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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Frührenaissance. Venedig. Die Lombardi.
tungen, deren ihre Decoration bedarf, um völlig zu gedeihen, wurden
ihr hier bereitwillig zugestanden; von Backstein und Stucco ist keine
Rede mehr, wenigstens an decorativen Theilen nicht. Der neue Styl
kam gerade in die Zeit der grössten Macht des Staates und eines
grossen Reichthumes der Vornehmen hinein. Ihm schien eine Haupt-
rolle zugedacht, wenn es sich darum handelte, der Inselstadt einen
dauernden Ausdruck festlicher Freude und Herrlichkeit zu verleihen.
Es fehlte an nichts als an Platz und -- an wahrhaft grossen Bau-
meistern 1).

Auf eingerammten Pfählen wird nie von selbst eine freie und
grossartige Architektur sich entwickeln. Die einzigen bisherigen Ge-
bäude, welche grossartig gedacht heissen können, die Kirchen S. Gio-
vanni e Paolo und S. Maria de' Frari, waren Niccolo Pisano's Gedan-
ken; dem Dogenpalast, so gross auch sein älterer (vorderer) Theil
ist, wird man es immer ansehen, dass sein Erbauer unter den Ein-
drücken einer kleinräumigen Pracht aufgewachsen war 2). Und diese
Beschränkung ging nun auch der venezianischen Renaissance nach und
alle folgenden Baustyle, die in den Lagunen geherrscht haben, sind
mehr oder weniger derselben unterlegen. Wir werden weiter unten
finden, dass auch ein Jacopo Sansovino sich beugte. Der einzige
Andrea Palladio leistete erfolgreichen Widerstand.

Von jenen grossartigen baulichen Dispositionen, wie wir sie in
Brunellesco's Basiliken finden, von dem mächtigen Ernst florentinischer
und sienesischer Palastfassaden, von der toscanischen und römischen
Wohlräumigkeit des Hallenbaues giebt kein Gebäude Venedigs im Styl
der Frührenaissance einen Begriff. Man war weder des Platzes genug-
sam Herr noch des festen Bodens sicher. Um so ergiebiger ist das

1) Die meisten wichtigern Bauten werden der Künstlerfamilie der Lombardi bei-
gelegt, von welchen man einen ältern Martino Lombardo, einen Pietro L.
mit zwei Söhnen Antonio und Tullio, einen Sante L. und einen spä-
ten Tommaso L. namhaft macht, anderer dieses Namens nicht zu gedenken.
Allem nach zu urtheilen, waren sie wirklich Lombarden, und verläugnen auch
in ihren Sculpturen diese Herkunft nicht. -- Girolamo Lombardi aus Fer-
rara steht, wie der gleichnamige Alfonso, (von welchem bei Anlass der
Sculptur ein Mehreres) in keinem Zusammenhang mit ihnen.
2) Man vergleiche damit z. B. das Stadthaus von Piacenza.

Frührenaissance. Venedig. Die Lombardi.
tungen, deren ihre Decoration bedarf, um völlig zu gedeihen, wurden
ihr hier bereitwillig zugestanden; von Backstein und Stucco ist keine
Rede mehr, wenigstens an decorativen Theilen nicht. Der neue Styl
kam gerade in die Zeit der grössten Macht des Staates und eines
grossen Reichthumes der Vornehmen hinein. Ihm schien eine Haupt-
rolle zugedacht, wenn es sich darum handelte, der Inselstadt einen
dauernden Ausdruck festlicher Freude und Herrlichkeit zu verleihen.
Es fehlte an nichts als an Platz und — an wahrhaft grossen Bau-
meistern 1).

Auf eingerammten Pfählen wird nie von selbst eine freie und
grossartige Architektur sich entwickeln. Die einzigen bisherigen Ge-
bäude, welche grossartig gedacht heissen können, die Kirchen S. Gio-
vanni e Paolo und S. Maria de’ Frari, waren Niccolò Pisano’s Gedan-
ken; dem Dogenpalast, so gross auch sein älterer (vorderer) Theil
ist, wird man es immer ansehen, dass sein Erbauer unter den Ein-
drücken einer kleinräumigen Pracht aufgewachsen war 2). Und diese
Beschränkung ging nun auch der venezianischen Renaissance nach und
alle folgenden Baustyle, die in den Lagunen geherrscht haben, sind
mehr oder weniger derselben unterlegen. Wir werden weiter unten
finden, dass auch ein Jacopo Sansovino sich beugte. Der einzige
Andrea Palladio leistete erfolgreichen Widerstand.

Von jenen grossartigen baulichen Dispositionen, wie wir sie in
Brunellesco’s Basiliken finden, von dem mächtigen Ernst florentinischer
und sienesischer Palastfassaden, von der toscanischen und römischen
Wohlräumigkeit des Hallenbaues giebt kein Gebäude Venedigs im Styl
der Frührenaissance einen Begriff. Man war weder des Platzes genug-
sam Herr noch des festen Bodens sicher. Um so ergiebiger ist das

1) Die meisten wichtigern Bauten werden der Künstlerfamilie der Lombardi bei-
gelegt, von welchen man einen ältern Martino Lombardo, einen Pietro L.
mit zwei Söhnen Antonio und Tullio, einen Sante L. und einen spä-
ten Tommaso L. namhaft macht, anderer dieses Namens nicht zu gedenken.
Allem nach zu urtheilen, waren sie wirklich Lombarden, und verläugnen auch
in ihren Sculpturen diese Herkunft nicht. — Girolamo Lombardi aus Fer-
rara steht, wie der gleichnamige Alfonso, (von welchem bei Anlass der
Sculptur ein Mehreres) in keinem Zusammenhang mit ihnen.
2) Man vergleiche damit z. B. das Stadthaus von Piacenza.
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[214/0236] Frührenaissance. Venedig. Die Lombardi. tungen, deren ihre Decoration bedarf, um völlig zu gedeihen, wurden ihr hier bereitwillig zugestanden; von Backstein und Stucco ist keine Rede mehr, wenigstens an decorativen Theilen nicht. Der neue Styl kam gerade in die Zeit der grössten Macht des Staates und eines grossen Reichthumes der Vornehmen hinein. Ihm schien eine Haupt- rolle zugedacht, wenn es sich darum handelte, der Inselstadt einen dauernden Ausdruck festlicher Freude und Herrlichkeit zu verleihen. Es fehlte an nichts als an Platz und — an wahrhaft grossen Bau- meistern 1). Auf eingerammten Pfählen wird nie von selbst eine freie und grossartige Architektur sich entwickeln. Die einzigen bisherigen Ge- bäude, welche grossartig gedacht heissen können, die Kirchen S. Gio- vanni e Paolo und S. Maria de’ Frari, waren Niccolò Pisano’s Gedan- ken; dem Dogenpalast, so gross auch sein älterer (vorderer) Theil ist, wird man es immer ansehen, dass sein Erbauer unter den Ein- drücken einer kleinräumigen Pracht aufgewachsen war 2). Und diese Beschränkung ging nun auch der venezianischen Renaissance nach und alle folgenden Baustyle, die in den Lagunen geherrscht haben, sind mehr oder weniger derselben unterlegen. Wir werden weiter unten finden, dass auch ein Jacopo Sansovino sich beugte. Der einzige Andrea Palladio leistete erfolgreichen Widerstand. Von jenen grossartigen baulichen Dispositionen, wie wir sie in Brunellesco’s Basiliken finden, von dem mächtigen Ernst florentinischer und sienesischer Palastfassaden, von der toscanischen und römischen Wohlräumigkeit des Hallenbaues giebt kein Gebäude Venedigs im Styl der Frührenaissance einen Begriff. Man war weder des Platzes genug- sam Herr noch des festen Bodens sicher. Um so ergiebiger ist das 1) Die meisten wichtigern Bauten werden der Künstlerfamilie der Lombardi bei- gelegt, von welchen man einen ältern Martino Lombardo, einen Pietro L. mit zwei Söhnen Antonio und Tullio, einen Sante L. und einen spä- ten Tommaso L. namhaft macht, anderer dieses Namens nicht zu gedenken. Allem nach zu urtheilen, waren sie wirklich Lombarden, und verläugnen auch in ihren Sculpturen diese Herkunft nicht. — Girolamo Lombardi aus Fer- rara steht, wie der gleichnamige Alfonso, (von welchem bei Anlass der Sculptur ein Mehreres) in keinem Zusammenhang mit ihnen. 2) Man vergleiche damit z. B. das Stadthaus von Piacenza.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/236>, abgerufen am 04.12.2024.