Pferd nebst Heu, Hafer und Stroh für beide bis Martini, dazu Kleider und Hausrat nebst Brot, Wein und Holz bis zur nächsten Ernte, der war kein armer Mann, der stand sich, zumal wenn er die Arme noch zu Handwerksverdienst frei hatte, im Mittelalter relativ besser, als heute die Mehr- zahl derjenigen, welche in Frankfurt zur Klassensteuer ver- anlagt sind.
Daß aber der Vermögensbesitz im Mittelalter sich durchaus nicht etwa auf die Grundbesitzer beschränkt, geht zur Genüge daraus hervor, daß die Verteilung der Hand- werker auf die verschiedenen Steuerstufen ganz ähnlich sich gestaltet wie diejenige der Gesamtbevölkerung, nur daß bei ihnen die niederste Stufe schwächer besetzt ist und die höchste gewöhnlich fehlt. Doch sind Meister mit 30 und 40 Lb Steuer gar nichts Seltenes, und wenn man auf das da- malige Frankfurter Gewerbe im allgemeinen den alten Satz anwenden wollte, daß Handwerk einen goldenen Boden habe, die Bedebücher würden dem nicht widersprechen.
Allerdings hat jede Vergleichung mittelalterlicher und moderner Steuerverhältnisse mit drei fast unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen: 1) der Ungleichheit der Steuersy- steme, indem im Mittelalter das Vermögen, in der Gegenwart das Einkommen die Bemessungsgrundlage der direkten Haupt- steuer bildet, 2) der Verschiedenheit des Geldwertes im Mittelalter und in der Neuzeit und 3) der Unmöglichkeit, die hinter den mittelalterlichen Steuersätzen stehenden Ver- mögenswerte in Geld abzuschätzen. Die letztere Schwierig-
Pferd nebſt Heu, Hafer und Stroh für beide bis Martini, dazu Kleider und Hausrat nebſt Brot, Wein und Holz bis zur nächſten Ernte, der war kein armer Mann, der ſtand ſich, zumal wenn er die Arme noch zu Handwerksverdienſt frei hatte, im Mittelalter relativ beſſer, als heute die Mehr- zahl derjenigen, welche in Frankfurt zur Klaſſenſteuer ver- anlagt ſind.
Daß aber der Vermögensbeſitz im Mittelalter ſich durchaus nicht etwa auf die Grundbeſitzer beſchränkt, geht zur Genüge daraus hervor, daß die Verteilung der Hand- werker auf die verſchiedenen Steuerſtufen ganz ähnlich ſich geſtaltet wie diejenige der Geſamtbevölkerung, nur daß bei ihnen die niederſte Stufe ſchwächer beſetzt iſt und die höchſte gewöhnlich fehlt. Doch ſind Meiſter mit 30 und 40 ℔ Steuer gar nichts Seltenes, und wenn man auf das da- malige Frankfurter Gewerbe im allgemeinen den alten Satz anwenden wollte, daß Handwerk einen goldenen Boden habe, die Bedebücher würden dem nicht widerſprechen.
Allerdings hat jede Vergleichung mittelalterlicher und moderner Steuerverhältniſſe mit drei faſt unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen: 1) der Ungleichheit der Steuerſy- ſteme, indem im Mittelalter das Vermögen, in der Gegenwart das Einkommen die Bemeſſungsgrundlage der direkten Haupt- ſteuer bildet, 2) der Verſchiedenheit des Geldwertes im Mittelalter und in der Neuzeit und 3) der Unmöglichkeit, die hinter den mittelalterlichen Steuerſätzen ſtehenden Ver- mögenswerte in Geld abzuſchätzen. Die letztere Schwierig-
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Pferd nebſt Heu, Hafer und Stroh für beide bis Martini,
dazu Kleider und Hausrat nebſt Brot, Wein und Holz bis
zur nächſten Ernte, der war kein armer Mann, der ſtand
ſich, zumal wenn er die Arme noch zu Handwerksverdienſt
frei hatte, im Mittelalter relativ beſſer, als heute die Mehr-
zahl derjenigen, welche in Frankfurt zur Klaſſenſteuer ver-
anlagt ſind.
Daß aber der Vermögensbeſitz im Mittelalter ſich
durchaus nicht etwa auf die Grundbeſitzer beſchränkt, geht
zur Genüge daraus hervor, daß die Verteilung der Hand-
werker auf die verſchiedenen Steuerſtufen ganz ähnlich ſich
geſtaltet wie diejenige der Geſamtbevölkerung, nur daß bei
ihnen die niederſte Stufe ſchwächer beſetzt iſt und die höchſte
gewöhnlich fehlt. Doch ſind Meiſter mit 30 und 40 ℔
Steuer gar nichts Seltenes, und wenn man auf das da-
malige Frankfurter Gewerbe im allgemeinen den alten Satz
anwenden wollte, daß Handwerk einen goldenen Boden
habe, die Bedebücher würden dem nicht widerſprechen.
Allerdings hat jede Vergleichung mittelalterlicher und
moderner Steuerverhältniſſe mit drei faſt unüberwindlichen
Schwierigkeiten zu kämpfen: 1) der Ungleichheit der Steuerſy-
ſteme, indem im Mittelalter das Vermögen, in der Gegenwart
das Einkommen die Bemeſſungsgrundlage der direkten Haupt-
ſteuer bildet, 2) der Verſchiedenheit des Geldwertes im
Mittelalter und in der Neuzeit und 3) der Unmöglichkeit,
die hinter den mittelalterlichen Steuerſätzen ſtehenden Ver-
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/264>, abgerufen am 22.11.2024.
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