für mein Inneres, aber ich habe keinen Schrei für den Schmerz, kein Jauchzen für die Freude, keine Harmonie für die Seligkeit. Dies Stummsein ist meine Verdammniß. Ich habe dir's schon tausendmal gesagt: Lies meine Briefe nicht, -- kalte, träge Worte! Könnte ich nur über dich einen vollen Ton ausgießen -- so schleppe ich dich in meine wüsten Irrgänge. Du sitzest jetzt im dunkeln Zimmer in deinen Thränen allein, bald trete ich zu dir. Seit vierzehn Tagen steht dein Bild beständig vor mir, ich sehe dich in jedem Traum. Dein Schatten schwebt immer vor mir, wie das Lichtzittern, wenn man in die Sonne gesehen. Ich lechze nach einer seligen Empfindung, die wird mir bald, bald, bei dir.
4.
Gießen 1834.
... Ich werde gleich von hier nach Straßburg gehen, ohne Darmstadt zu berühren; ich hätte dort auf Schwierig- keiten gestoßen, und meine Reise wäre vielleicht bis zu Ende der Vakanzen verschoben worden. Ich schreibe dir jedoch vor- her noch einmal, sonst ertrag' ich's nicht vor Ungeduld; dieser Brief ist ohnedies so langweilig, wie ein Anmelden in einem vornehmen Hause: Herr Studiosus Büchner. Das ist Alles! Wie ich hier zusammenschrumpfe, ich erliege fast unter diesem Bewußtsein; ja sonst wäre es ziemlich gleichgiltig; wie man nur einen Betäubten oder Blödsinnigen beklagen mag! Aber du, was sagst du zu dem Invaliden? Ich wenigstens kann die Leute auf halbem Sold nicht ausstehen. Nous ferons un peu de romantique, pour nous tenir a la hauteur du siecle; et puis me faudra-t-il du fer a cheval pour faire
für mein Inneres, aber ich habe keinen Schrei für den Schmerz, kein Jauchzen für die Freude, keine Harmonie für die Seligkeit. Dies Stummſein iſt meine Verdammniß. Ich habe dir's ſchon tauſendmal geſagt: Lies meine Briefe nicht, — kalte, träge Worte! Könnte ich nur über dich einen vollen Ton ausgießen — ſo ſchleppe ich dich in meine wüſten Irrgänge. Du ſitzeſt jetzt im dunkeln Zimmer in deinen Thränen allein, bald trete ich zu dir. Seit vierzehn Tagen ſteht dein Bild beſtändig vor mir, ich ſehe dich in jedem Traum. Dein Schatten ſchwebt immer vor mir, wie das Lichtzittern, wenn man in die Sonne geſehen. Ich lechze nach einer ſeligen Empfindung, die wird mir bald, bald, bei dir.
4.
Gießen 1834.
... Ich werde gleich von hier nach Straßburg gehen, ohne Darmſtadt zu berühren; ich hätte dort auf Schwierig- keiten geſtoßen, und meine Reiſe wäre vielleicht bis zu Ende der Vakanzen verſchoben worden. Ich ſchreibe dir jedoch vor- her noch einmal, ſonſt ertrag' ich's nicht vor Ungeduld; dieſer Brief iſt ohnedies ſo langweilig, wie ein Anmelden in einem vornehmen Hauſe: Herr Studioſus Büchner. Das iſt Alles! Wie ich hier zuſammenſchrumpfe, ich erliege faſt unter dieſem Bewußtſein; ja ſonſt wäre es ziemlich gleichgiltig; wie man nur einen Betäubten oder Blödſinnigen beklagen mag! Aber du, was ſagſt du zu dem Invaliden? Ich wenigſtens kann die Leute auf halbem Sold nicht ausſtehen. Nous ferons un peu de romantique, pour nous tenir à la hauteur du siècle; et puis me faudra-t-il du fer à cheval pour faire
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für mein Inneres, aber ich habe keinen Schrei für den
Schmerz, kein Jauchzen für die Freude, keine Harmonie für
die Seligkeit. Dies Stummſein iſt meine Verdammniß.
Ich habe dir's ſchon tauſendmal geſagt: Lies meine Briefe
nicht, — kalte, träge Worte! Könnte ich nur über dich
einen vollen Ton ausgießen — ſo ſchleppe ich dich in meine
wüſten Irrgänge. Du ſitzeſt jetzt im dunkeln Zimmer in
deinen Thränen allein, bald trete ich zu dir. Seit vierzehn
Tagen ſteht dein Bild beſtändig vor mir, ich ſehe dich in
jedem Traum. Dein Schatten ſchwebt immer vor mir, wie
das Lichtzittern, wenn man in die Sonne geſehen. Ich
lechze nach einer ſeligen Empfindung, die wird mir bald,
bald, bei dir.
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Gießen 1834.
... Ich werde gleich von hier nach Straßburg gehen,
ohne Darmſtadt zu berühren; ich hätte dort auf Schwierig-
keiten geſtoßen, und meine Reiſe wäre vielleicht bis zu Ende
der Vakanzen verſchoben worden. Ich ſchreibe dir jedoch vor-
her noch einmal, ſonſt ertrag' ich's nicht vor Ungeduld; dieſer
Brief iſt ohnedies ſo langweilig, wie ein Anmelden in einem
vornehmen Hauſe: Herr Studioſus Büchner. Das iſt Alles!
Wie ich hier zuſammenſchrumpfe, ich erliege faſt unter dieſem
Bewußtſein; ja ſonſt wäre es ziemlich gleichgiltig; wie
man nur einen Betäubten oder Blödſinnigen beklagen mag!
Aber du, was ſagſt du zu dem Invaliden? Ich wenigſtens
kann die Leute auf halbem Sold nicht ausſtehen. Nous
ferons un peu de romantique, pour nous tenir à la hauteur
du siècle; et puis me faudra-t-il du fer à cheval pour faire
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/571>, abgerufen am 21.11.2024.
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