und es kommen Absurditäten heraus, welche das ganze Gebäude schöner Hoffnungen umstürzen müssen.
Man hat behauptet, und behauptet es noch, daß die Unsterblichkeitsidee (in derselben Weise wie die Gottes- idee) eine dem innersten geistigen Wesen jedes Menschen an- und eingeborne, darum durch alle Vernunftgründe unwiderlegliche sei, und daß es auch aus demselben Grunde keine Religion gebe, welche die individuelle Un- sterblichkeit nicht als einen ihrer ersten und Hauptgrund- sätze festhalte. Was die angeborenen Jdeen betrifft, so glauben wir uns darüber bereits hinlänglich verbreitet zu haben, und an Religionen und Religionssekten, wel- chen die Unsterblichkeitsidee unbekannt war, hat es nie- mals gefehlt. Die angesehenste Religionssekte der Ju- den, die Essäer, kannte keine persönliche Fortdauer. Die ursprüngliche Religion des großen Konfutse weiß nichts von einem himmlischen Jenseits. Der Buddhis- mus, welcher zwei Millionen Anhänger zählt, kennt weder Gott, noch Unsterblichkeit und predigt das Nicht- sein als das höchste Ziel der Befreiung. Die edle und in vielen Stücken der Bildung unsere einge- bildete Jetztwelt weit überragende Nation der Griechen kannte nur ein Jenseits der Schatten, und daß im gan- zen römischen Alterthume der Unsterblichkeitsglaube ein äußerst schwacher und seltener war, ist bekannt. -- Un- ter den gebildeten und aufgeklärten Männern aller Natio-
und es kommen Abſurditäten heraus, welche das ganze Gebäude ſchöner Hoffnungen umſtürzen müſſen.
Man hat behauptet, und behauptet es noch, daß die Unſterblichkeitsidee (in derſelben Weiſe wie die Gottes- idee) eine dem innerſten geiſtigen Weſen jedes Menſchen an- und eingeborne, darum durch alle Vernunftgründe unwiderlegliche ſei, und daß es auch aus demſelben Grunde keine Religion gebe, welche die individuelle Un- ſterblichkeit nicht als einen ihrer erſten und Hauptgrund- ſätze feſthalte. Was die angeborenen Jdeen betrifft, ſo glauben wir uns darüber bereits hinlänglich verbreitet zu haben, und an Religionen und Religionsſekten, wel- chen die Unſterblichkeitsidee unbekannt war, hat es nie- mals gefehlt. Die angeſehenſte Religionsſekte der Ju- den, die Eſſäer, kannte keine perſönliche Fortdauer. Die urſprüngliche Religion des großen Konfutſe weiß nichts von einem himmliſchen Jenſeits. Der Buddhis- mus, welcher zwei Millionen Anhänger zählt, kennt weder Gott, noch Unſterblichkeit und predigt das Nicht- ſein als das höchſte Ziel der Befreiung. Die edle und in vielen Stücken der Bildung unſere einge- bildete Jetztwelt weit überragende Nation der Griechen kannte nur ein Jenſeits der Schatten, und daß im gan- zen römiſchen Alterthume der Unſterblichkeitsglaube ein äußerſt ſchwacher und ſeltener war, iſt bekannt. — Un- ter den gebildeten und aufgeklärten Männern aller Natio-
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und es kommen Abſurditäten heraus, welche das ganze
Gebäude ſchöner Hoffnungen umſtürzen müſſen.
Man hat behauptet, und behauptet es noch, daß die
Unſterblichkeitsidee (in derſelben Weiſe wie die Gottes-
idee) eine dem innerſten geiſtigen Weſen jedes Menſchen
an- und eingeborne, darum durch alle Vernunftgründe
unwiderlegliche ſei, und daß es auch aus demſelben
Grunde keine Religion gebe, welche die individuelle Un-
ſterblichkeit nicht als einen ihrer erſten und Hauptgrund-
ſätze feſthalte. Was die angeborenen Jdeen betrifft, ſo
glauben wir uns darüber bereits hinlänglich verbreitet
zu haben, und an Religionen und Religionsſekten, wel-
chen die Unſterblichkeitsidee unbekannt war, hat es nie-
mals gefehlt. Die angeſehenſte Religionsſekte der Ju-
den, die Eſſäer, kannte keine perſönliche Fortdauer.
Die urſprüngliche Religion des großen Konfutſe weiß
nichts von einem himmliſchen Jenſeits. Der Buddhis-
mus, welcher zwei Millionen Anhänger zählt, kennt
weder Gott, noch Unſterblichkeit und predigt das Nicht-
ſein als das höchſte Ziel der Befreiung. Die
edle und in vielen Stücken der Bildung unſere einge-
bildete Jetztwelt weit überragende Nation der Griechen
kannte nur ein Jenſeits der Schatten, und daß im gan-
zen römiſchen Alterthume der Unſterblichkeitsglaube ein
äußerſt ſchwacher und ſeltener war, iſt bekannt. — Un-
ter den gebildeten und aufgeklärten Männern aller Natio-
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/230>, abgerufen am 16.02.2025.
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