sei ihm schwer und dies war das einzige Mal in seiner ganzen Krankheit, daß er über den Kopf klagte. Er war ganz bei sich, sprach aber zuweilen im Schlaf. Wir schrieben an diesem Tage an seine Geschwister nach Darmstadt.
14. Februar. Morgens frühe kam Schönlein und billigte ganz das bisherige Verfahren des Dr. Zehnder, auch behielt er dieselben Arzeneien bei. Büchner sprach sehr ver- nünftig mit ihm, bekam aber schon während der Anwesenheit der Aerzte starke Hitze; ich blieb bei ihm und er nannte mich manchmal Schmid; wenn ich dann sagte, ich sei Frau Schulz, lächelte er mir zu; auch glaubte er zuweilen, es stände Jemand in der Ecke und dgl. Ich las für mich im Morgen- blatt, das er für einen Brief hielt, ich legte es daher weg. Gegen Abend bekam er einen heftigen Anfall von Zittern (Zittern der Hände hatte man schon früher bemerkt), wobei er ganz irre sprach. Ich wurde sehr unruhig und sorgte von nun an dafür, daß außer mir auch immer noch einer seiner Freunde bei ihm war. Er wurde nach und nach immer ruhiger. Gegen 8 Uhr kam das Deliriren wieder, und sonderbar war es, daß er oft über seine Phantasieen sprach, sie selbst beurtheilte, wenn man sie ihm ausgeredet hatte. Eine Phantasie, die oft wiederkehrte war die, daß er wähnte ausgeliefert zu werden. Die Nacht war unruhig; er sprach viel Französisch und redete mehrere Male seine Braut an.
15. Februar. Ich fand ihn Morgens früh sehr ver- ändert; doch kannte er mich, verlangte zu seinem Thee, weil die Tasse groß war, auch einen großen Löffel. Er sprach wenn er bei sich war, etwas schwer, sobald er aber delirirte, sprach er ganz geläufig. Er erzählte mir eine lange zu-
ſei ihm ſchwer und dies war das einzige Mal in ſeiner ganzen Krankheit, daß er über den Kopf klagte. Er war ganz bei ſich, ſprach aber zuweilen im Schlaf. Wir ſchrieben an dieſem Tage an ſeine Geſchwiſter nach Darmſtadt.
14. Februar. Morgens frühe kam Schönlein und billigte ganz das bisherige Verfahren des Dr. Zehnder, auch behielt er dieſelben Arzeneien bei. Büchner ſprach ſehr ver- nünftig mit ihm, bekam aber ſchon während der Anweſenheit der Aerzte ſtarke Hitze; ich blieb bei ihm und er nannte mich manchmal Schmid; wenn ich dann ſagte, ich ſei Frau Schulz, lächelte er mir zu; auch glaubte er zuweilen, es ſtände Jemand in der Ecke und dgl. Ich las für mich im Morgen- blatt, das er für einen Brief hielt, ich legte es daher weg. Gegen Abend bekam er einen heftigen Anfall von Zittern (Zittern der Hände hatte man ſchon früher bemerkt), wobei er ganz irre ſprach. Ich wurde ſehr unruhig und ſorgte von nun an dafür, daß außer mir auch immer noch einer ſeiner Freunde bei ihm war. Er wurde nach und nach immer ruhiger. Gegen 8 Uhr kam das Deliriren wieder, und ſonderbar war es, daß er oft über ſeine Phantaſieen ſprach, ſie ſelbſt beurtheilte, wenn man ſie ihm ausgeredet hatte. Eine Phantaſie, die oft wiederkehrte war die, daß er wähnte ausgeliefert zu werden. Die Nacht war unruhig; er ſprach viel Franzöſiſch und redete mehrere Male ſeine Braut an.
15. Februar. Ich fand ihn Morgens früh ſehr ver- ändert; doch kannte er mich, verlangte zu ſeinem Thee, weil die Taſſe groß war, auch einen großen Löffel. Er ſprach wenn er bei ſich war, etwas ſchwer, ſobald er aber delirirte, ſprach er ganz geläufig. Er erzählte mir eine lange zu-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0621"n="425"/>ſei ihm ſchwer und dies war das einzige Mal in ſeiner<lb/>
ganzen Krankheit, daß er über den Kopf klagte. Er war ganz<lb/>
bei ſich, ſprach aber zuweilen im Schlaf. Wir ſchrieben an<lb/>
dieſem Tage an ſeine Geſchwiſter nach Darmſtadt.</p><lb/><p>14. <hirendition="#g">Februar</hi>. Morgens frühe kam Schönlein und<lb/>
billigte ganz das bisherige Verfahren des <hirendition="#aq">Dr.</hi> Zehnder, auch<lb/>
behielt er dieſelben Arzeneien bei. Büchner ſprach ſehr ver-<lb/>
nünftig mit ihm, bekam aber ſchon während der Anweſenheit<lb/>
der Aerzte ſtarke Hitze; ich blieb bei ihm und er nannte<lb/>
mich manchmal Schmid; wenn ich dann ſagte, ich ſei Frau<lb/>
Schulz, lächelte er mir zu; auch glaubte er zuweilen, es ſtände<lb/>
Jemand in der Ecke und dgl. Ich las für mich im Morgen-<lb/>
blatt, das er für einen Brief hielt, ich legte es daher weg.<lb/>
Gegen Abend bekam er einen heftigen Anfall von Zittern<lb/>
(Zittern der Hände hatte man ſchon früher bemerkt), wobei<lb/>
er ganz irre ſprach. Ich wurde ſehr unruhig und ſorgte<lb/>
von nun an dafür, daß außer mir auch immer noch einer<lb/>ſeiner Freunde bei ihm war. Er wurde nach und nach<lb/>
immer ruhiger. Gegen 8 Uhr kam das Deliriren wieder,<lb/>
und ſonderbar war es, daß er oft über ſeine Phantaſieen<lb/>ſprach, ſie ſelbſt beurtheilte, wenn man ſie ihm ausgeredet<lb/>
hatte. Eine Phantaſie, die oft wiederkehrte war die, daß er<lb/>
wähnte ausgeliefert zu werden. Die Nacht war unruhig;<lb/>
er ſprach viel Franzöſiſch und redete mehrere Male ſeine<lb/>
Braut an.</p><lb/><p>15. <hirendition="#g">Februar</hi>. Ich fand ihn Morgens früh ſehr ver-<lb/>
ändert; doch kannte er mich, verlangte zu ſeinem Thee, weil<lb/>
die Taſſe groß war, auch einen großen Löffel. Er ſprach<lb/>
wenn er bei ſich war, etwas ſchwer, ſobald er aber delirirte,<lb/>ſprach er ganz geläufig. Er erzählte mir eine lange zu-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[425/0621]
ſei ihm ſchwer und dies war das einzige Mal in ſeiner
ganzen Krankheit, daß er über den Kopf klagte. Er war ganz
bei ſich, ſprach aber zuweilen im Schlaf. Wir ſchrieben an
dieſem Tage an ſeine Geſchwiſter nach Darmſtadt.
14. Februar. Morgens frühe kam Schönlein und
billigte ganz das bisherige Verfahren des Dr. Zehnder, auch
behielt er dieſelben Arzeneien bei. Büchner ſprach ſehr ver-
nünftig mit ihm, bekam aber ſchon während der Anweſenheit
der Aerzte ſtarke Hitze; ich blieb bei ihm und er nannte
mich manchmal Schmid; wenn ich dann ſagte, ich ſei Frau
Schulz, lächelte er mir zu; auch glaubte er zuweilen, es ſtände
Jemand in der Ecke und dgl. Ich las für mich im Morgen-
blatt, das er für einen Brief hielt, ich legte es daher weg.
Gegen Abend bekam er einen heftigen Anfall von Zittern
(Zittern der Hände hatte man ſchon früher bemerkt), wobei
er ganz irre ſprach. Ich wurde ſehr unruhig und ſorgte
von nun an dafür, daß außer mir auch immer noch einer
ſeiner Freunde bei ihm war. Er wurde nach und nach
immer ruhiger. Gegen 8 Uhr kam das Deliriren wieder,
und ſonderbar war es, daß er oft über ſeine Phantaſieen
ſprach, ſie ſelbſt beurtheilte, wenn man ſie ihm ausgeredet
hatte. Eine Phantaſie, die oft wiederkehrte war die, daß er
wähnte ausgeliefert zu werden. Die Nacht war unruhig;
er ſprach viel Franzöſiſch und redete mehrere Male ſeine
Braut an.
15. Februar. Ich fand ihn Morgens früh ſehr ver-
ändert; doch kannte er mich, verlangte zu ſeinem Thee, weil
die Taſſe groß war, auch einen großen Löffel. Er ſprach
wenn er bei ſich war, etwas ſchwer, ſobald er aber delirirte,
ſprach er ganz geläufig. Er erzählte mir eine lange zu-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/621>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.