Untensicht, welche wir fortan in den Deckenbildern aller Säle durch- geführt finden werden, ist selbst bei schwebenden Figuren in der Regel keine absolute sondern eine halbe, eine Art von Schiefsicht. Es liess sich schon fragen, ob an Decken überhaupt, ob vollends an flache Decken figürliche Darstellungen gehörten; ferner wenn es durch- aus grosse reiche Compositionen sein sollten, ob nicht die gewöhnliche einfache Vorderansicht und die ideale, strenge Composition den Vorzug verdienten vor diesen künstlich verschobenen und illusionsmässig an- geordneten Gruppen; die irdischen Ereignisse bleiben in solchen Decken- bildern doch unglaublich, und die himmlischen wollen überhaupt anders angeschaut sein als nach dem Massstab der räumlichen (und obendrein für das Einzelne ganz naturalistischen) Wirklichmachung. Genug -- innerhalb des Irrthums, welchen alle Maler des Dogenpalastes theilen, giebt es doch grosse Unterschiede, und Paolo wird uns stellenweise sehr zu vergnügen, selbst zu überzeugen wissen.
Sala delle quattro porte. Tizians grosses, spätes, nocha herrlich gemaltes Präsentationsbild, ein rechtes Denkmal der Gegen- reformation; der Doge Ant. Grimani vor der in voller Glorie er- scheinenden Fides knieend. -- Die Schlachtenmaler dieses und anderer Säle durften durch freie Phantasietrachten und Episoden aller Art das Historische an ihrem Gegenstand völlig in den Schatten stellen. -- Die Ceremonienbilder, so wichtige Facta sie darstellen mögen, wie z. B. die Verbindung mit Persien (Empfang der pers. Gesandten, von Carlo Caliari), sind dramatisch ganz gehaltlos. So auch der Empfang Heinrichs III, von Andrea Vicentino. Zu dieser Art von Auffassung gehört der heitere Fleiss eines Carpaccio, dem man um der Detail- schönheit willen die Abwesenheit aller höhern Dramatik gern zu Gute hält. -- In Tintoretto's Deckenbild ergötzt die ceremoniöse Höflich- keit, mit welcher Jupiter die Venezia aus dem götterreichen Olymp zum adriatischen Meer herab führt.
Sala dell' anticollegio. Die vier mythologischen Wand-b bilder Tintoretto's sind von seinen bestgemalten, aber freudlos ge- dacht, hässlich in den Bewegungen; man sehe, wie Venus zur Krö- nung der Ariadne herbeischwebt. -- Jacobs Rückkehr nach Kanaan ist ein wichtiges Haupt- und Urbild derjenigen Palette, aus welcher Jacopo Bassano und die Bassaniden jene Hunderte von ländlichen
Ausgang der Schule. Der Dogenpalast.
Untensicht, welche wir fortan in den Deckenbildern aller Säle durch- geführt finden werden, ist selbst bei schwebenden Figuren in der Regel keine absolute sondern eine halbe, eine Art von Schiefsicht. Es liess sich schon fragen, ob an Decken überhaupt, ob vollends an flache Decken figürliche Darstellungen gehörten; ferner wenn es durch- aus grosse reiche Compositionen sein sollten, ob nicht die gewöhnliche einfache Vorderansicht und die ideale, strenge Composition den Vorzug verdienten vor diesen künstlich verschobenen und illusionsmässig an- geordneten Gruppen; die irdischen Ereignisse bleiben in solchen Decken- bildern doch unglaublich, und die himmlischen wollen überhaupt anders angeschaut sein als nach dem Massstab der räumlichen (und obendrein für das Einzelne ganz naturalistischen) Wirklichmachung. Genug — innerhalb des Irrthums, welchen alle Maler des Dogenpalastes theilen, giebt es doch grosse Unterschiede, und Paolo wird uns stellenweise sehr zu vergnügen, selbst zu überzeugen wissen.
Sala delle quattro porte. Tizians grosses, spätes, nocha herrlich gemaltes Präsentationsbild, ein rechtes Denkmal der Gegen- reformation; der Doge Ant. Grimani vor der in voller Glorie er- scheinenden Fides knieend. — Die Schlachtenmaler dieses und anderer Säle durften durch freie Phantasietrachten und Episoden aller Art das Historische an ihrem Gegenstand völlig in den Schatten stellen. — Die Ceremonienbilder, so wichtige Facta sie darstellen mögen, wie z. B. die Verbindung mit Persien (Empfang der pers. Gesandten, von Carlo Caliari), sind dramatisch ganz gehaltlos. So auch der Empfang Heinrichs III, von Andrea Vicentino. Zu dieser Art von Auffassung gehört der heitere Fleiss eines Carpaccio, dem man um der Detail- schönheit willen die Abwesenheit aller höhern Dramatik gern zu Gute hält. — In Tintoretto’s Deckenbild ergötzt die ceremoniöse Höflich- keit, mit welcher Jupiter die Venezia aus dem götterreichen Olymp zum adriatischen Meer herab führt.
Sala dell’ anticollegio. Die vier mythologischen Wand-b bilder Tintoretto’s sind von seinen bestgemalten, aber freudlos ge- dacht, hässlich in den Bewegungen; man sehe, wie Venus zur Krö- nung der Ariadne herbeischwebt. — Jacobs Rückkehr nach Kanaan ist ein wichtiges Haupt- und Urbild derjenigen Palette, aus welcher Jacopo Bassano und die Bassaniden jene Hunderte von ländlichen
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Ausgang der Schule. Der Dogenpalast.
Untensicht, welche wir fortan in den Deckenbildern aller Säle durch-
geführt finden werden, ist selbst bei schwebenden Figuren in der
Regel keine absolute sondern eine halbe, eine Art von Schiefsicht.
Es liess sich schon fragen, ob an Decken überhaupt, ob vollends an
flache Decken figürliche Darstellungen gehörten; ferner wenn es durch-
aus grosse reiche Compositionen sein sollten, ob nicht die gewöhnliche
einfache Vorderansicht und die ideale, strenge Composition den Vorzug
verdienten vor diesen künstlich verschobenen und illusionsmässig an-
geordneten Gruppen; die irdischen Ereignisse bleiben in solchen Decken-
bildern doch unglaublich, und die himmlischen wollen überhaupt anders
angeschaut sein als nach dem Massstab der räumlichen (und obendrein
für das Einzelne ganz naturalistischen) Wirklichmachung. Genug —
innerhalb des Irrthums, welchen alle Maler des Dogenpalastes theilen,
giebt es doch grosse Unterschiede, und Paolo wird uns stellenweise
sehr zu vergnügen, selbst zu überzeugen wissen.
Sala delle quattro porte. Tizians grosses, spätes, noch
herrlich gemaltes Präsentationsbild, ein rechtes Denkmal der Gegen-
reformation; der Doge Ant. Grimani vor der in voller Glorie er-
scheinenden Fides knieend. — Die Schlachtenmaler dieses und anderer
Säle durften durch freie Phantasietrachten und Episoden aller Art das
Historische an ihrem Gegenstand völlig in den Schatten stellen. —
Die Ceremonienbilder, so wichtige Facta sie darstellen mögen, wie
z. B. die Verbindung mit Persien (Empfang der pers. Gesandten, von
Carlo Caliari), sind dramatisch ganz gehaltlos. So auch der Empfang
Heinrichs III, von Andrea Vicentino. Zu dieser Art von Auffassung
gehört der heitere Fleiss eines Carpaccio, dem man um der Detail-
schönheit willen die Abwesenheit aller höhern Dramatik gern zu Gute
hält. — In Tintoretto’s Deckenbild ergötzt die ceremoniöse Höflich-
keit, mit welcher Jupiter die Venezia aus dem götterreichen Olymp
zum adriatischen Meer herab führt.
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Sala dell’ anticollegio. Die vier mythologischen Wand-
bilder Tintoretto’s sind von seinen bestgemalten, aber freudlos ge-
dacht, hässlich in den Bewegungen; man sehe, wie Venus zur Krö-
nung der Ariadne herbeischwebt. — Jacobs Rückkehr nach Kanaan
ist ein wichtiges Haupt- und Urbild derjenigen Palette, aus welcher
Jacopo Bassano und die Bassaniden jene Hunderte von ländlichen
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 991. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1013>, abgerufen am 05.12.2024.
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