bare Raumfreiheit gewährte, ist doch ursprünglich unter jenen Prä- missen entstanden. Erst Tintoretto sprengt diess Vorurtheil einiger- massen.
Sodann offenbart Bonifazio glänzend, wie und wesshalb die Venezianer zweiten und dritten Ranges den Florentinern und Römern der entsprechenden Stufe so weit überlegen sind. Die Auffassung des Momentes, so niedrig sie ihn fassen, bleibt wenigstens ganz naiv; der veredelte Naturalismus, welcher die Lebenskraft der Schule ist, treibt sie von selbst auch zu stets neuer Anschauung des Einzelnen; was sie aber von ihren Meistern entlehnen, jene Summe von Reiz- mitteln aus dem Gebiet der Farbe und des Lichtes, das nimmt die Nachwelt auch aus zweiter Hand auf das Dankbarste an. (Floren- tiner und Römer dagegen entlehnen von ihren Meistern Einzelelemente der Schönheit und der Energie zu conventioneller Verwerthung und legen sich auf das Ungeheure und Pathetische.) Einen höhern gei- stigen Gehalt darf man freilich bei wenigen Venezianern suchen, und so auch bei Bonifazio nicht, der bisweilen absolut gedankenlos malt; indess stört er doch nicht durch platte Roheit der Auffassung. Von seinen beiden grossen Abendmahlsbildern enthält dasjenige in S. Angelo Raffaelle (Cap. rechts vom Chor) eine Anzahl schöner,a selbst inniger Köpfe, der Moment des "unus vestrum" (S. 865) spricht sich noch deutlich aus. In dem andern Abendmahl, in S. M. materb Domini (linkes Querschiff), das noch schöner gemalt und vielleicht desshalb dem Palma vecchio zugeschrieben worden ist, kam es doch dem Maler schon nicht mehr auf den Moment an; die Apostel, in gleichgültigem Gespräch, achten gar nicht auf Christus. -- In der Academie: zwei prächtige Gluthbilder: eine Anbetung der Könige inc schöner Landschaft, und eine Madonna mit beiden Kindern und vier Heiligen; sodann ein gedankenloses Bild der Ehebrecherin; mehrere Einzelfiguren von Heiligen, welche sich nach einer Nische oder son- stigen Einfassung zu sehnen scheinen; endlich die Geschichte vom reichen Mann, höchst anziehend als Novellenbild und im Ganzen wohl B.'s bedeutendste Leistung. (Porträtähnlichkeit des reichen Mannes mit Heinrich VIII). -- Im Pal. Manfrin: Grosse Madonna mit Heiligen;d zwei Bilder deren Inhalt die sog. Tafel des Cebes bildet, Allegorien, die eigentlich für diese Schule das Fremdartigste waren und hätten
B. Cicerone. 62
Bonifazio Veneziano.
bare Raumfreiheit gewährte, ist doch ursprünglich unter jenen Prä- missen entstanden. Erst Tintoretto sprengt diess Vorurtheil einiger- massen.
Sodann offenbart Bonifazio glänzend, wie und wesshalb die Venezianer zweiten und dritten Ranges den Florentinern und Römern der entsprechenden Stufe so weit überlegen sind. Die Auffassung des Momentes, so niedrig sie ihn fassen, bleibt wenigstens ganz naiv; der veredelte Naturalismus, welcher die Lebenskraft der Schule ist, treibt sie von selbst auch zu stets neuer Anschauung des Einzelnen; was sie aber von ihren Meistern entlehnen, jene Summe von Reiz- mitteln aus dem Gebiet der Farbe und des Lichtes, das nimmt die Nachwelt auch aus zweiter Hand auf das Dankbarste an. (Floren- tiner und Römer dagegen entlehnen von ihren Meistern Einzelelemente der Schönheit und der Energie zu conventioneller Verwerthung und legen sich auf das Ungeheure und Pathetische.) Einen höhern gei- stigen Gehalt darf man freilich bei wenigen Venezianern suchen, und so auch bei Bonifazio nicht, der bisweilen absolut gedankenlos malt; indess stört er doch nicht durch platte Roheit der Auffassung. Von seinen beiden grossen Abendmahlsbildern enthält dasjenige in S. Angelo Raffaelle (Cap. rechts vom Chor) eine Anzahl schöner,a selbst inniger Köpfe, der Moment des „unus vestrum“ (S. 865) spricht sich noch deutlich aus. In dem andern Abendmahl, in S. M. materb Domini (linkes Querschiff), das noch schöner gemalt und vielleicht desshalb dem Palma vecchio zugeschrieben worden ist, kam es doch dem Maler schon nicht mehr auf den Moment an; die Apostel, in gleichgültigem Gespräch, achten gar nicht auf Christus. — In der Academie: zwei prächtige Gluthbilder: eine Anbetung der Könige inc schöner Landschaft, und eine Madonna mit beiden Kindern und vier Heiligen; sodann ein gedankenloses Bild der Ehebrecherin; mehrere Einzelfiguren von Heiligen, welche sich nach einer Nische oder son- stigen Einfassung zu sehnen scheinen; endlich die Geschichte vom reichen Mann, höchst anziehend als Novellenbild und im Ganzen wohl B.’s bedeutendste Leistung. (Porträtähnlichkeit des reichen Mannes mit Heinrich VIII). — Im Pal. Manfrin: Grosse Madonna mit Heiligen;d zwei Bilder deren Inhalt die sog. Tafel des Cebes bildet, Allegorien, die eigentlich für diese Schule das Fremdartigste waren und hätten
B. Cicerone. 62
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Bonifazio Veneziano.
bare Raumfreiheit gewährte, ist doch ursprünglich unter jenen Prä-
missen entstanden. Erst Tintoretto sprengt diess Vorurtheil einiger-
massen.
Sodann offenbart Bonifazio glänzend, wie und wesshalb die
Venezianer zweiten und dritten Ranges den Florentinern und Römern
der entsprechenden Stufe so weit überlegen sind. Die Auffassung
des Momentes, so niedrig sie ihn fassen, bleibt wenigstens ganz naiv;
der veredelte Naturalismus, welcher die Lebenskraft der Schule ist,
treibt sie von selbst auch zu stets neuer Anschauung des Einzelnen;
was sie aber von ihren Meistern entlehnen, jene Summe von Reiz-
mitteln aus dem Gebiet der Farbe und des Lichtes, das nimmt die
Nachwelt auch aus zweiter Hand auf das Dankbarste an. (Floren-
tiner und Römer dagegen entlehnen von ihren Meistern Einzelelemente
der Schönheit und der Energie zu conventioneller Verwerthung und
legen sich auf das Ungeheure und Pathetische.) Einen höhern gei-
stigen Gehalt darf man freilich bei wenigen Venezianern suchen, und
so auch bei Bonifazio nicht, der bisweilen absolut gedankenlos malt;
indess stört er doch nicht durch platte Roheit der Auffassung. Von
seinen beiden grossen Abendmahlsbildern enthält dasjenige in
S. Angelo Raffaelle (Cap. rechts vom Chor) eine Anzahl schöner,
selbst inniger Köpfe, der Moment des „unus vestrum“ (S. 865) spricht
sich noch deutlich aus. In dem andern Abendmahl, in S. M. mater
Domini (linkes Querschiff), das noch schöner gemalt und vielleicht
desshalb dem Palma vecchio zugeschrieben worden ist, kam es doch
dem Maler schon nicht mehr auf den Moment an; die Apostel, in
gleichgültigem Gespräch, achten gar nicht auf Christus. — In der
Academie: zwei prächtige Gluthbilder: eine Anbetung der Könige in
schöner Landschaft, und eine Madonna mit beiden Kindern und vier
Heiligen; sodann ein gedankenloses Bild der Ehebrecherin; mehrere
Einzelfiguren von Heiligen, welche sich nach einer Nische oder son-
stigen Einfassung zu sehnen scheinen; endlich die Geschichte vom
reichen Mann, höchst anziehend als Novellenbild und im Ganzen
wohl B.’s bedeutendste Leistung. (Porträtähnlichkeit des reichen Mannes
mit Heinrich VIII). — Im Pal. Manfrin: Grosse Madonna mit Heiligen;
zwei Bilder deren Inhalt die sog. Tafel des Cebes bildet, Allegorien,
die eigentlich für diese Schule das Fremdartigste waren und hätten
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 977. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/999>, abgerufen am 05.12.2024.
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