Asklepios im Braccio nuovo des Vaticans trägt die sehr feinen, be-a sonnenen Bildnisszüge irgend eines berühmten Arztes, vielleicht eines Leibarztes des Augustus. -- Von den beiden im zweiten Gang derb Uffizien zu Florenz gleicht der eine dem neapolitanischen; der andere ist offenbar eine Porträtstatue, wie schon die hohen Schultern andeu- ten und wie die individuelle Stellung es noch wahrscheinlicher macht. Das Übrige hat der Restaurator gethan. -- Auch in dem Asklepios im Palast Pitti (inneres Vestibul oberhalb der Haupttreppe) könntec man eher einen griechischen Philosophen erkennen; mit nacktem Oberleib, den linken Ellbogen auf eine Keule gelehnt, mit der linken Hand, die eine Rolle hält, den Bart berührend, die Rechte auf die ausgeladene Hüfte gestützt, schaut er mit dem Ausdruck des Sinnens vorwärts. Die Arbeit ist einfach und noch sehr tüchtig.
Wer sich weiter überzeugen will, wie die griechische Kunst ideale Verwandtschaften auszudrücken und mit typischen Unterschie- den zu verschmelzen wusste, vergleiche den Kopf des Poseidon (Vatican, Museo Chiaramonti) mit dem otricolanischen Zeus. Die an-d gebornen Züge sind bei beiden Brüdern dieselben, aber der Ausdruck des Meergottes ist unruhig, düster bis zu einem Anflug von Zorn, das Haar wirr und feucht. (Eine vollständige, aber in der Arbeit sehr unbedeutende Statue im Vatican, Galeria delle statue; eine andere ime Museum des Laterans).
Auch die übrigen Götter der grössern Wasser, also mit Ausnahme der Tritonen und der Quellgottheiten, sind grossentheils von Zeus Geschlecht und gleichen ihm, nur ins Befangene und dann bald in das wohlig Geniessende, bald ins Schreckliche oder ins Beküm- merte hinein. Sie haben sein gewaltiges Haar, aber nicht wallend, son- dern feucht darniederhängend; seine in der Mitte erhobene Stirn, aber niedriger; seinen Bart, aber nicht lockig, sondern nass und oft mit Schuppen, ja mit kleinen Fischen durchzogen; seine grossartigen Lippen, aber mit bornirtem Ausdruck. Ihr Bau (wo es nicht blosse Köpfe oder Masken sind) ist überaus mächtig und breit und entwickelt sich in ihrer liegenden, etwas aufgelehnten Stellung ganz besonders majestätisch.
Asklepios. Poseidon. Wassergötter.
Asklepios im Braccio nuovo des Vaticans trägt die sehr feinen, be-a sonnenen Bildnisszüge irgend eines berühmten Arztes, vielleicht eines Leibarztes des Augustus. — Von den beiden im zweiten Gang derb Uffizien zu Florenz gleicht der eine dem neapolitanischen; der andere ist offenbar eine Porträtstatue, wie schon die hohen Schultern andeu- ten und wie die individuelle Stellung es noch wahrscheinlicher macht. Das Übrige hat der Restaurator gethan. — Auch in dem Asklepios im Palast Pitti (inneres Vestibul oberhalb der Haupttreppe) könntec man eher einen griechischen Philosophen erkennen; mit nacktem Oberleib, den linken Ellbogen auf eine Keule gelehnt, mit der linken Hand, die eine Rolle hält, den Bart berührend, die Rechte auf die ausgeladene Hüfte gestützt, schaut er mit dem Ausdruck des Sinnens vorwärts. Die Arbeit ist einfach und noch sehr tüchtig.
Wer sich weiter überzeugen will, wie die griechische Kunst ideale Verwandtschaften auszudrücken und mit typischen Unterschie- den zu verschmelzen wusste, vergleiche den Kopf des Poseidon (Vatican, Museo Chiaramonti) mit dem otricolanischen Zeus. Die an-d gebornen Züge sind bei beiden Brüdern dieselben, aber der Ausdruck des Meergottes ist unruhig, düster bis zu einem Anflug von Zorn, das Haar wirr und feucht. (Eine vollständige, aber in der Arbeit sehr unbedeutende Statue im Vatican, Galeria delle statue; eine andere ime Museum des Laterans).
Auch die übrigen Götter der grössern Wasser, also mit Ausnahme der Tritonen und der Quellgottheiten, sind grossentheils von Zeus Geschlecht und gleichen ihm, nur ins Befangene und dann bald in das wohlig Geniessende, bald ins Schreckliche oder ins Beküm- merte hinein. Sie haben sein gewaltiges Haar, aber nicht wallend, son- dern feucht darniederhängend; seine in der Mitte erhobene Stirn, aber niedriger; seinen Bart, aber nicht lockig, sondern nass und oft mit Schuppen, ja mit kleinen Fischen durchzogen; seine grossartigen Lippen, aber mit bornirtem Ausdruck. Ihr Bau (wo es nicht blosse Köpfe oder Masken sind) ist überaus mächtig und breit und entwickelt sich in ihrer liegenden, etwas aufgelehnten Stellung ganz besonders majestätisch.
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Asklepios. Poseidon. Wassergötter.
Asklepios im Braccio nuovo des Vaticans trägt die sehr feinen, be-
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Leibarztes des Augustus. — Von den beiden im zweiten Gang der
Uffizien zu Florenz gleicht der eine dem neapolitanischen; der andere
ist offenbar eine Porträtstatue, wie schon die hohen Schultern andeu-
ten und wie die individuelle Stellung es noch wahrscheinlicher macht.
Das Übrige hat der Restaurator gethan. — Auch in dem Asklepios
im Palast Pitti (inneres Vestibul oberhalb der Haupttreppe) könnte
man eher einen griechischen Philosophen erkennen; mit nacktem
Oberleib, den linken Ellbogen auf eine Keule gelehnt, mit der linken
Hand, die eine Rolle hält, den Bart berührend, die Rechte auf die
ausgeladene Hüfte gestützt, schaut er mit dem Ausdruck des Sinnens
vorwärts. Die Arbeit ist einfach und noch sehr tüchtig.
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Wer sich weiter überzeugen will, wie die griechische Kunst
ideale Verwandtschaften auszudrücken und mit typischen Unterschie-
den zu verschmelzen wusste, vergleiche den Kopf des Poseidon
(Vatican, Museo Chiaramonti) mit dem otricolanischen Zeus. Die an-
gebornen Züge sind bei beiden Brüdern dieselben, aber der Ausdruck
des Meergottes ist unruhig, düster bis zu einem Anflug von Zorn,
das Haar wirr und feucht. (Eine vollständige, aber in der Arbeit sehr
unbedeutende Statue im Vatican, Galeria delle statue; eine andere im
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Auch die übrigen Götter der grössern Wasser, also mit
Ausnahme der Tritonen und der Quellgottheiten, sind grossentheils
von Zeus Geschlecht und gleichen ihm, nur ins Befangene und dann
bald in das wohlig Geniessende, bald ins Schreckliche oder ins Beküm-
merte hinein. Sie haben sein gewaltiges Haar, aber nicht wallend, son-
dern feucht darniederhängend; seine in der Mitte erhobene Stirn, aber
niedriger; seinen Bart, aber nicht lockig, sondern nass und oft mit
Schuppen, ja mit kleinen Fischen durchzogen; seine grossartigen
Lippen, aber mit bornirtem Ausdruck. Ihr Bau (wo es nicht blosse
Köpfe oder Masken sind) ist überaus mächtig und breit und entwickelt
sich in ihrer liegenden, etwas aufgelehnten Stellung ganz besonders
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/443>, abgerufen am 05.12.2024.
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