Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bunge, Gustav von: Der Vegetarianismus. Berlin, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite


dene Ernährungsweise haben. So sind z. B. das Murmel-
thier (Aretomys marmota) und der Zisel (Spermophilus
Citillus) sehr nah verwandte Nager; sie zeigen in ihrem
anatomischen Bauej insbesondere im Baue der Zähne,
die grösste Uebereinstimmung. Und doch ist das
Murmelthier ein rein herbivores1) der Zisel ein om-
nivores Thier. Der Zisel frisst Mäuse, Vogeleier,
junge und alte Vögel2). Nehmen wir an, uns wäre
vom Zisel nur der anatomische Bau, vom Murmel-
thier aber sowohl der Bau als auch die Ernährungs-
weise bekannt, so müssten wir nach der Logik der
Vegetarianer schlossen, der Zisel sei ein herbivores
Geschöpf. Dieser Schluss wäre ein Fehlschluss, ein
Analogieschluss aus ungenügendem Material.

Wie aus der vergleichenden Anatomie, so lassen
sich auch aus der vergleichenden Physiologie
Thatsachen anführen, welche mit mehr oder weniger
Wahrscheinlichkeit einen Analogieschluss für oder
wider die Lehre der Vegetarianer zulassen. Ge-
statten Sie mir, aus dem Gebiete, mit dem ich mich
vorzugsweise beschäftigt habe, aus der physiologi-
schen Chemie eine Thatsache Ihnen vorzuführen,
welche zur Begründung des Vegetarianismus weit
besser sich verwerthen Hesse als die Thatsachen der
vergleichenden Anatomie.

Ich meine! die Zusammensetzung der mensch-
lichen Milch. Die Milch der fleisch- und Pflanzen-

1) Brehm's TJbierleben. Bd, II. 1877. S. 208 u. 304.
2) Brehm, 1. c. S. 292, 293, 294.


dene Ernährungsweise haben. So sind z. B. das Murmel-
thier (Aretomys marmota) und der Zisel (Spermophilus
Citillus) sehr nah verwandte Nager; sie zeigen in ihrem
anatomischen Bauej insbesondere im Baue der Zähne,
die grösste Uebereinstimmung. Und doch ist das
Murmelthier ein rein herbivores1) der Zisel ein om-
nivores Thier. Der Zisel frisst Mäuse, Vogeleier,
junge und alte Vögel2). Nehmen wir an, uns wäre
vom Zisel nur der anatomische Bau, vom Murmel-
thier aber sowohl der Bau als auch die Ernährungs-
weise bekannt, so müssten wir nach der Logik der
Vegetarianer schlossen, der Zisel sei ein herbivores
Geschöpf. Dieser Schluss wäre ein Fehlschluss, ein
Analogieschluss aus ungenügendem Material.

Wie aus der vergleichenden Anatomie, so lassen
sich auch aus der vergleichenden Physiologie
Thatsachen anführen, welche mit mehr oder weniger
Wahrscheinlichkeit einen Analogieschluss für oder
wider die Lehre der Vegetarianer zulassen. Ge-
statten Sie mir, aus dem Gebiete, mit dem ich mich
vorzugsweise beschäftigt habe, aus der physiologi-
schen Chemie eine Thatsache Ihnen vorzuführen,
welche zur Begründung des Vegetarianismus weit
besser sich verwerthen Hesse als die Thatsachen der
vergleichenden Anatomie.

Ich meine! die Zusammensetzung der mensch-
lichen Milch. Die Milch der fleisch- und Pflanzen-

1) Brehm’s TJbierleben. Bd, II. 1877. S. 208 u. 304.
2) Brehm, 1. c. S. 292, 293, 294.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011" n="10"/><lb/>
dene Ernährungsweise haben. So sind z. B. das Murmel-<lb/>
thier (Aretomys marmota) und der Zisel (Spermophilus<lb/>
Citillus) sehr nah verwandte Nager; sie zeigen in ihrem<lb/>
anatomischen Bauej insbesondere im Baue der Zähne,<lb/>
die grösste Uebereinstimmung. Und doch ist das<lb/>
Murmelthier ein rein herbivores<note place="foot" n="1)">Brehm&#x2019;s TJbierleben. Bd, II. 1877. S. 208 u. 304.</note> der Zisel ein om-<lb/>
nivores Thier. Der Zisel frisst Mäuse, Vogeleier,<lb/>
junge und alte Vögel<note place="foot" n="2)">  Brehm, 1. c. S. 292, 293, 294.</note>. Nehmen wir an, uns wäre<lb/>
vom Zisel nur der anatomische Bau, vom Murmel-<lb/>
thier aber sowohl der Bau als auch die Ernährungs-<lb/>
weise bekannt, so müssten wir nach der Logik der<lb/>
Vegetarianer schlossen, der Zisel sei ein herbivores<lb/>
Geschöpf. Dieser Schluss wäre ein Fehlschluss, ein<lb/>
Analogieschluss aus ungenügendem Material.</p><lb/>
        <p> Wie aus der vergleichenden Anatomie, so lassen<lb/>
sich auch aus der vergleichenden Physiologie<lb/>
Thatsachen anführen, welche mit mehr oder weniger<lb/>
Wahrscheinlichkeit einen Analogieschluss für oder<lb/>
wider die Lehre der Vegetarianer zulassen. Ge-<lb/>
statten Sie mir, aus dem Gebiete, mit dem ich mich<lb/>
vorzugsweise beschäftigt habe, aus der physiologi-<lb/>
schen Chemie eine Thatsache Ihnen vorzuführen,<lb/>
welche zur Begründung des Vegetarianismus weit<lb/>
besser sich verwerthen Hesse als die Thatsachen der<lb/>
vergleichenden Anatomie.<lb/></p>
        <p> Ich meine! die Zusammensetzung der mensch-<lb/>
lichen Milch. Die Milch der fleisch- und Pflanzen-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0011] dene Ernährungsweise haben. So sind z. B. das Murmel- thier (Aretomys marmota) und der Zisel (Spermophilus Citillus) sehr nah verwandte Nager; sie zeigen in ihrem anatomischen Bauej insbesondere im Baue der Zähne, die grösste Uebereinstimmung. Und doch ist das Murmelthier ein rein herbivores 1) der Zisel ein om- nivores Thier. Der Zisel frisst Mäuse, Vogeleier, junge und alte Vögel 2). Nehmen wir an, uns wäre vom Zisel nur der anatomische Bau, vom Murmel- thier aber sowohl der Bau als auch die Ernährungs- weise bekannt, so müssten wir nach der Logik der Vegetarianer schlossen, der Zisel sei ein herbivores Geschöpf. Dieser Schluss wäre ein Fehlschluss, ein Analogieschluss aus ungenügendem Material. Wie aus der vergleichenden Anatomie, so lassen sich auch aus der vergleichenden Physiologie Thatsachen anführen, welche mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit einen Analogieschluss für oder wider die Lehre der Vegetarianer zulassen. Ge- statten Sie mir, aus dem Gebiete, mit dem ich mich vorzugsweise beschäftigt habe, aus der physiologi- schen Chemie eine Thatsache Ihnen vorzuführen, welche zur Begründung des Vegetarianismus weit besser sich verwerthen Hesse als die Thatsachen der vergleichenden Anatomie. Ich meine! die Zusammensetzung der mensch- lichen Milch. Die Milch der fleisch- und Pflanzen- 1) Brehm’s TJbierleben. Bd, II. 1877. S. 208 u. 304. 2) Brehm, 1. c. S. 292, 293, 294.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bunge_vegetarianismus_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bunge_vegetarianismus_1885/11
Zitationshilfe: Bunge, Gustav von: Der Vegetarianismus. Berlin, 1885, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bunge_vegetarianismus_1885/11>, abgerufen am 03.12.2024.