Beide waren gleich an Geisteskräften, gleich an Macht und Ansehn, aber beide ganz verschiedenen Carakters. Cato der letzte Römer, Cäsar nichts mehr als ein glücklicher Cati- lina; Cato groß durch sich selbst, Cäsar groß durch sein Glück. Für zwei solcher Männer war der Erdkreis zu eng. Einer mußte fallen, und Cato fiel, nicht als ein Opfer der Ueberlegenheit Cäsars, sondern seiner verdorbenen Zeit. Anderthalbe hundert Jahre zuvor hätte kein Cäsar gesiegt. Nach Cäsars Sieg hatte Cato die Hoffnung seines Lebens verloren; nur von wenigen Freunden begleitet begab er sich nach Utika, wo er noch die letzten Anstrengungen machte, die Bürger für die Sache der Freiheit zu gewinnen. Doch als er sah, daß in ihnen nur Sklavenseelen wohnten, als Rom von seinem Herzen sich losriß, als er nirgends mehr ein Asyl fand für die Göttin seines Lebens, da hielt er es für das Einzigwürdige, durch einen besonnenen Tod seine freie Seele zu retten. Voll der zärtlichsten Liebe sorgte er für seine Freunde, kalt und ruhig überlegte er seinen Ent- schluß, und als alle Bande zerrissen, die ihn an das Leben fesselten, gab er sich mit sicherer Hand den Todesstoß und starb, durch seinen Tod einen würdigen Schlußstein auf den Riesenbau seines Lebens setzend. Solch' ein Ende konnte allein einer so großen Tugend in einer so heillosen Zeit geziemen!
So verschieden nun die Beurtheilungen dieser Handlung sind, ebenso verschieden sind auch die Motive, die man ihr zum Grunde legt. Doch ich denke, ich habe nicht nöthig, hier diejenigen zurückzuweisen, welche von Eitelkeit, Ruhm- sucht, Halsstarrigkeit und dergleichen kleinlichen Gründen mehr reden (solche Gefühle hatten keinen Raum in der Brust
Beide waren gleich an Geiſteskräften, gleich an Macht und Anſehn, aber beide ganz verſchiedenen Carakters. Cato der letzte Römer, Cäſar nichts mehr als ein glücklicher Cati- lina; Cato groß durch ſich ſelbſt, Cäſar groß durch ſein Glück. Für zwei ſolcher Männer war der Erdkreis zu eng. Einer mußte fallen, und Cato fiel, nicht als ein Opfer der Ueberlegenheit Cäſars, ſondern ſeiner verdorbenen Zeit. Anderthalbe hundert Jahre zuvor hätte kein Cäſar geſiegt. Nach Cäſars Sieg hatte Cato die Hoffnung ſeines Lebens verloren; nur von wenigen Freunden begleitet begab er ſich nach Utika, wo er noch die letzten Anſtrengungen machte, die Bürger für die Sache der Freiheit zu gewinnen. Doch als er ſah, daß in ihnen nur Sklavenſeelen wohnten, als Rom von ſeinem Herzen ſich losriß, als er nirgends mehr ein Aſyl fand für die Göttin ſeines Lebens, da hielt er es für das Einzigwürdige, durch einen beſonnenen Tod ſeine freie Seele zu retten. Voll der zärtlichſten Liebe ſorgte er für ſeine Freunde, kalt und ruhig überlegte er ſeinen Ent- ſchluß, und als alle Bande zerriſſen, die ihn an das Leben feſſelten, gab er ſich mit ſicherer Hand den Todesſtoß und ſtarb, durch ſeinen Tod einen würdigen Schlußſtein auf den Rieſenbau ſeines Lebens ſetzend. Solch' ein Ende konnte allein einer ſo großen Tugend in einer ſo heilloſen Zeit geziemen!
So verſchieden nun die Beurtheilungen dieſer Handlung ſind, ebenſo verſchieden ſind auch die Motive, die man ihr zum Grunde legt. Doch ich denke, ich habe nicht nöthig, hier diejenigen zurückzuweiſen, welche von Eitelkeit, Ruhm- ſucht, Halsſtarrigkeit und dergleichen kleinlichen Gründen mehr reden (ſolche Gefühle hatten keinen Raum in der Bruſt
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Beide waren gleich an Geiſteskräften, gleich an Macht und
Anſehn, aber beide ganz verſchiedenen Carakters. Cato der
letzte Römer, Cäſar nichts mehr als ein glücklicher Cati-
lina; Cato groß durch ſich ſelbſt, Cäſar groß durch ſein
Glück. Für zwei ſolcher Männer war der Erdkreis zu eng.
Einer mußte fallen, und Cato fiel, nicht als ein Opfer der
Ueberlegenheit Cäſars, ſondern ſeiner verdorbenen Zeit.
Anderthalbe hundert Jahre zuvor hätte kein Cäſar geſiegt.
Nach Cäſars Sieg hatte Cato die Hoffnung ſeines Lebens
verloren; nur von wenigen Freunden begleitet begab er ſich
nach Utika, wo er noch die letzten Anſtrengungen machte,
die Bürger für die Sache der Freiheit zu gewinnen. Doch
als er ſah, daß in ihnen nur Sklavenſeelen wohnten, als
Rom von ſeinem Herzen ſich losriß, als er nirgends mehr
ein Aſyl fand für die Göttin ſeines Lebens, da hielt er es
für das Einzigwürdige, durch einen beſonnenen Tod ſeine
freie Seele zu retten. Voll der zärtlichſten Liebe ſorgte er
für ſeine Freunde, kalt und ruhig überlegte er ſeinen Ent-
ſchluß, und als alle Bande zerriſſen, die ihn an das Leben
feſſelten, gab er ſich mit ſicherer Hand den Todesſtoß und
ſtarb, durch ſeinen Tod einen würdigen Schlußſtein auf den
Rieſenbau ſeines Lebens ſetzend. Solch' ein Ende konnte
allein einer ſo großen Tugend in einer ſo heilloſen Zeit
geziemen!
So verſchieden nun die Beurtheilungen dieſer Handlung
ſind, ebenſo verſchieden ſind auch die Motive, die man ihr
zum Grunde legt. Doch ich denke, ich habe nicht nöthig,
hier diejenigen zurückzuweiſen, welche von Eitelkeit, Ruhm-
ſucht, Halsſtarrigkeit und dergleichen kleinlichen Gründen
mehr reden (ſolche Gefühle hatten keinen Raum in der Bruſt
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/598>, abgerufen am 22.11.2024.
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