Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

früher erzeugten Keim entstanden wären. Es scheint
heute ein allgemeines durchgreifendes Gesetz der orga-
nischen Welt zu sein: Omne vivum ex ovo, d. h.
Alles, was lebt, entsteht nur aus einem vorher dage-
wesenen Keim, welcher von gleichartigen Aeltern erzeugt
worden ist, oder durch unmittelbare Fortpflanzung aus
einem vorher dagewesenen älterlichen Körper heraus;
also aus einem Ei, einem Samen, oder auch durch s. g.
Theilung, Knospung, Sprossung u. s. w. Jmmer müssen
ein oder mehrere Jndividuen derselben Gattung vorher
dagewesen sein, um ähnliche weitere entstehen zu lassen.
Die Erzählungen des alten Testament's drücken diese
schon frühe erkannte Wahrheit allegorisch dahin aus,
daß sie vor der großen Sündfluth ein Paar von jedem
lebenden Thiergeschlecht in die rettende Arche aufnehmen
lassen. Für Diejenigen nun, welche sich mit biblischen
Erzählungen nicht genügen lassen, drängt sich im An-
gesicht eines solchen Verhältnisses mit Nothwendigkeit die
Frage nach dem Woher? nach dem Wie? der Entstehung,
nach dem ersten Ursprung der organischen Wesen aus.
Wenn alles Organische von Aeltern gezeugt wird, wie
sind alsdann die ersten Aeltern entstanden? Konnten die-
selben von selbst, bloß durch das zufällige oder noth-
wendige Zusammentreffen äußerer Umstände und das Er-
scheinen der zu ihrer Existenz nöthigen Bedingungen ent-
stehen oder mußten sie durch das Zuthun einer äußeren Ge-

früher erzeugten Keim entſtanden wären. Es ſcheint
heute ein allgemeines durchgreifendes Geſetz der orga-
niſchen Welt zu ſein: Omne vivum ex ovo, d. h.
Alles, was lebt, entſteht nur aus einem vorher dage-
weſenen Keim, welcher von gleichartigen Aeltern erzeugt
worden iſt, oder durch unmittelbare Fortpflanzung aus
einem vorher dageweſenen älterlichen Körper heraus;
alſo aus einem Ei, einem Samen, oder auch durch ſ. g.
Theilung, Knospung, Sproſſung u. ſ. w. Jmmer müſſen
ein oder mehrere Jndividuen derſelben Gattung vorher
dageweſen ſein, um ähnliche weitere entſtehen zu laſſen.
Die Erzählungen des alten Teſtament’s drücken dieſe
ſchon frühe erkannte Wahrheit allegoriſch dahin aus,
daß ſie vor der großen Sündfluth ein Paar von jedem
lebenden Thiergeſchlecht in die rettende Arche aufnehmen
laſſen. Für Diejenigen nun, welche ſich mit bibliſchen
Erzählungen nicht genügen laſſen, drängt ſich im An-
geſicht eines ſolchen Verhältniſſes mit Nothwendigkeit die
Frage nach dem Woher? nach dem Wie? der Entſtehung,
nach dem erſten Urſprung der organiſchen Weſen aus.
Wenn alles Organiſche von Aeltern gezeugt wird, wie
ſind alsdann die erſten Aeltern entſtanden? Konnten die-
ſelben von ſelbſt, bloß durch das zufällige oder noth-
wendige Zuſammentreffen äußerer Umſtände und das Er-
ſcheinen der zu ihrer Exiſtenz nöthigen Bedingungen ent-
ſtehen oder mußten ſie durch das Zuthun einer äußeren Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0092" n="72"/>
früher erzeugten Keim ent&#x017F;tanden wären. Es &#x017F;cheint<lb/>
heute ein allgemeines durchgreifendes Ge&#x017F;etz der orga-<lb/>
ni&#x017F;chen Welt zu &#x017F;ein: <hi rendition="#aq">Omne vivum ex ovo</hi>, d. h.<lb/>
Alles, was lebt, ent&#x017F;teht nur aus einem vorher dage-<lb/>
we&#x017F;enen Keim, welcher von gleichartigen Aeltern erzeugt<lb/>
worden i&#x017F;t, oder durch unmittelbare Fortpflanzung aus<lb/>
einem vorher dagewe&#x017F;enen älterlichen Körper heraus;<lb/>
al&#x017F;o aus einem Ei, einem Samen, oder auch durch &#x017F;. g.<lb/>
Theilung, Knospung, Spro&#x017F;&#x017F;ung u. &#x017F;. w. Jmmer mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ein oder mehrere Jndividuen der&#x017F;elben Gattung vorher<lb/>
dagewe&#x017F;en &#x017F;ein, um ähnliche weitere ent&#x017F;tehen zu la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Die Erzählungen des alten Te&#x017F;tament&#x2019;s drücken die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;chon frühe erkannte Wahrheit allegori&#x017F;ch dahin aus,<lb/>
daß &#x017F;ie vor der großen Sündfluth ein <hi rendition="#g">Paar</hi> von jedem<lb/>
lebenden Thierge&#x017F;chlecht in die rettende Arche aufnehmen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Für Diejenigen nun, welche &#x017F;ich mit bibli&#x017F;chen<lb/>
Erzählungen nicht genügen la&#x017F;&#x017F;en, drängt &#x017F;ich im An-<lb/>
ge&#x017F;icht eines &#x017F;olchen Verhältni&#x017F;&#x017F;es mit Nothwendigkeit die<lb/>
Frage nach dem Woher? nach dem Wie? der Ent&#x017F;tehung,<lb/>
nach dem <hi rendition="#g">er&#x017F;ten</hi> Ur&#x017F;prung der organi&#x017F;chen We&#x017F;en aus.<lb/>
Wenn alles Organi&#x017F;che von Aeltern gezeugt wird, wie<lb/>
&#x017F;ind alsdann die er&#x017F;ten Aeltern ent&#x017F;tanden? Konnten die-<lb/>
&#x017F;elben von &#x017F;elb&#x017F;t, bloß durch das zufällige oder noth-<lb/>
wendige Zu&#x017F;ammentreffen äußerer Um&#x017F;tände und das Er-<lb/>
&#x017F;cheinen der zu ihrer Exi&#x017F;tenz nöthigen Bedingungen ent-<lb/>
&#x017F;tehen oder mußten &#x017F;ie durch das Zuthun einer äußeren Ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0092] früher erzeugten Keim entſtanden wären. Es ſcheint heute ein allgemeines durchgreifendes Geſetz der orga- niſchen Welt zu ſein: Omne vivum ex ovo, d. h. Alles, was lebt, entſteht nur aus einem vorher dage- weſenen Keim, welcher von gleichartigen Aeltern erzeugt worden iſt, oder durch unmittelbare Fortpflanzung aus einem vorher dageweſenen älterlichen Körper heraus; alſo aus einem Ei, einem Samen, oder auch durch ſ. g. Theilung, Knospung, Sproſſung u. ſ. w. Jmmer müſſen ein oder mehrere Jndividuen derſelben Gattung vorher dageweſen ſein, um ähnliche weitere entſtehen zu laſſen. Die Erzählungen des alten Teſtament’s drücken dieſe ſchon frühe erkannte Wahrheit allegoriſch dahin aus, daß ſie vor der großen Sündfluth ein Paar von jedem lebenden Thiergeſchlecht in die rettende Arche aufnehmen laſſen. Für Diejenigen nun, welche ſich mit bibliſchen Erzählungen nicht genügen laſſen, drängt ſich im An- geſicht eines ſolchen Verhältniſſes mit Nothwendigkeit die Frage nach dem Woher? nach dem Wie? der Entſtehung, nach dem erſten Urſprung der organiſchen Weſen aus. Wenn alles Organiſche von Aeltern gezeugt wird, wie ſind alsdann die erſten Aeltern entſtanden? Konnten die- ſelben von ſelbſt, bloß durch das zufällige oder noth- wendige Zuſammentreffen äußerer Umſtände und das Er- ſcheinen der zu ihrer Exiſtenz nöthigen Bedingungen ent- ſtehen oder mußten ſie durch das Zuthun einer äußeren Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/92
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/92>, abgerufen am 23.11.2024.