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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
würfe waren, nach welchen er die Schüler arbeiten liess; wahrschein-
lich je nach Umständen.

Ort und Technik schrieben die grösste Einfachheit vor. Licht-
effect, Ausdruck einzelner Köpfe, irgend ein raffinirtes Detail durften
nie die Grundlage und Seele des Bildes ausmachen. Was nicht mit
deutlichen Beziehungen und Geberden zu erreichen war, musste weg-
bleiben. Der menschlich interessante Kern der Scenen, ohne irgend
einen bestimmten orientalischen Bezug, musste zum idealen, für alle
Zeiten und Länder gültigen und verständlichen Kunstwerk ausgebildet
werden. Von der venezianischen Art, den Vorgang in eine Novelle
des XVI. Jahrh. zu übersetzen, konnte hier keine Rede sein. Man
halte aber die Loggienbilder neben die Umrisszeichnung eines Gior-
gione, Palma oder Bonifazio dieser Art, und man wird den Gedanken-
unterschied inne werden. Übrigens ist in vielen Loggienbildern die
Landschaft so schön und bedeutend als bei den Venezianern, worauf
hier ausdrücklich hingewiesen werden muss. (Erschaffung der Eva,
Adams Feldbau, Jacob mit Rahel am Brunnen, Jacob mit Laban strei-
tend, Joseph als Traumdeuter vor seinen Brüdern, Findung Mosis,
u. a. m.)

Die Vortrefflichkeit der einzelnen Motive entzieht sich durchaus
der Beschreibung; es scheint sich Alles von selbst zu verstehen. Um
den Werth jedes einzelnen Bildes ins Licht zu setzen, müsste man
jedesmal nachweisen, wie andere Künstler meist mit grössern Mitteln
doch nur eine geringere, weniger geistvolle Lösung zu Stande gebracht
oder auch gänzlich neben das Ziel geschossen haben. Streitig für un-
ser Gefühl sind nur die ersten Bilder, die der Weltschöpfung. Rafael
bediente sich hier zum Ausdruck für den Schöpfer desjenigen Typus,
welchen Michelangelo in der Sistina zum Leben gerufen hatte; die
Kunst hatte jetzt gleichsam das Recht, die in verschiedene Acte ge-
theilte Schöpfung als lauter Bewegung darzustellen. Gleich darauf
beginnt die Geschichte des ersten Menschenpaares, die hier durch die
Bestimmtheit des landschaftlichen Raumes einen von den Darstellungen
gleichen Inhaltes in der Sistina wesentlich verschiedenen Grundton
erhält. Diese vier Bilder allein offenbaren schon den grössten histori-
schen Componisten, wie man beim Durchdenken ihrer Motive zugeben
wird. Mit den vier Noah-Bildern beginnt ein neues patriarchalisch-

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
würfe waren, nach welchen er die Schüler arbeiten liess; wahrschein-
lich je nach Umständen.

Ort und Technik schrieben die grösste Einfachheit vor. Licht-
effect, Ausdruck einzelner Köpfe, irgend ein raffinirtes Detail durften
nie die Grundlage und Seele des Bildes ausmachen. Was nicht mit
deutlichen Beziehungen und Geberden zu erreichen war, musste weg-
bleiben. Der menschlich interessante Kern der Scenen, ohne irgend
einen bestimmten orientalischen Bezug, musste zum idealen, für alle
Zeiten und Länder gültigen und verständlichen Kunstwerk ausgebildet
werden. Von der venezianischen Art, den Vorgang in eine Novelle
des XVI. Jahrh. zu übersetzen, konnte hier keine Rede sein. Man
halte aber die Loggienbilder neben die Umrisszeichnung eines Gior-
gione, Palma oder Bonifazio dieser Art, und man wird den Gedanken-
unterschied inne werden. Übrigens ist in vielen Loggienbildern die
Landschaft so schön und bedeutend als bei den Venezianern, worauf
hier ausdrücklich hingewiesen werden muss. (Erschaffung der Eva,
Adams Feldbau, Jacob mit Rahel am Brunnen, Jacob mit Laban strei-
tend, Joseph als Traumdeuter vor seinen Brüdern, Findung Mosis,
u. a. m.)

Die Vortrefflichkeit der einzelnen Motive entzieht sich durchaus
der Beschreibung; es scheint sich Alles von selbst zu verstehen. Um
den Werth jedes einzelnen Bildes ins Licht zu setzen, müsste man
jedesmal nachweisen, wie andere Künstler meist mit grössern Mitteln
doch nur eine geringere, weniger geistvolle Lösung zu Stande gebracht
oder auch gänzlich neben das Ziel geschossen haben. Streitig für un-
ser Gefühl sind nur die ersten Bilder, die der Weltschöpfung. Rafael
bediente sich hier zum Ausdruck für den Schöpfer desjenigen Typus,
welchen Michelangelo in der Sistina zum Leben gerufen hatte; die
Kunst hatte jetzt gleichsam das Recht, die in verschiedene Acte ge-
theilte Schöpfung als lauter Bewegung darzustellen. Gleich darauf
beginnt die Geschichte des ersten Menschenpaares, die hier durch die
Bestimmtheit des landschaftlichen Raumes einen von den Darstellungen
gleichen Inhaltes in der Sistina wesentlich verschiedenen Grundton
erhält. Diese vier Bilder allein offenbaren schon den grössten histori-
schen Componisten, wie man beim Durchdenken ihrer Motive zugeben
wird. Mit den vier Noah-Bildern beginnt ein neues patriarchalisch-

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[926/0948] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. würfe waren, nach welchen er die Schüler arbeiten liess; wahrschein- lich je nach Umständen. Ort und Technik schrieben die grösste Einfachheit vor. Licht- effect, Ausdruck einzelner Köpfe, irgend ein raffinirtes Detail durften nie die Grundlage und Seele des Bildes ausmachen. Was nicht mit deutlichen Beziehungen und Geberden zu erreichen war, musste weg- bleiben. Der menschlich interessante Kern der Scenen, ohne irgend einen bestimmten orientalischen Bezug, musste zum idealen, für alle Zeiten und Länder gültigen und verständlichen Kunstwerk ausgebildet werden. Von der venezianischen Art, den Vorgang in eine Novelle des XVI. Jahrh. zu übersetzen, konnte hier keine Rede sein. Man halte aber die Loggienbilder neben die Umrisszeichnung eines Gior- gione, Palma oder Bonifazio dieser Art, und man wird den Gedanken- unterschied inne werden. Übrigens ist in vielen Loggienbildern die Landschaft so schön und bedeutend als bei den Venezianern, worauf hier ausdrücklich hingewiesen werden muss. (Erschaffung der Eva, Adams Feldbau, Jacob mit Rahel am Brunnen, Jacob mit Laban strei- tend, Joseph als Traumdeuter vor seinen Brüdern, Findung Mosis, u. a. m.) Die Vortrefflichkeit der einzelnen Motive entzieht sich durchaus der Beschreibung; es scheint sich Alles von selbst zu verstehen. Um den Werth jedes einzelnen Bildes ins Licht zu setzen, müsste man jedesmal nachweisen, wie andere Künstler meist mit grössern Mitteln doch nur eine geringere, weniger geistvolle Lösung zu Stande gebracht oder auch gänzlich neben das Ziel geschossen haben. Streitig für un- ser Gefühl sind nur die ersten Bilder, die der Weltschöpfung. Rafael bediente sich hier zum Ausdruck für den Schöpfer desjenigen Typus, welchen Michelangelo in der Sistina zum Leben gerufen hatte; die Kunst hatte jetzt gleichsam das Recht, die in verschiedene Acte ge- theilte Schöpfung als lauter Bewegung darzustellen. Gleich darauf beginnt die Geschichte des ersten Menschenpaares, die hier durch die Bestimmtheit des landschaftlichen Raumes einen von den Darstellungen gleichen Inhaltes in der Sistina wesentlich verschiedenen Grundton erhält. Diese vier Bilder allein offenbaren schon den grössten histori- schen Componisten, wie man beim Durchdenken ihrer Motive zugeben wird. Mit den vier Noah-Bildern beginnt ein neues patriarchalisch-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 926. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/948>, abgerufen am 05.12.2024.