mich nicht darnach zu beurtheilen. -- Man sprach weiter, er suchte nach Worten und erzählte rasch, aber auf der Folter; nach und nach wurde er ruhig durch das heimliche Zimmer und die stillen Gesichter, die aus dem Schatten hervortraten, das helle Kindergesicht, auf dem alles Licht zu ruhen schien und das neugierig, vertraulich aufschaute, bis zur Mutter, die hinten im Schatten engelgleich stille saß. Er fing an zu erzählen, von seiner Heimat; er zeichnete allerhand Trachten, man drängte sich theilnehmend um ihn, er war gleich zu Haus, sein blasses Kindergesicht, das jetzt lächelte, sein lebendiges Erzählen; er wurde ruhig, es war ihm als träten alte Gestalten, vergessene Gesichter wieder aus dem Dunkeln, alte Lieder wachten auf, er war weg, weit weg. Endlich war es Zeit zum Gehen, man führte ihn über die Straße, das Pfarrhaus war zu eng, man gab ihm ein Zimmer im Schulhause. Er ging hinauf, es war kalt oben, eine weite Stube, leer, ein hohes Bett im Hinter- grund; er stellte das Licht auf den Tisch und ging auf und ab, er besann sich wieder auf den Tag, wie er herge- kommen, wo er war, das Zimmer im Pfarrhause mit seinen Lichtern und lieben Gesichtern, es war ihm wie ein Schatten, ein Traum, und es wurde ihm leer, wieder wie auf dem Berg, aber er konnte es mit nichts mehr ausfüllen, das Licht war erloschen, die Finsterniß verschlang Alles; eine unnennbare Angst erfaßte ihn, er sprang auf, er lief durchs Zimmer, die Treppe hinunter, vor's Haus; aber umsonst, Alles finster, nichts, er war sich selbst ein Traum, einzelne Gedanken huschten auf, er hielt sie fest, es war ihm als müsse er immer "Vater unser" sagen; er konnte sich nicht mehr finden, ein dunkler Instinct trieb ihn, sich zu retten,
mich nicht darnach zu beurtheilen. — Man ſprach weiter, er ſuchte nach Worten und erzählte raſch, aber auf der Folter; nach und nach wurde er ruhig durch das heimliche Zimmer und die ſtillen Geſichter, die aus dem Schatten hervortraten, das helle Kindergeſicht, auf dem alles Licht zu ruhen ſchien und das neugierig, vertraulich aufſchaute, bis zur Mutter, die hinten im Schatten engelgleich ſtille ſaß. Er fing an zu erzählen, von ſeiner Heimat; er zeichnete allerhand Trachten, man drängte ſich theilnehmend um ihn, er war gleich zu Haus, ſein blaſſes Kindergeſicht, das jetzt lächelte, ſein lebendiges Erzählen; er wurde ruhig, es war ihm als träten alte Geſtalten, vergeſſene Geſichter wieder aus dem Dunkeln, alte Lieder wachten auf, er war weg, weit weg. Endlich war es Zeit zum Gehen, man führte ihn über die Straße, das Pfarrhaus war zu eng, man gab ihm ein Zimmer im Schulhauſe. Er ging hinauf, es war kalt oben, eine weite Stube, leer, ein hohes Bett im Hinter- grund; er ſtellte das Licht auf den Tiſch und ging auf und ab, er beſann ſich wieder auf den Tag, wie er herge- kommen, wo er war, das Zimmer im Pfarrhauſe mit ſeinen Lichtern und lieben Geſichtern, es war ihm wie ein Schatten, ein Traum, und es wurde ihm leer, wieder wie auf dem Berg, aber er konnte es mit nichts mehr ausfüllen, das Licht war erloſchen, die Finſterniß verſchlang Alles; eine unnennbare Angſt erfaßte ihn, er ſprang auf, er lief durchs Zimmer, die Treppe hinunter, vor's Haus; aber umſonſt, Alles finſter, nichts, er war ſich ſelbſt ein Traum, einzelne Gedanken huſchten auf, er hielt ſie feſt, es war ihm als müſſe er immer "Vater unſer" ſagen; er konnte ſich nicht mehr finden, ein dunkler Inſtinct trieb ihn, ſich zu retten,
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mich nicht darnach zu beurtheilen. — Man ſprach weiter,
er ſuchte nach Worten und erzählte raſch, aber auf der
Folter; nach und nach wurde er ruhig durch das heimliche
Zimmer und die ſtillen Geſichter, die aus dem Schatten
hervortraten, das helle Kindergeſicht, auf dem alles Licht zu
ruhen ſchien und das neugierig, vertraulich aufſchaute, bis
zur Mutter, die hinten im Schatten engelgleich ſtille ſaß.
Er fing an zu erzählen, von ſeiner Heimat; er zeichnete
allerhand Trachten, man drängte ſich theilnehmend um ihn,
er war gleich zu Haus, ſein blaſſes Kindergeſicht, das jetzt
lächelte, ſein lebendiges Erzählen; er wurde ruhig, es war
ihm als träten alte Geſtalten, vergeſſene Geſichter wieder
aus dem Dunkeln, alte Lieder wachten auf, er war weg,
weit weg. Endlich war es Zeit zum Gehen, man führte
ihn über die Straße, das Pfarrhaus war zu eng, man gab
ihm ein Zimmer im Schulhauſe. Er ging hinauf, es war
kalt oben, eine weite Stube, leer, ein hohes Bett im Hinter-
grund; er ſtellte das Licht auf den Tiſch und ging auf
und ab, er beſann ſich wieder auf den Tag, wie er herge-
kommen, wo er war, das Zimmer im Pfarrhauſe mit ſeinen
Lichtern und lieben Geſichtern, es war ihm wie ein Schatten,
ein Traum, und es wurde ihm leer, wieder wie auf dem
Berg, aber er konnte es mit nichts mehr ausfüllen, das
Licht war erloſchen, die Finſterniß verſchlang Alles; eine
unnennbare Angſt erfaßte ihn, er ſprang auf, er lief durchs
Zimmer, die Treppe hinunter, vor's Haus; aber umſonſt,
Alles finſter, nichts, er war ſich ſelbſt ein Traum, einzelne
Gedanken huſchten auf, er hielt ſie feſt, es war ihm als
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/406>, abgerufen am 21.11.2024.
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