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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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Dem Gesagten widerstreiten freilich einige andere Er-
wägungen und Thatsachen. Zunächst die Gebundenheit des
Menschen an die Scholle in der älteren agrarischen Periode,
die Verdinglichung aller wirtschaftsrechtlichen Beziehungen
im Gegensatze zu der modernen Freiheit der Person und
des Eigentums. Sodann und damit zusammenhängend die
Entstehung zahlreicher Berufszweige in der neueren Zeit,
welche bloß auf das bewegliche Kapital oder die persönliche
Arbeitsgeschicklichkeit sich gründen. Ferner die zunehmende
Mobilisierung des Grundbesitzes, welche heute dem Bauern
erlaubt, in kurzer Zeit Haus und Hof zu Geld zu machen,
um jenseits des Ozeans sich eine neue Existenz zu gründen,
während der mittelalterliche Landwirt höchstens als Pfahl-
bürger sich einer benachbarten Stadt anschließen konnte,
von der aus er seine Wirtschaft auf dem Dorfe entweder
selbst weiter betrieb oder sie in irgend einer Form gegen
eine jährliche Naturalrente einem andern überließ. Weiter
die große Erleichterung des Personenverkehrs, welche durch
die Erfindung neuer Verkehrsmittel hervorgebracht worden
ist. Endlich die Beobachtung eines wachsenden Zustroms
der Landbevölkerung nach den Städten, die sich seit einigen
Jahrzehnten in einer außerordentlich raschen Bevölkerungs-
zunahme der letzteren und in einer stellenweisen Stagnation
oder gar Abnahme der Landbevölkerung kund gibt. Mit
Rücksicht auf alle diese Umstände halten sich manche für
berechtigt, von einer stets steigenden Mobilisierung der Ge-
sellschaft zu reden.

Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft. 17

Dem Geſagten widerſtreiten freilich einige andere Er-
wägungen und Thatſachen. Zunächſt die Gebundenheit des
Menſchen an die Scholle in der älteren agrariſchen Periode,
die Verdinglichung aller wirtſchaftsrechtlichen Beziehungen
im Gegenſatze zu der modernen Freiheit der Perſon und
des Eigentums. Sodann und damit zuſammenhängend die
Entſtehung zahlreicher Berufszweige in der neueren Zeit,
welche bloß auf das bewegliche Kapital oder die perſönliche
Arbeitsgeſchicklichkeit ſich gründen. Ferner die zunehmende
Mobiliſierung des Grundbeſitzes, welche heute dem Bauern
erlaubt, in kurzer Zeit Haus und Hof zu Geld zu machen,
um jenſeits des Ozeans ſich eine neue Exiſtenz zu gründen,
während der mittelalterliche Landwirt höchſtens als Pfahl-
bürger ſich einer benachbarten Stadt anſchließen konnte,
von der aus er ſeine Wirtſchaft auf dem Dorfe entweder
ſelbſt weiter betrieb oder ſie in irgend einer Form gegen
eine jährliche Naturalrente einem andern überließ. Weiter
die große Erleichterung des Perſonenverkehrs, welche durch
die Erfindung neuer Verkehrsmittel hervorgebracht worden
iſt. Endlich die Beobachtung eines wachſenden Zuſtroms
der Landbevölkerung nach den Städten, die ſich ſeit einigen
Jahrzehnten in einer außerordentlich raſchen Bevölkerungs-
zunahme der letzteren und in einer ſtellenweiſen Stagnation
oder gar Abnahme der Landbevölkerung kund gibt. Mit
Rückſicht auf alle dieſe Umſtände halten ſich manche für
berechtigt, von einer ſtets ſteigenden Mobiliſierung der Ge-
ſellſchaft zu reden.

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[257/0279] Dem Geſagten widerſtreiten freilich einige andere Er- wägungen und Thatſachen. Zunächſt die Gebundenheit des Menſchen an die Scholle in der älteren agrariſchen Periode, die Verdinglichung aller wirtſchaftsrechtlichen Beziehungen im Gegenſatze zu der modernen Freiheit der Perſon und des Eigentums. Sodann und damit zuſammenhängend die Entſtehung zahlreicher Berufszweige in der neueren Zeit, welche bloß auf das bewegliche Kapital oder die perſönliche Arbeitsgeſchicklichkeit ſich gründen. Ferner die zunehmende Mobiliſierung des Grundbeſitzes, welche heute dem Bauern erlaubt, in kurzer Zeit Haus und Hof zu Geld zu machen, um jenſeits des Ozeans ſich eine neue Exiſtenz zu gründen, während der mittelalterliche Landwirt höchſtens als Pfahl- bürger ſich einer benachbarten Stadt anſchließen konnte, von der aus er ſeine Wirtſchaft auf dem Dorfe entweder ſelbſt weiter betrieb oder ſie in irgend einer Form gegen eine jährliche Naturalrente einem andern überließ. Weiter die große Erleichterung des Perſonenverkehrs, welche durch die Erfindung neuer Verkehrsmittel hervorgebracht worden iſt. Endlich die Beobachtung eines wachſenden Zuſtroms der Landbevölkerung nach den Städten, die ſich ſeit einigen Jahrzehnten in einer außerordentlich raſchen Bevölkerungs- zunahme der letzteren und in einer ſtellenweiſen Stagnation oder gar Abnahme der Landbevölkerung kund gibt. Mit Rückſicht auf alle dieſe Umſtände halten ſich manche für berechtigt, von einer ſtets ſteigenden Mobiliſierung der Ge- ſellſchaft zu reden. Bücher, Die Entſtehung der Volkswirtſchaft. 17

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/279>, abgerufen am 22.11.2024.