so freieren Spielraum mußte diese Sucht haben, und um so häufiger geschahen Wunder. Auch heute fehlte es un- ter den wilden Völkerschaften und bei den Ungebildeten nicht an Wundern und an mit überirdischen Kräften aus- gerüsteten Geistern. Wir würden unsere Worte ver- schwenden, wollten wir uns weiter bemühen, die natür- liche Unmöglichkeit des Wunders darzuthun. Kaum ein Gebildeter, geschweige ein Naturkundiger, der sich jemals von der unwandelbaren Ordnung der Dinge überzeugt hat, kann heutzutage noch an ein Wunder glauben. Wun- derbar finden wir es nur, wie ein so klarer und so scharffinniger Kopf, wie Ludwig Feuerbach, so viele Dialektik aufzuwenden für nöthig hielt, um die christ- lichen Wunder zu widerlegen. Welcher Religionsstifter hätte es nicht für nöthig gehalten, sich mit einer Zu- gabe von Wundern in die Welt einzuführen? und hat nicht der Erfolg bewiesen, daß sie Recht hatte? Welcher Prophet, welcher Heilige hat keine Wunder gethan? welcher Wundersüchtige sieht nicht heute noch täglich und stündlich Wunder in Menge? Gehören die Tischgeister nicht auch unter die Rubrik des Wunders? Vor dem Auge der Wissenschaft sind alle Wunder gleich -- Resul- tate einer irregeleiteten Phantasie.
Sollte man es für möglich halten, daß in einer Zeit, in der die Naturwissenschaften ihren heutigen Standpunkt erreicht haben, die Geistlichkeit eines geistig so hochstehen-
ſo freieren Spielraum mußte dieſe Sucht haben, und um ſo häufiger geſchahen Wunder. Auch heute fehlte es un- ter den wilden Völkerſchaften und bei den Ungebildeten nicht an Wundern und an mit überirdiſchen Kräften aus- gerüſteten Geiſtern. Wir würden unſere Worte ver- ſchwenden, wollten wir uns weiter bemühen, die natür- liche Unmöglichkeit des Wunders darzuthun. Kaum ein Gebildeter, geſchweige ein Naturkundiger, der ſich jemals von der unwandelbaren Ordnung der Dinge überzeugt hat, kann heutzutage noch an ein Wunder glauben. Wun- derbar finden wir es nur, wie ein ſo klarer und ſo ſcharffinniger Kopf, wie Ludwig Feuerbach, ſo viele Dialektik aufzuwenden für nöthig hielt, um die chriſt- lichen Wunder zu widerlegen. Welcher Religionsſtifter hätte es nicht für nöthig gehalten, ſich mit einer Zu- gabe von Wundern in die Welt einzuführen? und hat nicht der Erfolg bewieſen, daß ſie Recht hatte? Welcher Prophet, welcher Heilige hat keine Wunder gethan? welcher Wunderſüchtige ſieht nicht heute noch täglich und ſtündlich Wunder in Menge? Gehören die Tiſchgeiſter nicht auch unter die Rubrik des Wunders? Vor dem Auge der Wiſſenſchaft ſind alle Wunder gleich — Reſul- tate einer irregeleiteten Phantaſie.
Sollte man es für möglich halten, daß in einer Zeit, in der die Naturwiſſenſchaften ihren heutigen Standpunkt erreicht haben, die Geiſtlichkeit eines geiſtig ſo hochſtehen-
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ſo freieren Spielraum mußte dieſe Sucht haben, und um
ſo häufiger geſchahen Wunder. Auch heute fehlte es un-
ter den wilden Völkerſchaften und bei den Ungebildeten
nicht an Wundern und an mit überirdiſchen Kräften aus-
gerüſteten Geiſtern. Wir würden unſere Worte ver-
ſchwenden, wollten wir uns weiter bemühen, die natür-
liche Unmöglichkeit des Wunders darzuthun. Kaum ein
Gebildeter, geſchweige ein Naturkundiger, der ſich jemals
von der unwandelbaren Ordnung der Dinge überzeugt
hat, kann heutzutage noch an ein Wunder glauben. Wun-
derbar finden wir es nur, wie ein ſo klarer und ſo
ſcharffinniger Kopf, wie Ludwig Feuerbach, ſo viele
Dialektik aufzuwenden für nöthig hielt, um die chriſt-
lichen Wunder zu widerlegen. Welcher Religionsſtifter
hätte es nicht für nöthig gehalten, ſich mit einer Zu-
gabe von Wundern in die Welt einzuführen? und hat
nicht der Erfolg bewieſen, daß ſie Recht hatte? Welcher
Prophet, welcher Heilige hat keine Wunder gethan?
welcher Wunderſüchtige ſieht nicht heute noch täglich und
ſtündlich Wunder in Menge? Gehören die Tiſchgeiſter
nicht auch unter die Rubrik des Wunders? Vor dem
Auge der Wiſſenſchaft ſind alle Wunder gleich — Reſul-
tate einer irregeleiteten Phantaſie.
Sollte man es für möglich halten, daß in einer Zeit,
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erreicht haben, die Geiſtlichkeit eines geiſtig ſo hochſtehen-
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/57>, abgerufen am 23.11.2024.
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