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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Wenn wir dies System in Rechnung ziehen, wird uns Alles,
was wir bisher berichtet in neuem und klarerem Lichte er-
scheinen. Nach dem Frankfurter Putsch wurden, wie erzählt,
zuerst einige Gießener Studenten verhaftet -- Kuhl hatte
sie zuerst an's Messer geliefert, weil er die Studenten wegen
ihres Hochmuths gegen "Philister und Knoten" nicht leiden
mochte, noch mehr deßhalb, weil die jungen Leute dem Cen-
trum der Bewegung recht ferne standen. Dann denuncirte
er den Pfarrer Flick und den Apotheker Trapp, beide arg
genug, um ein gerichtliches Verfahren zu ermöglichen, aber
doch wieder nicht genug, um eine Verurtheilung möglich zu
machen -- jeder Hochverräther, der wieder in Freiheit und
zur Action kam, bildete ja eine neue Capitalsquelle! Einen
harten Kampf zwischen Rachsucht und Eigennutz rang Kuhl
bezüglich Weidig's; der Eigennutz siegte, Kuhl denuncirte den
Rector, aber zu einer Zeit, da dieser bereits alles Verdäch-
tige fortgeschafft hatte. Das Resultat ist bekannt -- Weidig
mußte nach wenigen Tagen freigegeben werden! (S. 87)
Auch bei seiner Denunciation bezüglich des "Landboten"
handelte Kuhl nach diesem System; er erschien am Morgen
des 31. Juli 1834 bei Stein und meldete, daß die Stu-
denten Schütz und Minnigerode am Nachmittag des 1. August
mit einer Ladung revolutionärer Flugschriften das Frank-
furter Thor zu Gießen passiren würden. Wo diese Flug-
schrift gedruckt worden und wer sie geschrieben -- das wisse
er nicht. Nun wußte er dies freilich so genau und bestimmt
wie Wenige, aber einerseits hielt er jene Nachricht für wichtig
genug, um auch ohne weitere Details eine anständige Be-
zahlung fordern zu können, andrerseits war Büchner jedenfalls
ein ansehnliches Capital, welches man auf Zinsen legen konnte

Wenn wir dies Syſtem in Rechnung ziehen, wird uns Alles,
was wir bisher berichtet in neuem und klarerem Lichte er-
ſcheinen. Nach dem Frankfurter Putſch wurden, wie erzählt,
zuerſt einige Gießener Studenten verhaftet — Kuhl hatte
ſie zuerſt an's Meſſer geliefert, weil er die Studenten wegen
ihres Hochmuths gegen "Philiſter und Knoten" nicht leiden
mochte, noch mehr deßhalb, weil die jungen Leute dem Cen-
trum der Bewegung recht ferne ſtanden. Dann denuncirte
er den Pfarrer Flick und den Apotheker Trapp, beide arg
genug, um ein gerichtliches Verfahren zu ermöglichen, aber
doch wieder nicht genug, um eine Verurtheilung möglich zu
machen — jeder Hochverräther, der wieder in Freiheit und
zur Action kam, bildete ja eine neue Capitalsquelle! Einen
harten Kampf zwiſchen Rachſucht und Eigennutz rang Kuhl
bezüglich Weidig's; der Eigennutz ſiegte, Kuhl denuncirte den
Rector, aber zu einer Zeit, da dieſer bereits alles Verdäch-
tige fortgeſchafft hatte. Das Reſultat iſt bekannt — Weidig
mußte nach wenigen Tagen freigegeben werden! (S. 87)
Auch bei ſeiner Denunciation bezüglich des "Landboten"
handelte Kuhl nach dieſem Syſtem; er erſchien am Morgen
des 31. Juli 1834 bei Stein und meldete, daß die Stu-
denten Schütz und Minnigerode am Nachmittag des 1. Auguſt
mit einer Ladung revolutionärer Flugſchriften das Frank-
furter Thor zu Gießen paſſiren würden. Wo dieſe Flug-
ſchrift gedruckt worden und wer ſie geſchrieben — das wiſſe
er nicht. Nun wußte er dies freilich ſo genau und beſtimmt
wie Wenige, aber einerſeits hielt er jene Nachricht für wichtig
genug, um auch ohne weitere Details eine anſtändige Be-
zahlung fordern zu können, andrerſeits war Büchner jedenfalls
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[CXXXIX/0155] Wenn wir dies Syſtem in Rechnung ziehen, wird uns Alles, was wir bisher berichtet in neuem und klarerem Lichte er- ſcheinen. Nach dem Frankfurter Putſch wurden, wie erzählt, zuerſt einige Gießener Studenten verhaftet — Kuhl hatte ſie zuerſt an's Meſſer geliefert, weil er die Studenten wegen ihres Hochmuths gegen "Philiſter und Knoten" nicht leiden mochte, noch mehr deßhalb, weil die jungen Leute dem Cen- trum der Bewegung recht ferne ſtanden. Dann denuncirte er den Pfarrer Flick und den Apotheker Trapp, beide arg genug, um ein gerichtliches Verfahren zu ermöglichen, aber doch wieder nicht genug, um eine Verurtheilung möglich zu machen — jeder Hochverräther, der wieder in Freiheit und zur Action kam, bildete ja eine neue Capitalsquelle! Einen harten Kampf zwiſchen Rachſucht und Eigennutz rang Kuhl bezüglich Weidig's; der Eigennutz ſiegte, Kuhl denuncirte den Rector, aber zu einer Zeit, da dieſer bereits alles Verdäch- tige fortgeſchafft hatte. Das Reſultat iſt bekannt — Weidig mußte nach wenigen Tagen freigegeben werden! (S. 87) Auch bei ſeiner Denunciation bezüglich des "Landboten" handelte Kuhl nach dieſem Syſtem; er erſchien am Morgen des 31. Juli 1834 bei Stein und meldete, daß die Stu- denten Schütz und Minnigerode am Nachmittag des 1. Auguſt mit einer Ladung revolutionärer Flugſchriften das Frank- furter Thor zu Gießen paſſiren würden. Wo dieſe Flug- ſchrift gedruckt worden und wer ſie geſchrieben — das wiſſe er nicht. Nun wußte er dies freilich ſo genau und beſtimmt wie Wenige, aber einerſeits hielt er jene Nachricht für wichtig genug, um auch ohne weitere Details eine anſtändige Be- zahlung fordern zu können, andrerſeits war Büchner jedenfalls ein anſehnliches Capital, welches man auf Zinſen legen konnte

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXXXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/155>, abgerufen am 23.11.2024.