Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung. Sache in der Absicht der Aneignung heimlich aus fremdem Ge-wahrsam hinwegnimmt. Regelmässig betonen die Volksrechte im Thatbestande des Dieb- Wesentlich ist dem Diebstahl das Merkmal der Heimlichkeit. Es Durch die Tendenz der Aneignung hebt sich der Diebstahl ab tularien statt fur. Larron ist in den altfranzösischen Quellen der Dieb. Larceny heisst bekanntlich im Englischen der Diebstahl im Gegensatz zu robbery, Raub. Soweit man zwischen furtum und latrocinium unterscheidet, zeichnet sich jenes durch grössere Heimlichkeit aus. Glosse bei Wright u. Wülcker I 806, 24: latro a day thefe, fur a nyte thefe. Tempore nocturno fur aufert, latro diurno. 5 Lex Burg. 4, 1. Lex Sal. 11, 5. 6. Lex Rib. 72, 8. Lex Baiuw. XXI 5. Lex Fris. 2, 11; 3, 3. Lex Sax. 32. Lex Angl. et Werin. 38. 44. Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 12, I 118 und öfter. Das englische Strafrecht verlangt ein capere et asportare (das Wegbringen der Sache). Coke, 3 Instit. 108. Auch deutsche Rechtsquellen betonen nachmals das Forttragen. Göschen, Die Gos- larschen Statuten S. 308. Über die gemeinrechtliche Controverse siehe Berner Strafrecht 15. A. S. 542. 6 Siehe oben S. 559. 7 Die nordischen Rechtsquellen, die überhaupt den Diebstahlsbegriff weiter ausdehnen, sprechen allerdings auch von einem Landdieb. Wilda, Strafrecht S. 925. v. Amira, Vollstreckungsverf. S. 162. Allein den westgermanischen Volksrechten ist dieser Begriff nicht geläufig. Insbesondere behandeln sie die Grenzverrückung als eigenartiges Delikt. 8 Denn die Axt ist ein Melder und kein Dieb. Ine 43. Grimm, RA S. 47. 514 f., und die bei Köstlin, Kr.Ü. III 164, Anm. 5 angeführten Belege. 9 Leges Eurici fr. 280. Lex Baiuw. XV 3. 10 Roth. 340. Nach Lex Wisig. VIII 4, 1 gilt es für Diebstahl, wenn der
Eigentümer bis zum dritten Tage das Pferd nicht zu finden vermag. Vgl. Lex Burg. 4, 7. Über die nordischen Rechte Wilda, Strafrecht S. 349. 920. § 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung. Sache in der Absicht der Aneignung heimlich aus fremdem Ge-wahrsam hinwegnimmt. Regelmäſsig betonen die Volksrechte im Thatbestande des Dieb- Wesentlich ist dem Diebstahl das Merkmal der Heimlichkeit. Es Durch die Tendenz der Aneignung hebt sich der Diebstahl ab tularien statt fur. Larron ist in den altfranzösischen Quellen der Dieb. Larceny heiſst bekanntlich im Englischen der Diebstahl im Gegensatz zu robbery, Raub. Soweit man zwischen furtum und latrocinium unterscheidet, zeichnet sich jenes durch gröſsere Heimlichkeit aus. Glosse bei Wright u. Wülcker I 806, 24: latro a day thefe, fur a nyte thefe. Tempore nocturno fur aufert, latro diurno. 5 Lex Burg. 4, 1. Lex Sal. 11, 5. 6. Lex Rib. 72, 8. Lex Baiuw. XXI 5. Lex Fris. 2, 11; 3, 3. Lex Sax. 32. Lex Angl. et Werin. 38. 44. Cap. legi Rib. add. v. J. 803, c. 12, I 118 und öfter. Das englische Strafrecht verlangt ein capere et asportare (das Wegbringen der Sache). Coke, 3 Instit. 108. Auch deutsche Rechtsquellen betonen nachmals das Forttragen. Göschen, Die Gos- larschen Statuten S. 308. Über die gemeinrechtliche Controverse siehe Berner Strafrecht 15. A. S. 542. 6 Siehe oben S. 559. 7 Die nordischen Rechtsquellen, die überhaupt den Diebstahlsbegriff weiter ausdehnen, sprechen allerdings auch von einem Landdieb. Wilda, Strafrecht S. 925. v. Amira, Vollstreckungsverf. S. 162. Allein den westgermanischen Volksrechten ist dieser Begriff nicht geläufig. Insbesondere behandeln sie die Grenzverrückung als eigenartiges Delikt. 8 Denn die Axt ist ein Melder und kein Dieb. Ine 43. Grimm, RA S. 47. 514 f., und die bei Köstlin, Kr.Ü. III 164, Anm. 5 angeführten Belege. 9 Leges Eurici fr. 280. Lex Baiuw. XV 3. 10 Roth. 340. Nach Lex Wisig. VIII 4, 1 gilt es für Diebstahl, wenn der
Eigentümer bis zum dritten Tage das Pferd nicht zu finden vermag. Vgl. Lex Burg. 4, 7. Über die nordischen Rechte Wilda, Strafrecht S. 349. 920. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0656" n="638"/><fw place="top" type="header">§ 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung.</fw><lb/> Sache in der Absicht der Aneignung heimlich aus fremdem Ge-<lb/> wahrsam hinwegnimmt.</p><lb/> <p>Regelmäſsig betonen die Volksrechte im Thatbestande des Dieb-<lb/> stahls das Wegnehmen, auferre<note place="foot" n="5">Lex Burg. 4, 1. Lex Sal. 11, 5. 6. Lex Rib. 72, 8. Lex Baiuw. XXI 5.<lb/> Lex Fris. 2, 11; 3, 3. Lex Sax. 32. Lex Angl. et Werin. 38. 44. Cap. legi Rib.<lb/> add. v. J. 803, c. 12, I 118 und öfter. Das englische Strafrecht verlangt ein<lb/> capere et asportare (das Wegbringen der Sache). <hi rendition="#g">Coke</hi>, 3 Instit. 108. Auch<lb/> deutsche Rechtsquellen betonen nachmals das Forttragen. <hi rendition="#g">Göschen</hi>, Die Gos-<lb/> larschen Statuten S. 308. Über die gemeinrechtliche Controverse siehe <hi rendition="#g">Berner</hi><lb/> Strafrecht 15. A. S. 542.</note>. Durch das Wegnehmen unterscheidet<lb/> sich der Diebstahl vom dieblichen Behalten. Bei handhaftem Diebstahl<lb/> braucht das Wegnehmen nicht zur Ausführung gekommen zu sein, da<lb/> diesfalls der Versuch gleich dem vollendeten Verbrechen behandelt<lb/> wird<note place="foot" n="6">Siehe oben S. 559.</note>. Nur bewegliche Sachen sind Gegenstand des Diebstahls<note place="foot" n="7">Die nordischen Rechtsquellen, die überhaupt den Diebstahlsbegriff weiter<lb/> ausdehnen, sprechen allerdings auch von einem Landdieb. <hi rendition="#g">Wilda</hi>, Strafrecht<lb/> S. 925. v. <hi rendition="#g">Amira</hi>, Vollstreckungsverf. S. 162. Allein den westgermanischen<lb/> Volksrechten ist dieser Begriff nicht geläufig. Insbesondere behandeln sie die<lb/> Grenzverrückung als eigenartiges Delikt.</note>.</p><lb/> <p>Wesentlich ist dem Diebstahl das Merkmal der Heimlichkeit. Es<lb/> liegt schon im Worte. Gotisch thiubjô hat die Bedeutung heimlich.<lb/> Weil die Heimlichkeit fehlt, gilt nicht für einen Dieb, wer mit klingen-<lb/> der Axt fremde Bäume fällt<note place="foot" n="8">Denn die Axt ist ein Melder und kein Dieb. Ine 43. <hi rendition="#g">Grimm</hi>, RA S. 47.<lb/> 514 f., und die bei <hi rendition="#g">Köstlin</hi>, Kr.Ü. III 164, Anm. 5 angeführten Belege.</note>, und ist es nach westgotischem und<lb/> bairischem Rechte kein Diebstahl, wenn jemand bei einem Brande<lb/> unter dem Anschein der Hilfeleistung fremde Habe offen hinwegträgt<note place="foot" n="9">Leges Eurici fr. 280. Lex Baiuw. XV 3.</note>.</p><lb/> <p>Durch die Tendenz der Aneignung hebt sich der Diebstahl ab<lb/> von der Gebrauchsanmaſsung, dem furtum usus. Doch wird jene<lb/> Absicht vermutet, wenn sich nicht aus dem typischen Verhalten des<lb/> Thäters ergiebt, daſs sie ihm ferne lag. So ist z. B. kein Dieb, wer<lb/> auf fremdem Pferde im Wohnorte des Eigentümers oder in der Nähe<lb/> davon herumreitet, wogegen er die Diebstahlsbuſse verwirkt, sobald<lb/> der Ritt in die Ferne geht<note place="foot" n="10">Roth. 340. Nach Lex Wisig. VIII 4, 1 gilt es für Diebstahl, wenn der<lb/> Eigentümer bis zum dritten Tage das Pferd nicht zu finden vermag. Vgl. Lex<lb/> Burg. 4, 7. Über die nordischen Rechte <hi rendition="#g">Wilda</hi>, Strafrecht S. 349. 920.</note>.</p><lb/> <p> <note xml:id="seg2pn_145_2" prev="#seg2pn_145_1" place="foot" n="4">tularien statt fur. Larron ist in den altfranzösischen Quellen der Dieb. Larceny<lb/> heiſst bekanntlich im Englischen der Diebstahl im Gegensatz zu robbery, Raub.<lb/> Soweit man zwischen furtum und latrocinium unterscheidet, zeichnet sich jenes<lb/> durch gröſsere Heimlichkeit aus. Glosse bei <hi rendition="#g">Wright u. Wülcker</hi> I 806, 24:<lb/> latro a day thefe, fur a nyte thefe. Tempore nocturno fur aufert, latro diurno.</note> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [638/0656]
§ 139. Diebstahl, Raub und Unterschlagung.
Sache in der Absicht der Aneignung heimlich aus fremdem Ge-
wahrsam hinwegnimmt.
Regelmäſsig betonen die Volksrechte im Thatbestande des Dieb-
stahls das Wegnehmen, auferre 5. Durch das Wegnehmen unterscheidet
sich der Diebstahl vom dieblichen Behalten. Bei handhaftem Diebstahl
braucht das Wegnehmen nicht zur Ausführung gekommen zu sein, da
diesfalls der Versuch gleich dem vollendeten Verbrechen behandelt
wird 6. Nur bewegliche Sachen sind Gegenstand des Diebstahls 7.
Wesentlich ist dem Diebstahl das Merkmal der Heimlichkeit. Es
liegt schon im Worte. Gotisch thiubjô hat die Bedeutung heimlich.
Weil die Heimlichkeit fehlt, gilt nicht für einen Dieb, wer mit klingen-
der Axt fremde Bäume fällt 8, und ist es nach westgotischem und
bairischem Rechte kein Diebstahl, wenn jemand bei einem Brande
unter dem Anschein der Hilfeleistung fremde Habe offen hinwegträgt 9.
Durch die Tendenz der Aneignung hebt sich der Diebstahl ab
von der Gebrauchsanmaſsung, dem furtum usus. Doch wird jene
Absicht vermutet, wenn sich nicht aus dem typischen Verhalten des
Thäters ergiebt, daſs sie ihm ferne lag. So ist z. B. kein Dieb, wer
auf fremdem Pferde im Wohnorte des Eigentümers oder in der Nähe
davon herumreitet, wogegen er die Diebstahlsbuſse verwirkt, sobald
der Ritt in die Ferne geht 10.
4
5 Lex Burg. 4, 1. Lex Sal. 11, 5. 6. Lex Rib. 72, 8. Lex Baiuw. XXI 5.
Lex Fris. 2, 11; 3, 3. Lex Sax. 32. Lex Angl. et Werin. 38. 44. Cap. legi Rib.
add. v. J. 803, c. 12, I 118 und öfter. Das englische Strafrecht verlangt ein
capere et asportare (das Wegbringen der Sache). Coke, 3 Instit. 108. Auch
deutsche Rechtsquellen betonen nachmals das Forttragen. Göschen, Die Gos-
larschen Statuten S. 308. Über die gemeinrechtliche Controverse siehe Berner
Strafrecht 15. A. S. 542.
6 Siehe oben S. 559.
7 Die nordischen Rechtsquellen, die überhaupt den Diebstahlsbegriff weiter
ausdehnen, sprechen allerdings auch von einem Landdieb. Wilda, Strafrecht
S. 925. v. Amira, Vollstreckungsverf. S. 162. Allein den westgermanischen
Volksrechten ist dieser Begriff nicht geläufig. Insbesondere behandeln sie die
Grenzverrückung als eigenartiges Delikt.
8 Denn die Axt ist ein Melder und kein Dieb. Ine 43. Grimm, RA S. 47.
514 f., und die bei Köstlin, Kr.Ü. III 164, Anm. 5 angeführten Belege.
9 Leges Eurici fr. 280. Lex Baiuw. XV 3.
10 Roth. 340. Nach Lex Wisig. VIII 4, 1 gilt es für Diebstahl, wenn der
Eigentümer bis zum dritten Tage das Pferd nicht zu finden vermag. Vgl. Lex
Burg. 4, 7. Über die nordischen Rechte Wilda, Strafrecht S. 349. 920.
4 tularien statt fur. Larron ist in den altfranzösischen Quellen der Dieb. Larceny
heiſst bekanntlich im Englischen der Diebstahl im Gegensatz zu robbery, Raub.
Soweit man zwischen furtum und latrocinium unterscheidet, zeichnet sich jenes
durch gröſsere Heimlichkeit aus. Glosse bei Wright u. Wülcker I 806, 24:
latro a day thefe, fur a nyte thefe. Tempore nocturno fur aufert, latro diurno.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |