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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Antike Decoration. Eherne Geräthe.

Auf den ersten Blick haben diese Überreste gar nichts Bestechen-
des oder Überraschendes. Ersteres nicht, weil der Grünspan sie un-
scheinbar macht; letzteres nicht, weil unsere jetzige Decoration sie seit
achtzig Jahren nachbildet, so dass bald kein Tischservice, keine Salon-
lampe völlig unabhängig ist von diesen Vorbildern. Wer nun aber
nicht schon aus historischem Interesse dieser Quelle der neuern Deco-
ration nachgehen will, der mag es doch um des innern Werthes wil-
len getrost thun. Er wird dann vielleicht inne werden, dass wir un-
vollkommen und mit barbarischer Styl-Mischung nachahmen, dass wir
dabei bald zu architektonisch trocken, bald zu sinnlos spielend ver-
fahren, und dass uns nicht die Überzeugung, sondern die Willkür lei-
tet, sonst würde unsere Mode nicht im Chinesischen, in der Renaissance,
im Rococo u. s. w. zugleich herumfahren, ohne doch Eines recht zu
ergründen. Die Alten stehen hier unsern barocken Niedlichkeiten und
Nippsachen recht grandios gegenüber mit ihrem Schönheitssinn und
ihrem Menschenverstande.

Vase, Leuchter, Eimer, Wage, Kästchen, und was all die Alter-
thümer noch für Namen und Bestimmungen haben mochten, -- Alles
besitzt hier sein inneres organisches Leben, seine Entwicklung vom
Gebundenen ins Freie, seine Spannung und Ausladung; die Zierrathen
sind kein äusserliches Spiel, sondern ein wahrer Ausdruck des Lebens.

Schon die gemeinen Küchen- und Tischgefässe haben eine gute,
schwungvolle Bildung des Profils, des Halses, namentlich der Hand-
haben und Henkel. Eine Sammlung von abgetrennten Henkeln, in
aeinem Schrank des fünften Zimmers (Einiges auch in den Uffizien,
b12. Schrank des genannten Raumes) zeigt auf das Schönste, wie die
Bildner jedesmal mit neuer Lust die einfache Aufgabe lösten, in die-
sem Theil des Gefässes eine erhöhte Kraft und Dehnbarkeit auszu-
sprechen, und wie der Auslauf des Henkels in eine Maske oder Pal-
mette gleichsam ein letzter, glänzender Ausdruck dieser besondern Be-
lebung sein sollte. (Eine sehr edel stylisirte Handhabe mit Blattwerk
cim genannten Raum der Uffizien, 13. Schrank.) An Urnen, Opfer-
schalen und andern festlichen Geräthen ist natürlich auf dergleichen
noch eine besondere Sorgfalt verwendet. Wo von der Aussenseite des
Gefässes ein grösserer Theil verziert ist, findet man in der Regel, dass
Form und Profil des Zierrathes der Bewegung des Gefässes, seinem

Antike Decoration. Eherne Geräthe.

Auf den ersten Blick haben diese Überreste gar nichts Bestechen-
des oder Überraschendes. Ersteres nicht, weil der Grünspan sie un-
scheinbar macht; letzteres nicht, weil unsere jetzige Decoration sie seit
achtzig Jahren nachbildet, so dass bald kein Tischservice, keine Salon-
lampe völlig unabhängig ist von diesen Vorbildern. Wer nun aber
nicht schon aus historischem Interesse dieser Quelle der neuern Deco-
ration nachgehen will, der mag es doch um des innern Werthes wil-
len getrost thun. Er wird dann vielleicht inne werden, dass wir un-
vollkommen und mit barbarischer Styl-Mischung nachahmen, dass wir
dabei bald zu architektonisch trocken, bald zu sinnlos spielend ver-
fahren, und dass uns nicht die Überzeugung, sondern die Willkür lei-
tet, sonst würde unsere Mode nicht im Chinesischen, in der Renaissance,
im Rococo u. s. w. zugleich herumfahren, ohne doch Eines recht zu
ergründen. Die Alten stehen hier unsern barocken Niedlichkeiten und
Nippsachen recht grandios gegenüber mit ihrem Schönheitssinn und
ihrem Menschenverstande.

Vase, Leuchter, Eimer, Wage, Kästchen, und was all die Alter-
thümer noch für Namen und Bestimmungen haben mochten, — Alles
besitzt hier sein inneres organisches Leben, seine Entwicklung vom
Gebundenen ins Freie, seine Spannung und Ausladung; die Zierrathen
sind kein äusserliches Spiel, sondern ein wahrer Ausdruck des Lebens.

Schon die gemeinen Küchen- und Tischgefässe haben eine gute,
schwungvolle Bildung des Profils, des Halses, namentlich der Hand-
haben und Henkel. Eine Sammlung von abgetrennten Henkeln, in
aeinem Schrank des fünften Zimmers (Einiges auch in den Uffizien,
b12. Schrank des genannten Raumes) zeigt auf das Schönste, wie die
Bildner jedesmal mit neuer Lust die einfache Aufgabe lösten, in die-
sem Theil des Gefässes eine erhöhte Kraft und Dehnbarkeit auszu-
sprechen, und wie der Auslauf des Henkels in eine Maske oder Pal-
mette gleichsam ein letzter, glänzender Ausdruck dieser besondern Be-
lebung sein sollte. (Eine sehr edel stylisirte Handhabe mit Blattwerk
cim genannten Raum der Uffizien, 13. Schrank.) An Urnen, Opfer-
schalen und andern festlichen Geräthen ist natürlich auf dergleichen
noch eine besondere Sorgfalt verwendet. Wo von der Aussenseite des
Gefässes ein grösserer Theil verziert ist, findet man in der Regel, dass
Form und Profil des Zierrathes der Bewegung des Gefässes, seinem

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[70/0092] Antike Decoration. Eherne Geräthe. Auf den ersten Blick haben diese Überreste gar nichts Bestechen- des oder Überraschendes. Ersteres nicht, weil der Grünspan sie un- scheinbar macht; letzteres nicht, weil unsere jetzige Decoration sie seit achtzig Jahren nachbildet, so dass bald kein Tischservice, keine Salon- lampe völlig unabhängig ist von diesen Vorbildern. Wer nun aber nicht schon aus historischem Interesse dieser Quelle der neuern Deco- ration nachgehen will, der mag es doch um des innern Werthes wil- len getrost thun. Er wird dann vielleicht inne werden, dass wir un- vollkommen und mit barbarischer Styl-Mischung nachahmen, dass wir dabei bald zu architektonisch trocken, bald zu sinnlos spielend ver- fahren, und dass uns nicht die Überzeugung, sondern die Willkür lei- tet, sonst würde unsere Mode nicht im Chinesischen, in der Renaissance, im Rococo u. s. w. zugleich herumfahren, ohne doch Eines recht zu ergründen. Die Alten stehen hier unsern barocken Niedlichkeiten und Nippsachen recht grandios gegenüber mit ihrem Schönheitssinn und ihrem Menschenverstande. Vase, Leuchter, Eimer, Wage, Kästchen, und was all die Alter- thümer noch für Namen und Bestimmungen haben mochten, — Alles besitzt hier sein inneres organisches Leben, seine Entwicklung vom Gebundenen ins Freie, seine Spannung und Ausladung; die Zierrathen sind kein äusserliches Spiel, sondern ein wahrer Ausdruck des Lebens. Schon die gemeinen Küchen- und Tischgefässe haben eine gute, schwungvolle Bildung des Profils, des Halses, namentlich der Hand- haben und Henkel. Eine Sammlung von abgetrennten Henkeln, in einem Schrank des fünften Zimmers (Einiges auch in den Uffizien, 12. Schrank des genannten Raumes) zeigt auf das Schönste, wie die Bildner jedesmal mit neuer Lust die einfache Aufgabe lösten, in die- sem Theil des Gefässes eine erhöhte Kraft und Dehnbarkeit auszu- sprechen, und wie der Auslauf des Henkels in eine Maske oder Pal- mette gleichsam ein letzter, glänzender Ausdruck dieser besondern Be- lebung sein sollte. (Eine sehr edel stylisirte Handhabe mit Blattwerk im genannten Raum der Uffizien, 13. Schrank.) An Urnen, Opfer- schalen und andern festlichen Geräthen ist natürlich auf dergleichen noch eine besondere Sorgfalt verwendet. Wo von der Aussenseite des Gefässes ein grösserer Theil verziert ist, findet man in der Regel, dass Form und Profil des Zierrathes der Bewegung des Gefässes, seinem a b c

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/92>, abgerufen am 04.12.2024.