Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
transchiren und eine Bouteille Wein austrocknen -- im Hotel nämlich. Leonce. Ein erbaulicher Lebenslauf! Valerio. Ich habe eigentlich einen läufigen Lebenslauf. Denn nur mein Laufen hat im Laufe dieses Krieges mein Leben vor einem Lauf gerettet, der ein Loch in dasselbe machen wollte. Ich bekam in Folge dieser Rettung eines Menschenlebens einen trocknen Husten, welcher den Doctor annehmen ließ, daß mein Laufen ein Galoppiren geworden sei und ich die galoppirende Auszehrung hätte. Da ich nun zugleich fand, daß ich ohne Zehrung sei, so verfiel ich in oder vielmehr auf ein zehrendes Fieber, worin ich täglich, um dem Vaterland einen Vertheidiger zu erhalten, gute Suppe, gutes Rindfleisch, gutes Brot essen, und guten Wein trinken mußte. (Nach einer Pause.) Es ist ein Jammer. Man kann keinen Kirchthurm herunterspringen, ohne den Hals zu brechen. Man kann keine vier Pfund Kirschen mit den Steinen essen, ohne Leibweh zu kriegen. Seht, Herr, ich könnte mich in eine Ecke setzen und singen vom Abend bis zum Morgen: "Hei, da sitzt e Fleig' an der Wand! Fleig' an der Wand! Fleig' an der Wand!" und so fort bis zum Ende meines Lebens. Leonce. Halt's Maul mit deinem Lied, man könnte darüber ein Narr werden. Valerio. So wäre man doch etwas. Ein Narr! Ein Narr! Wer will mir seine Narrheit gegen meine Ver- nunft verhandeln? Ha, ich bin Alexander der Große! Wie mir die Sonne eine goldne Krone in die Haare scheint, wie meine Uniform blitzt! Herr Generalissimus Heupferd, lassen
tranſchiren und eine Bouteille Wein austrocknen — im Hôtel nämlich. Leonce. Ein erbaulicher Lebenslauf! Valerio. Ich habe eigentlich einen läufigen Lebenslauf. Denn nur mein Laufen hat im Laufe dieſes Krieges mein Leben vor einem Lauf gerettet, der ein Loch in dasſelbe machen wollte. Ich bekam in Folge dieſer Rettung eines Menſchenlebens einen trocknen Huſten, welcher den Doctor annehmen ließ, daß mein Laufen ein Galoppiren geworden ſei und ich die galoppirende Auszehrung hätte. Da ich nun zugleich fand, daß ich ohne Zehrung ſei, ſo verfiel ich in oder vielmehr auf ein zehrendes Fieber, worin ich täglich, um dem Vaterland einen Vertheidiger zu erhalten, gute Suppe, gutes Rindfleiſch, gutes Brot eſſen, und guten Wein trinken mußte. (Nach einer Pauſe.) Es iſt ein Jammer. Man kann keinen Kirchthurm herunterſpringen, ohne den Hals zu brechen. Man kann keine vier Pfund Kirſchen mit den Steinen eſſen, ohne Leibweh zu kriegen. Seht, Herr, ich könnte mich in eine Ecke ſetzen und ſingen vom Abend bis zum Morgen: "Hei, da ſitzt e Fleig' an der Wand! Fleig' an der Wand! Fleig' an der Wand!" und ſo fort bis zum Ende meines Lebens. Leonce. Halt's Maul mit deinem Lied, man könnte darüber ein Narr werden. Valerio. So wäre man doch etwas. Ein Narr! Ein Narr! Wer will mir ſeine Narrheit gegen meine Ver- nunft verhandeln? Ha, ich bin Alexander der Große! Wie mir die Sonne eine goldne Krone in die Haare ſcheint, wie meine Uniform blitzt! Herr Generaliſſimus Heupferd, laſſen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <div type="scene" n="4"> <sp who="#VAL"> <p><pb facs="#f0315" n="119"/> tranſchiren und eine Bouteille Wein austrocknen — im<lb/> H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel nämlich.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Leonce.</hi> </hi> </speaker> <p>Ein erbaulicher Lebenslauf!</p> </sp><lb/> <sp who="#VAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Valerio.</hi> </hi> </speaker> <p>Ich habe eigentlich einen läufigen Lebenslauf.<lb/> Denn nur mein Laufen hat im Laufe dieſes Krieges mein<lb/> Leben vor einem Lauf gerettet, der ein Loch in dasſelbe<lb/> machen wollte. Ich bekam in Folge dieſer Rettung eines<lb/> Menſchenlebens einen trocknen Huſten, welcher den Doctor<lb/> annehmen ließ, daß mein Laufen ein Galoppiren geworden<lb/> ſei und ich die galoppirende Auszehrung hätte. Da ich nun<lb/> zugleich fand, daß ich ohne Zehrung ſei, ſo verfiel ich in<lb/> oder vielmehr auf ein zehrendes Fieber, worin ich täglich,<lb/> um dem Vaterland einen Vertheidiger zu erhalten, gute<lb/> Suppe, gutes Rindfleiſch, gutes Brot eſſen, und guten Wein<lb/> trinken mußte. <stage>(Nach einer Pauſe.)</stage> Es iſt ein Jammer.<lb/> Man kann keinen Kirchthurm herunterſpringen, ohne den<lb/> Hals zu brechen. Man kann keine vier Pfund Kirſchen mit<lb/> den Steinen eſſen, ohne Leibweh zu kriegen. Seht, Herr,<lb/> ich könnte mich in eine Ecke ſetzen und ſingen vom Abend<lb/> bis zum Morgen: "Hei, da ſitzt e Fleig' an der Wand!<lb/> Fleig' an der Wand! Fleig' an der Wand!" und ſo fort<lb/> bis zum Ende meines Lebens.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Leonce.</hi> </hi> </speaker> <p>Halt's Maul mit deinem Lied, man könnte<lb/> darüber ein Narr werden.</p> </sp><lb/> <sp who="#VAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Valerio.</hi> </hi> </speaker> <p>So wäre man doch etwas. Ein Narr!<lb/> Ein Narr! Wer will mir ſeine Narrheit gegen meine Ver-<lb/> nunft verhandeln? Ha, ich bin Alexander der Große! Wie<lb/> mir die Sonne eine goldne Krone in die Haare ſcheint, wie<lb/> meine Uniform blitzt! Herr Generaliſſimus Heupferd, laſſen<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [119/0315]
tranſchiren und eine Bouteille Wein austrocknen — im
Hôtel nämlich.
Leonce. Ein erbaulicher Lebenslauf!
Valerio. Ich habe eigentlich einen läufigen Lebenslauf.
Denn nur mein Laufen hat im Laufe dieſes Krieges mein
Leben vor einem Lauf gerettet, der ein Loch in dasſelbe
machen wollte. Ich bekam in Folge dieſer Rettung eines
Menſchenlebens einen trocknen Huſten, welcher den Doctor
annehmen ließ, daß mein Laufen ein Galoppiren geworden
ſei und ich die galoppirende Auszehrung hätte. Da ich nun
zugleich fand, daß ich ohne Zehrung ſei, ſo verfiel ich in
oder vielmehr auf ein zehrendes Fieber, worin ich täglich,
um dem Vaterland einen Vertheidiger zu erhalten, gute
Suppe, gutes Rindfleiſch, gutes Brot eſſen, und guten Wein
trinken mußte. (Nach einer Pauſe.) Es iſt ein Jammer.
Man kann keinen Kirchthurm herunterſpringen, ohne den
Hals zu brechen. Man kann keine vier Pfund Kirſchen mit
den Steinen eſſen, ohne Leibweh zu kriegen. Seht, Herr,
ich könnte mich in eine Ecke ſetzen und ſingen vom Abend
bis zum Morgen: "Hei, da ſitzt e Fleig' an der Wand!
Fleig' an der Wand! Fleig' an der Wand!" und ſo fort
bis zum Ende meines Lebens.
Leonce. Halt's Maul mit deinem Lied, man könnte
darüber ein Narr werden.
Valerio. So wäre man doch etwas. Ein Narr!
Ein Narr! Wer will mir ſeine Narrheit gegen meine Ver-
nunft verhandeln? Ha, ich bin Alexander der Große! Wie
mir die Sonne eine goldne Krone in die Haare ſcheint, wie
meine Uniform blitzt! Herr Generaliſſimus Heupferd, laſſen
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