Außer diesen nächtlichen Versammlungen vereinigten sich die Jünglinge an einigen Tagen der Woche in kleineren Gruppen zur Uebung in den Waffen. In einem verfallenen Kornspeicher wurde das Säbel- und Bajonettfechten geübt und mit der Pistole nach der Scheibe geschossen. Fast alle Theilnehmer waren gut bewaffnet und hielten auch bedeutende Schießvorräthe verborgen. Zu ihrem Glück ergab sich keinerlei Gelegenheit, ernsten Gebrauch davon zu machen. Die äußere Wirksamkeit der "Gesellschaft" beschränkte sich darauf, den zu Darmstadt und Friedberg Verhafteten Nachrichten zu- kommen zu lassen und Versuche zu ihrer Befreiung zu machen. Beides wurde mit vielem Scharfsinn in's Werk gesetzt. So war es den Gefangenen einzig gestattet, sich eine Bibel und den Zuckervorrath von Auswärts kommen zu lassen, aber die Verbündeten wußten dies auszunützen. In den Bibeln wurden auf einer der ersten Seiten einzelne Buchstaben mit Punkten versehen und so zu Worten und Sätzen formirt -- das Ganze mußte von der Rechten zur Linken, also nach Art der Hebräer, zusammengelesen werden. Unter den Zucker- stücken aber befanden sich immer einige mit fein eingebohrten Röhrchen, in welche dicht zusammengerollte, eng beschriebene Zettelchen gesteckt waren. Die Correspondenz durch die Bibel wurde bald entdeckt und als der Kerkermeister einmal seinen Morgenkaffee aus der Zuckerdüte der Gefangenen versüßte und plötzlich zu seinem Erstaunen ein Zettelchen auf der Oberfläche des braunen Tranke auftauchen sah, da ward auch dies an- dere Mittel der Verständigung unmöglich gemacht. So führten denn die Bemühungen Büchner's und seiner Anhänger nur zu dem Resultat, daß ihre armen Freunde die Bibel ent- behren und bittern Kaffee trinken mußten. Auch die Be-
Außer dieſen nächtlichen Verſammlungen vereinigten ſich die Jünglinge an einigen Tagen der Woche in kleineren Gruppen zur Uebung in den Waffen. In einem verfallenen Kornſpeicher wurde das Säbel- und Bajonettfechten geübt und mit der Piſtole nach der Scheibe geſchoſſen. Faſt alle Theilnehmer waren gut bewaffnet und hielten auch bedeutende Schießvorräthe verborgen. Zu ihrem Glück ergab ſich keinerlei Gelegenheit, ernſten Gebrauch davon zu machen. Die äußere Wirkſamkeit der "Geſellſchaft" beſchränkte ſich darauf, den zu Darmſtadt und Friedberg Verhafteten Nachrichten zu- kommen zu laſſen und Verſuche zu ihrer Befreiung zu machen. Beides wurde mit vielem Scharfſinn in's Werk geſetzt. So war es den Gefangenen einzig geſtattet, ſich eine Bibel und den Zuckervorrath von Auswärts kommen zu laſſen, aber die Verbündeten wußten dies auszunützen. In den Bibeln wurden auf einer der erſten Seiten einzelne Buchſtaben mit Punkten verſehen und ſo zu Worten und Sätzen formirt — das Ganze mußte von der Rechten zur Linken, alſo nach Art der Hebräer, zuſammengeleſen werden. Unter den Zucker- ſtücken aber befanden ſich immer einige mit fein eingebohrten Röhrchen, in welche dicht zuſammengerollte, eng beſchriebene Zettelchen geſteckt waren. Die Correſpondenz durch die Bibel wurde bald entdeckt und als der Kerkermeiſter einmal ſeinen Morgenkaffee aus der Zuckerdüte der Gefangenen verſüßte und plötzlich zu ſeinem Erſtaunen ein Zettelchen auf der Oberfläche des braunen Tranke auftauchen ſah, da ward auch dies an- dere Mittel der Verſtändigung unmöglich gemacht. So führten denn die Bemühungen Büchner's und ſeiner Anhänger nur zu dem Reſultat, daß ihre armen Freunde die Bibel ent- behren und bittern Kaffee trinken mußten. Auch die Be-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0168"n="CLII"/><p>Außer dieſen nächtlichen Verſammlungen vereinigten ſich<lb/>
die Jünglinge an einigen Tagen der Woche in kleineren<lb/>
Gruppen zur Uebung in den Waffen. In einem verfallenen<lb/>
Kornſpeicher wurde das Säbel- und Bajonettfechten geübt<lb/>
und mit der Piſtole nach der Scheibe geſchoſſen. Faſt alle<lb/>
Theilnehmer waren gut bewaffnet und hielten auch bedeutende<lb/>
Schießvorräthe verborgen. Zu ihrem Glück ergab ſich keinerlei<lb/>
Gelegenheit, ernſten Gebrauch davon zu machen. Die äußere<lb/>
Wirkſamkeit der "Geſellſchaft" beſchränkte ſich darauf, den<lb/>
zu Darmſtadt und Friedberg Verhafteten Nachrichten zu-<lb/>
kommen zu laſſen und Verſuche zu ihrer Befreiung zu machen.<lb/>
Beides wurde mit vielem Scharfſinn in's Werk geſetzt. So<lb/>
war es den Gefangenen einzig geſtattet, ſich eine Bibel und<lb/>
den Zuckervorrath von Auswärts kommen zu laſſen, aber<lb/>
die Verbündeten wußten dies auszunützen. In den Bibeln<lb/>
wurden auf einer der erſten Seiten einzelne Buchſtaben mit<lb/>
Punkten verſehen und ſo zu Worten und Sätzen formirt —<lb/>
das Ganze mußte von der Rechten zur Linken, alſo nach<lb/>
Art der Hebräer, zuſammengeleſen werden. Unter den Zucker-<lb/>ſtücken aber befanden ſich immer einige mit fein eingebohrten<lb/>
Röhrchen, in welche dicht zuſammengerollte, eng beſchriebene<lb/>
Zettelchen geſteckt waren. Die Correſpondenz durch die Bibel<lb/>
wurde bald entdeckt und als der Kerkermeiſter einmal ſeinen<lb/>
Morgenkaffee aus der Zuckerdüte der Gefangenen verſüßte und<lb/>
plötzlich zu ſeinem Erſtaunen ein Zettelchen auf der Oberfläche<lb/>
des braunen Tranke auftauchen ſah, da ward auch dies an-<lb/>
dere Mittel der Verſtändigung unmöglich gemacht. So führten<lb/>
denn die Bemühungen Büchner's und ſeiner Anhänger nur<lb/>
zu dem Reſultat, daß ihre armen Freunde die Bibel ent-<lb/>
behren und bittern Kaffee trinken mußten. Auch die Be-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[CLII/0168]
Außer dieſen nächtlichen Verſammlungen vereinigten ſich
die Jünglinge an einigen Tagen der Woche in kleineren
Gruppen zur Uebung in den Waffen. In einem verfallenen
Kornſpeicher wurde das Säbel- und Bajonettfechten geübt
und mit der Piſtole nach der Scheibe geſchoſſen. Faſt alle
Theilnehmer waren gut bewaffnet und hielten auch bedeutende
Schießvorräthe verborgen. Zu ihrem Glück ergab ſich keinerlei
Gelegenheit, ernſten Gebrauch davon zu machen. Die äußere
Wirkſamkeit der "Geſellſchaft" beſchränkte ſich darauf, den
zu Darmſtadt und Friedberg Verhafteten Nachrichten zu-
kommen zu laſſen und Verſuche zu ihrer Befreiung zu machen.
Beides wurde mit vielem Scharfſinn in's Werk geſetzt. So
war es den Gefangenen einzig geſtattet, ſich eine Bibel und
den Zuckervorrath von Auswärts kommen zu laſſen, aber
die Verbündeten wußten dies auszunützen. In den Bibeln
wurden auf einer der erſten Seiten einzelne Buchſtaben mit
Punkten verſehen und ſo zu Worten und Sätzen formirt —
das Ganze mußte von der Rechten zur Linken, alſo nach
Art der Hebräer, zuſammengeleſen werden. Unter den Zucker-
ſtücken aber befanden ſich immer einige mit fein eingebohrten
Röhrchen, in welche dicht zuſammengerollte, eng beſchriebene
Zettelchen geſteckt waren. Die Correſpondenz durch die Bibel
wurde bald entdeckt und als der Kerkermeiſter einmal ſeinen
Morgenkaffee aus der Zuckerdüte der Gefangenen verſüßte und
plötzlich zu ſeinem Erſtaunen ein Zettelchen auf der Oberfläche
des braunen Tranke auftauchen ſah, da ward auch dies an-
dere Mittel der Verſtändigung unmöglich gemacht. So führten
denn die Bemühungen Büchner's und ſeiner Anhänger nur
zu dem Reſultat, daß ihre armen Freunde die Bibel ent-
behren und bittern Kaffee trinken mußten. Auch die Be-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CLII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/168>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.