seitab.) Der Moment ist der, dass Christus ein Stück Brod ergreift, um es in die Schüssel zu tauchen, während auch Judas, allein von Allen, bereits ein Stück Brod in der Hand hält. Die Charaktere sind nobel und kräftig aus dem Leben gegriffen, aber von der Hoheit der- jenigen Lionardo's weit entfernt, welche Jeder eine ganze Gattung von Ausdruck gleichsam in der höchsten denkbaren Spitze darstellen. Auch hat A. der (allerdings ausserordentlich grossen) malerischen Wirkung zu Liebe seinen Leuten sehr verschiedene, zum Theil nichts weniger als ideale Gewänder gegeben; eine Abwechslung, deren schönen Erfolg das Auge empfinden kann lange bevor es sie bemerkt. Unbeschreiblich lebendig ist hier wie bei Lionardo das Spiel der Hände, welche allein schon ausdrücken, wie Christus den fragenden Johannes beruhigt, wie Petrus jammert, wie dem Judas zugesetzt wird. (Bestes Licht: Nachmittags.) -- Franciabigio hat in diesem Gegenstande (Abendmahl im Refectorium von S. Giovanni della Calzaa in Florenz) den Meister bei Weitem nicht erreicht.
Den Höhepunkt von Andrea's Colorit und Vortrag im Fresco bezeichnet ausser diesem Abendmahl auch die Madonna del Sacco,b in einer Lunette des Kreuzgangs der Annunziata.
Endlich aber giebt es eine Reihe einfarbiger Fresken, braun in braun, von seiner Hand, in dem kleinen Hof der Brüderschaft delloc Scalzo (unweit S. Marco). Der Gegenstand ist das Leben des Täu- fers. Mit Ausnahme einiger frühen und zweier von Franciabigio ausgeführten sind sämmtliche Compositionen bei aller Unscheinbarkeit von den mächtigsten und freisten Schöpfungen der reifen Zeit An- drea's. Das ängstlich Architektonische der frühern Fresken in der Annunziata ist hier durch lauter Geist und Leben überwunden. Die Grenzen der Gattung, welche alle feinere Physiognomik, allen Farben- reiz ausschloss, scheinen den Meister erst recht gereizt zu haben, sein Bestes zu geben. Unter den frühern ist die Taufe des Volkes durch Johannes die höhere (und höchste) Stufe der bekannten Freske Ma- saccio's; unter den Spätern haben die Heimsuchung, die Enthaup- tung, sowie die Überbringung des Hauptes den Vorzug; unter den allegorischen Figuren die Caritas, welche das Bild im Louvre weit übertrifft. -- Aus dieser Inspiration ist auch jene kleine geistvolle Pre- della mit den Geschichten von vier Heiligen in der Academie gemalt.d
Fresken. Annunziata; S. Salvi; Scalzo.
seitab.) Der Moment ist der, dass Christus ein Stück Brod ergreift, um es in die Schüssel zu tauchen, während auch Judas, allein von Allen, bereits ein Stück Brod in der Hand hält. Die Charaktere sind nobel und kräftig aus dem Leben gegriffen, aber von der Hoheit der- jenigen Lionardo’s weit entfernt, welche Jeder eine ganze Gattung von Ausdruck gleichsam in der höchsten denkbaren Spitze darstellen. Auch hat A. der (allerdings ausserordentlich grossen) malerischen Wirkung zu Liebe seinen Leuten sehr verschiedene, zum Theil nichts weniger als ideale Gewänder gegeben; eine Abwechslung, deren schönen Erfolg das Auge empfinden kann lange bevor es sie bemerkt. Unbeschreiblich lebendig ist hier wie bei Lionardo das Spiel der Hände, welche allein schon ausdrücken, wie Christus den fragenden Johannes beruhigt, wie Petrus jammert, wie dem Judas zugesetzt wird. (Bestes Licht: Nachmittags.) — Franciabigio hat in diesem Gegenstande (Abendmahl im Refectorium von S. Giovanni della Calzaa in Florenz) den Meister bei Weitem nicht erreicht.
Den Höhepunkt von Andrea’s Colorit und Vortrag im Fresco bezeichnet ausser diesem Abendmahl auch die Madonna del Sacco,b in einer Lunette des Kreuzgangs der Annunziata.
Endlich aber giebt es eine Reihe einfarbiger Fresken, braun in braun, von seiner Hand, in dem kleinen Hof der Brüderschaft delloc Scalzo (unweit S. Marco). Der Gegenstand ist das Leben des Täu- fers. Mit Ausnahme einiger frühen und zweier von Franciabigio ausgeführten sind sämmtliche Compositionen bei aller Unscheinbarkeit von den mächtigsten und freisten Schöpfungen der reifen Zeit An- drea’s. Das ängstlich Architektonische der frühern Fresken in der Annunziata ist hier durch lauter Geist und Leben überwunden. Die Grenzen der Gattung, welche alle feinere Physiognomik, allen Farben- reiz ausschloss, scheinen den Meister erst recht gereizt zu haben, sein Bestes zu geben. Unter den frühern ist die Taufe des Volkes durch Johannes die höhere (und höchste) Stufe der bekannten Freske Ma- saccio’s; unter den Spätern haben die Heimsuchung, die Enthaup- tung, sowie die Überbringung des Hauptes den Vorzug; unter den allegorischen Figuren die Caritas, welche das Bild im Louvre weit übertrifft. — Aus dieser Inspiration ist auch jene kleine geistvolle Pre- della mit den Geschichten von vier Heiligen in der Academie gemalt.d
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Fresken. Annunziata; S. Salvi; Scalzo.
seitab.) Der Moment ist der, dass Christus ein Stück Brod ergreift,
um es in die Schüssel zu tauchen, während auch Judas, allein von
Allen, bereits ein Stück Brod in der Hand hält. Die Charaktere sind
nobel und kräftig aus dem Leben gegriffen, aber von der Hoheit der-
jenigen Lionardo’s weit entfernt, welche Jeder eine ganze Gattung
von Ausdruck gleichsam in der höchsten denkbaren Spitze darstellen.
Auch hat A. der (allerdings ausserordentlich grossen) malerischen
Wirkung zu Liebe seinen Leuten sehr verschiedene, zum Theil nichts
weniger als ideale Gewänder gegeben; eine Abwechslung, deren
schönen Erfolg das Auge empfinden kann lange bevor es sie bemerkt.
Unbeschreiblich lebendig ist hier wie bei Lionardo das Spiel der
Hände, welche allein schon ausdrücken, wie Christus den fragenden
Johannes beruhigt, wie Petrus jammert, wie dem Judas zugesetzt
wird. (Bestes Licht: Nachmittags.) — Franciabigio hat in diesem
Gegenstande (Abendmahl im Refectorium von S. Giovanni della Calza
in Florenz) den Meister bei Weitem nicht erreicht.
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Den Höhepunkt von Andrea’s Colorit und Vortrag im Fresco
bezeichnet ausser diesem Abendmahl auch die Madonna del Sacco,
in einer Lunette des Kreuzgangs der Annunziata.
b
Endlich aber giebt es eine Reihe einfarbiger Fresken, braun in
braun, von seiner Hand, in dem kleinen Hof der Brüderschaft dello
Scalzo (unweit S. Marco). Der Gegenstand ist das Leben des Täu-
fers. Mit Ausnahme einiger frühen und zweier von Franciabigio
ausgeführten sind sämmtliche Compositionen bei aller Unscheinbarkeit
von den mächtigsten und freisten Schöpfungen der reifen Zeit An-
drea’s. Das ängstlich Architektonische der frühern Fresken in der
Annunziata ist hier durch lauter Geist und Leben überwunden. Die
Grenzen der Gattung, welche alle feinere Physiognomik, allen Farben-
reiz ausschloss, scheinen den Meister erst recht gereizt zu haben, sein
Bestes zu geben. Unter den frühern ist die Taufe des Volkes durch
Johannes die höhere (und höchste) Stufe der bekannten Freske Ma-
saccio’s; unter den Spätern haben die Heimsuchung, die Enthaup-
tung, sowie die Überbringung des Hauptes den Vorzug; unter den
allegorischen Figuren die Caritas, welche das Bild im Louvre weit
übertrifft. — Aus dieser Inspiration ist auch jene kleine geistvolle Pre-
della mit den Geschichten von vier Heiligen in der Academie gemalt.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 887. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/909>, abgerufen am 05.12.2024.
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