Schläge berechnet, mochten ihrer noch so viele gewesen sein 32. Das
langobardische Recht summierte die Buſsen bei Freien bis zu drei,
bei Aldien und Knechten nur bis zu zwei Wunden 33. Wenn aus einer
Kopfwunde einzelne Knochensplitter heraustraten oder herausgenommen
werden muſsten, so hatte jeder Splitter seine Buſse. Allein nach sali-
schem Rechte wurden nur drei Knochensplitter gebüſst 34, ebensoviele
nach langobardischem Rechte bei Freien, während Aldien und Knechte
stets mit der einfachen Buſse des Knochenbruchs abgefunden wurden 35.
Eine feinere Methode hat für solchen Fall das ribuarische Recht.
Auf den ersten klingenden Knochen, d. h. auf einen Knochen, der so
groſs ist, daſs er, über zwölf Fuſs Entfernung auf einen Schild ge-
worfen, diesen ertönen macht, steht eine Buſse von 36 Schillingen 36.
Jeder weitere wird nur mit einer Zusatzbuſse von je einem Schilling
bezahlt. Manche Rechte setzen die Grenze der Kumulierung in dem
Gesamtbetrage der Buſssumme fest. So soll nach dem Rechte von
Schonen für eine Mehrheit von Wunden nie mehr als 5 Mark, nach
west- und ostfriesischem Rechte laut einem Zusatz der Lex Frisionum
30 Grágás I a S. 171 (II 336).
31 Cap. Theod. v. J. 805, c. 5, I 123. Vgl. Ansegis App. 2, 35.
32 Lex Sal. 17, 6. Lex Rib. 1.
33 Roth. 46. 61. 78. 103.
34 Lex Sal. 17, 3. Ebenso werden nach nordischen Rechten nur fünf bis
sieben Knochensplitter gerechnet. Wilda, Strafrecht S. 744.
35 Roth. 47. 79. 103.
36 Lex Rib. 68.
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/560>, abgerufen am 22.11.2024.
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