Die schönste dieser Gestalten ist der Nil (im Braccio nuovo des Vaticans), wahrscheinlich aus der Zeit des Augustus, welcher be- kanntlich erst Ägypten unterwarf. Beneidenswerthe Symbolik der Alten, welche die 16 Ellen, um die der Nil alljährlich zu wachsen pflegt, durch 16 der niedlichsten Genien personificiren durfte! Heiter klettern sie an dem Gott herum und spielen mit seinem Krokodil und Ichneumon; einer guckt sogar oben aus seinem Füllhorn heraus; ihre Schalkhaftigkeit ist gleichsam nur ein anderer Ausdruck für die stille Seligkeit des gewaltigen Stromgottes.
b
Die treffliche vaticanische Statue des Tigris (Sala a croce greca) erhält durch den von Michel Angelo oder einem seiner Schüler re- staurirten Kopf ein besonderes Interesse des Contrastes.
Im Hof des capitolinischen Museums liegt als Brunnengott der ccolossale Marforio (wahrscheinlich ein Rhenus aus der Zeit Domitians.) Er trägt die Züge des Zeus, aber in das Bornirte umgestaltet; Leib und Beine sind (absichtlich) viel zu kurz für den gewaltigen Ober- dkörper. -- Die beiden Wassergötter an der Treppe des Senatorenpala- stes auf dem Capitol und die beiden in der untern Vorhalle des Mu- eseums von Neapel sind theils gute, theils leidliche Decorationsarbeiten.
Der düstere Ausdruck erscheint bedenklich geschärft und deutet fauf Sturm in dem florentinischen Kopfe des Oceanus (Uffizien, Halle der Niobe); er geht über in das Erschrockene, ich möchte sagen Ausge- gscholtene, in der höchst colossalen Maske eines Wassergottes im Museo hChiaramonti im Vatican; eine ähnliche in Villa Albani (Nebenräume irechts.) Auch dem Oceanus (Büste in der Sala rotonda des Vaticans, mit Trauben im Haar, Delphinen im Bart, Schuppen an Braunen und Wangen) ist sichtbarlich nicht ganz wohl zu Muthe. Schon ruhiger kist der Ausdruck der zwei colossalen Masken in Villa Albani hinter dem Kaffehaus.
Ein merkwürdiges Gegenbild zu Zeus bildet die frühere, aber von der Kunst fortwährend und zwar annähernd oder ganz im Tem- pelstyl festgehaltene Darstellung des bärtigen Dionysos. Neben Zeus, den Gott der sittlichen Weltordnung, stellt sich hier ein König und Gott der Naturfreude mit einem Ausdruck seligen Genusses, dem
Antike Sculptur. Wassergötter.
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Die schönste dieser Gestalten ist der Nil (im Braccio nuovo des Vaticans), wahrscheinlich aus der Zeit des Augustus, welcher be- kanntlich erst Ägypten unterwarf. Beneidenswerthe Symbolik der Alten, welche die 16 Ellen, um die der Nil alljährlich zu wachsen pflegt, durch 16 der niedlichsten Genien personificiren durfte! Heiter klettern sie an dem Gott herum und spielen mit seinem Krokodil und Ichneumon; einer guckt sogar oben aus seinem Füllhorn heraus; ihre Schalkhaftigkeit ist gleichsam nur ein anderer Ausdruck für die stille Seligkeit des gewaltigen Stromgottes.
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Die treffliche vaticanische Statue des Tigris (Sala a croce greca) erhält durch den von Michel Angelo oder einem seiner Schüler re- staurirten Kopf ein besonderes Interesse des Contrastes.
Im Hof des capitolinischen Museums liegt als Brunnengott der ccolossale Marforio (wahrscheinlich ein Rhenus aus der Zeit Domitians.) Er trägt die Züge des Zeus, aber in das Bornirte umgestaltet; Leib und Beine sind (absichtlich) viel zu kurz für den gewaltigen Ober- dkörper. — Die beiden Wassergötter an der Treppe des Senatorenpala- stes auf dem Capitol und die beiden in der untern Vorhalle des Mu- eseums von Neapel sind theils gute, theils leidliche Decorationsarbeiten.
Der düstere Ausdruck erscheint bedenklich geschärft und deutet fauf Sturm in dem florentinischen Kopfe des Oceanus (Uffizien, Halle der Niobe); er geht über in das Erschrockene, ich möchte sagen Ausge- gscholtene, in der höchst colossalen Maske eines Wassergottes im Museo hChiaramonti im Vatican; eine ähnliche in Villa Albani (Nebenräume irechts.) Auch dem Oceanus (Büste in der Sala rotonda des Vaticans, mit Trauben im Haar, Delphinen im Bart, Schuppen an Braunen und Wangen) ist sichtbarlich nicht ganz wohl zu Muthe. Schon ruhiger kist der Ausdruck der zwei colossalen Masken in Villa Albani hinter dem Kaffehaus.
Ein merkwürdiges Gegenbild zu Zeus bildet die frühere, aber von der Kunst fortwährend und zwar annähernd oder ganz im Tem- pelstyl festgehaltene Darstellung des bärtigen Dionysos. Neben Zeus, den Gott der sittlichen Weltordnung, stellt sich hier ein König und Gott der Naturfreude mit einem Ausdruck seligen Genusses, dem
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Antike Sculptur. Wassergötter.
Die schönste dieser Gestalten ist der Nil (im Braccio nuovo des
Vaticans), wahrscheinlich aus der Zeit des Augustus, welcher be-
kanntlich erst Ägypten unterwarf. Beneidenswerthe Symbolik der
Alten, welche die 16 Ellen, um die der Nil alljährlich zu wachsen
pflegt, durch 16 der niedlichsten Genien personificiren durfte! Heiter
klettern sie an dem Gott herum und spielen mit seinem Krokodil und
Ichneumon; einer guckt sogar oben aus seinem Füllhorn heraus; ihre
Schalkhaftigkeit ist gleichsam nur ein anderer Ausdruck für die stille
Seligkeit des gewaltigen Stromgottes.
Die treffliche vaticanische Statue des Tigris (Sala a croce greca)
erhält durch den von Michel Angelo oder einem seiner Schüler re-
staurirten Kopf ein besonderes Interesse des Contrastes.
Im Hof des capitolinischen Museums liegt als Brunnengott der
colossale Marforio (wahrscheinlich ein Rhenus aus der Zeit Domitians.)
Er trägt die Züge des Zeus, aber in das Bornirte umgestaltet; Leib
und Beine sind (absichtlich) viel zu kurz für den gewaltigen Ober-
körper. — Die beiden Wassergötter an der Treppe des Senatorenpala-
stes auf dem Capitol und die beiden in der untern Vorhalle des Mu-
seums von Neapel sind theils gute, theils leidliche Decorationsarbeiten.
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Der düstere Ausdruck erscheint bedenklich geschärft und deutet
auf Sturm in dem florentinischen Kopfe des Oceanus (Uffizien, Halle
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scholtene, in der höchst colossalen Maske eines Wassergottes im Museo
Chiaramonti im Vatican; eine ähnliche in Villa Albani (Nebenräume
rechts.) Auch dem Oceanus (Büste in der Sala rotonda des Vaticans,
mit Trauben im Haar, Delphinen im Bart, Schuppen an Braunen und
Wangen) ist sichtbarlich nicht ganz wohl zu Muthe. Schon ruhiger
ist der Ausdruck der zwei colossalen Masken in Villa Albani hinter
dem Kaffehaus.
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Ein merkwürdiges Gegenbild zu Zeus bildet die frühere, aber
von der Kunst fortwährend und zwar annähernd oder ganz im Tem-
pelstyl festgehaltene Darstellung des bärtigen Dionysos. Neben
Zeus, den Gott der sittlichen Weltordnung, stellt sich hier ein König
und Gott der Naturfreude mit einem Ausdruck seligen Genusses, dem
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/444>, abgerufen am 05.12.2024.
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