werdens und eines immer engeren Anschlusses an das Fleckchen Erde gewesen sei, an dem der Mensch ins Leben tritt.
Mancherlei Anzeichen sprechen für diese Auffassung. Das Haus wird bei unsern Vorfahren zur Fahrhabe ge- rechnet, und nachweisbar haben viele Ortschaften in histo- rischer Zeit ihre Stellen gewechselt. Trotz des Mangels an Kunststraßen und bequemen Verkehrsmitteln erscheint noch im Mittelalter der Einzelne viel beweglicher als in der späteren Zeit. Dafür sprechen die zahlreichen Wall- fahrten, die sich bis St. Jago in Spanien erstreckten, die Kreuzzüge, die großen Scharen der fahrenden Leute, das Wanderleben des Königs und seines Hofes, das Gästerecht der Markweistümer, das ausgebildete Geleitswesen.
Jeder neue Fortschritt in der Kultur hebt sozusagen wieder mit einer neuen Wanderperiode an. Der älteste Ackerbau ist ein nomadischer mit jährlichem Wechsel der Feldflur; der älteste Handel ist Wanderhandel; die ersten Gewerbe, welche sich als berufsmäßige Thätigkeit Einzelner von der Hauswirtschaft ablösen, werden im Umherziehen betrieben. Die großen Religionsstifter, die ältesten Dichter und Philosophen, die Musiker und darstellenden Künstler der früheren Perioden sind überall große Wanderer. Und zieht nicht noch heute der Erfinder, der Prediger einer neuen Lehre, der Virtuose von Ort zu Ort, um Anhänger und Bewunderer zu suchen -- trotz der gewaltigen Entwicklung des modernen Nachrichtenverkehrs?
Aeltere Gesittung ist seßhaft. Der Grieche war seß-
werdens und eines immer engeren Anſchluſſes an das Fleckchen Erde geweſen ſei, an dem der Menſch ins Leben tritt.
Mancherlei Anzeichen ſprechen für dieſe Auffaſſung. Das Haus wird bei unſern Vorfahren zur Fahrhabe ge- rechnet, und nachweisbar haben viele Ortſchaften in hiſto- riſcher Zeit ihre Stellen gewechſelt. Trotz des Mangels an Kunſtſtraßen und bequemen Verkehrsmitteln erſcheint noch im Mittelalter der Einzelne viel beweglicher als in der ſpäteren Zeit. Dafür ſprechen die zahlreichen Wall- fahrten, die ſich bis St. Jago in Spanien erſtreckten, die Kreuzzüge, die großen Scharen der fahrenden Leute, das Wanderleben des Königs und ſeines Hofes, das Gäſterecht der Markweistümer, das ausgebildete Geleitsweſen.
Jeder neue Fortſchritt in der Kultur hebt ſozuſagen wieder mit einer neuen Wanderperiode an. Der älteſte Ackerbau iſt ein nomadiſcher mit jährlichem Wechſel der Feldflur; der älteſte Handel iſt Wanderhandel; die erſten Gewerbe, welche ſich als berufsmäßige Thätigkeit Einzelner von der Hauswirtſchaft ablöſen, werden im Umherziehen betrieben. Die großen Religionsſtifter, die älteſten Dichter und Philoſophen, die Muſiker und darſtellenden Künſtler der früheren Perioden ſind überall große Wanderer. Und zieht nicht noch heute der Erfinder, der Prediger einer neuen Lehre, der Virtuoſe von Ort zu Ort, um Anhänger und Bewunderer zu ſuchen — trotz der gewaltigen Entwicklung des modernen Nachrichtenverkehrs?
Aeltere Geſittung iſt ſeßhaft. Der Grieche war ſeß-
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werdens und eines immer engeren Anſchluſſes an das
Fleckchen Erde geweſen ſei, an dem der Menſch ins Leben tritt.
Mancherlei Anzeichen ſprechen für dieſe Auffaſſung.
Das Haus wird bei unſern Vorfahren zur Fahrhabe ge-
rechnet, und nachweisbar haben viele Ortſchaften in hiſto-
riſcher Zeit ihre Stellen gewechſelt. Trotz des Mangels
an Kunſtſtraßen und bequemen Verkehrsmitteln erſcheint
noch im Mittelalter der Einzelne viel beweglicher als in
der ſpäteren Zeit. Dafür ſprechen die zahlreichen Wall-
fahrten, die ſich bis St. Jago in Spanien erſtreckten, die
Kreuzzüge, die großen Scharen der fahrenden Leute, das
Wanderleben des Königs und ſeines Hofes, das Gäſterecht
der Markweistümer, das ausgebildete Geleitsweſen.
Jeder neue Fortſchritt in der Kultur hebt ſozuſagen
wieder mit einer neuen Wanderperiode an. Der älteſte
Ackerbau iſt ein nomadiſcher mit jährlichem Wechſel der
Feldflur; der älteſte Handel iſt Wanderhandel; die erſten
Gewerbe, welche ſich als berufsmäßige Thätigkeit Einzelner
von der Hauswirtſchaft ablöſen, werden im Umherziehen
betrieben. Die großen Religionsſtifter, die älteſten Dichter
und Philoſophen, die Muſiker und darſtellenden Künſtler
der früheren Perioden ſind überall große Wanderer. Und
zieht nicht noch heute der Erfinder, der Prediger einer neuen
Lehre, der Virtuoſe von Ort zu Ort, um Anhänger und
Bewunderer zu ſuchen — trotz der gewaltigen Entwicklung
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Aeltere Geſittung iſt ſeßhaft. Der Grieche war ſeß-
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/277>, abgerufen am 22.11.2024.
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