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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
bleiben sollen, da sie ganz für die Verklärung des Besondern, nicht
für die Verwirklichung des Allgemeinen geschaffen war. -- In der
aAbbazia, Cap. hinter der Sacristei, zwei schöne frühe Apostelfiguren.
b-- Ausserhalb Venedigs sind bemerkenswerth: im Pal. Pitti: ein Chri-
cstus unter den Schriftgelehrten; -- im Pal. Brignole zu Genua: eine
dAnbetung der Könige; -- in der Galerie zu Modena: die Gestalten
von vier Tugenden.

Unter den Schülern Tizians ist am ehesten mit Bonifazio zu ver-
gleichen: der schwächere Polidoro Veneziano. -- Von Cam-
pagnola
ausser den genannten Fresken (S. 973) noch Einiges in
Padua. -- Von Giovanni Cariani Bilder in seiner Heimath Ber-
egamo und in der Brera zu Mailand (Madonna mit S. Joseph, sechs
andern Heiligen und vielen Engeln), welche in der nobeln, bedeuten-
den Charakteristik auch noch an seinen frühern Lehrer Giorgione er-
innern. -- Von Calisto Piazza aus Lodi bedeutende Bilder in der
fIncoronata daselbst und in mehrern Kirchen von Brescia, sämmtlich
dem Verfasser nicht bekannt. -- Von Girol. Savoldo aus Brescia
geine grosse Madonna auf Wolken mit vier Heiligen in der Brera zu
hMailand, mehreres im Pal. Manfrin und eine Transfiguration in den
iUffizien, welche den Gedanken Giov. Bellini's (S. 827, h) in den Styl
der neuen Zeit übersetzt zeigt. -- Ungleich bedeutender ist ein anderer
brescianischer Nachfolger Tizians,

Moretto (eigentlich Alessandro Bonvicino) dessen Blüthe das
zweite und dritte Viertel des XVI. Jahrh. umfasst. Er scheint früher
Schüler jenes Sacchi von Pavia (S. 820) gewesen zu sein, später da-
gegen auch Eindrücke der römischen Schule -- glücklicher als irgend
ein anderer Oberitaliener -- in seine Darstellungsweise aufgenommen zu
haben. Seine Hauptwerke in Brescia, die ich nicht gesehen zu
haben schmerzlich bedaure, schildert Waagen (Kunstbl. 1851) mit fol-
kgenden Worten: "In dem Hochaltarbilde von S. Clemente entspricht
"die Zartheit und die Verklärtheit der religiösen Empfindung, der
"wunderbaren Feinheit des dem Moretto so eigenthümlichen Silber-
"tones, und gehört der Engel Michael zu den schönsten jugendlichen
"Köpfen, welche die neuere Kunst hervorgebracht hat. -- Die Krönung
l"Mariä in SS. Nazaro e Celso zeigt, welche Höhe er auch in dem
"strengen und grossen Kirchenstyl und in der Gluth der Farbe er-

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
bleiben sollen, da sie ganz für die Verklärung des Besondern, nicht
für die Verwirklichung des Allgemeinen geschaffen war. — In der
aAbbazia, Cap. hinter der Sacristei, zwei schöne frühe Apostelfiguren.
b— Ausserhalb Venedigs sind bemerkenswerth: im Pal. Pitti: ein Chri-
cstus unter den Schriftgelehrten; — im Pal. Brignole zu Genua: eine
dAnbetung der Könige; — in der Galerie zu Modena: die Gestalten
von vier Tugenden.

Unter den Schülern Tizians ist am ehesten mit Bonifazio zu ver-
gleichen: der schwächere Polidoro Veneziano. — Von Cam-
pagnola
ausser den genannten Fresken (S. 973) noch Einiges in
Padua. — Von Giovanni Cariani Bilder in seiner Heimath Ber-
egamo und in der Brera zu Mailand (Madonna mit S. Joseph, sechs
andern Heiligen und vielen Engeln), welche in der nobeln, bedeuten-
den Charakteristik auch noch an seinen frühern Lehrer Giorgione er-
innern. — Von Calisto Piazza aus Lodi bedeutende Bilder in der
fIncoronata daselbst und in mehrern Kirchen von Brescia, sämmtlich
dem Verfasser nicht bekannt. — Von Girol. Savoldo aus Brescia
geine grosse Madonna auf Wolken mit vier Heiligen in der Brera zu
hMailand, mehreres im Pal. Manfrin und eine Transfiguration in den
iUffizien, welche den Gedanken Giov. Bellini’s (S. 827, h) in den Styl
der neuen Zeit übersetzt zeigt. — Ungleich bedeutender ist ein anderer
brescianischer Nachfolger Tizians,

Moretto (eigentlich Alessandro Bonvicino) dessen Blüthe das
zweite und dritte Viertel des XVI. Jahrh. umfasst. Er scheint früher
Schüler jenes Sacchi von Pavia (S. 820) gewesen zu sein, später da-
gegen auch Eindrücke der römischen Schule — glücklicher als irgend
ein anderer Oberitaliener — in seine Darstellungsweise aufgenommen zu
haben. Seine Hauptwerke in Brescia, die ich nicht gesehen zu
haben schmerzlich bedaure, schildert Waagen (Kunstbl. 1851) mit fol-
kgenden Worten: „In dem Hochaltarbilde von S. Clemente entspricht
„die Zartheit und die Verklärtheit der religiösen Empfindung, der
„wunderbaren Feinheit des dem Moretto so eigenthümlichen Silber-
„tones, und gehört der Engel Michael zu den schönsten jugendlichen
„Köpfen, welche die neuere Kunst hervorgebracht hat. — Die Krönung
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[978/1000] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. bleiben sollen, da sie ganz für die Verklärung des Besondern, nicht für die Verwirklichung des Allgemeinen geschaffen war. — In der Abbazia, Cap. hinter der Sacristei, zwei schöne frühe Apostelfiguren. — Ausserhalb Venedigs sind bemerkenswerth: im Pal. Pitti: ein Chri- stus unter den Schriftgelehrten; — im Pal. Brignole zu Genua: eine Anbetung der Könige; — in der Galerie zu Modena: die Gestalten von vier Tugenden. a b c d Unter den Schülern Tizians ist am ehesten mit Bonifazio zu ver- gleichen: der schwächere Polidoro Veneziano. — Von Cam- pagnola ausser den genannten Fresken (S. 973) noch Einiges in Padua. — Von Giovanni Cariani Bilder in seiner Heimath Ber- gamo und in der Brera zu Mailand (Madonna mit S. Joseph, sechs andern Heiligen und vielen Engeln), welche in der nobeln, bedeuten- den Charakteristik auch noch an seinen frühern Lehrer Giorgione er- innern. — Von Calisto Piazza aus Lodi bedeutende Bilder in der Incoronata daselbst und in mehrern Kirchen von Brescia, sämmtlich dem Verfasser nicht bekannt. — Von Girol. Savoldo aus Brescia eine grosse Madonna auf Wolken mit vier Heiligen in der Brera zu Mailand, mehreres im Pal. Manfrin und eine Transfiguration in den Uffizien, welche den Gedanken Giov. Bellini’s (S. 827, h) in den Styl der neuen Zeit übersetzt zeigt. — Ungleich bedeutender ist ein anderer brescianischer Nachfolger Tizians, e f g h i Moretto (eigentlich Alessandro Bonvicino) dessen Blüthe das zweite und dritte Viertel des XVI. Jahrh. umfasst. Er scheint früher Schüler jenes Sacchi von Pavia (S. 820) gewesen zu sein, später da- gegen auch Eindrücke der römischen Schule — glücklicher als irgend ein anderer Oberitaliener — in seine Darstellungsweise aufgenommen zu haben. Seine Hauptwerke in Brescia, die ich nicht gesehen zu haben schmerzlich bedaure, schildert Waagen (Kunstbl. 1851) mit fol- genden Worten: „In dem Hochaltarbilde von S. Clemente entspricht „die Zartheit und die Verklärtheit der religiösen Empfindung, der „wunderbaren Feinheit des dem Moretto so eigenthümlichen Silber- „tones, und gehört der Engel Michael zu den schönsten jugendlichen „Köpfen, welche die neuere Kunst hervorgebracht hat. — Die Krönung „Mariä in SS. Nazaro e Celso zeigt, welche Höhe er auch in dem „strengen und grossen Kirchenstyl und in der Gluth der Farbe er- k l

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 978. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1000>, abgerufen am 16.07.2024.