zen eine Allegorie auf die Allherrschaft der Liebe, im Einzelnen aber Kinderfiguren von lebendigstem Humor und trefflichster Bewegung des Schwebens im gegebenen Raum.
Vielleicht that es Rafael über dieser Arbeit leid um die vielen andern darstellbaren Momente aus der Geschichte der Psyche, welche nur eben hier keine Stelle finden konnten, weil sie eine bestimmte Örtlichkeit und eine grössere Figurenzahl verlangten. Wie dem auch sei, er entwarf eine grössere Reihe von Scenen, deren Andenken -- leider nur nach einer spätern Redaction des Michel Coxcie -- in Sti- chen und neuern Nachstichen (u. a. in der Sammlung von Reveil) vor- handen ist 1). So einfach und harmlos als möglich wird darin die Geschichte erzählt; das Auge nimmt die göttliche Schönheit der meisten dieser Compositionen hin, als verstände sie sich ganz von selbst.
Das ist es ja überhaupt, was uns Rafael so viel näher bringt als alle andern Maler. Es giebt keine Scheidewand mehr zwischen ihm und dem Verlangen aller seither vergangenen und künftigen Jahrhun- derte. Ihm muss man am wenigsten zugeben oder mit Voraussetzun- gen zu Hülfe kommen. Er erfüllt Aufgaben, deren geistige Prämissen -- ohne seine Schuld -- uns sehr fern liegen auf eine Weise, welche
1) Von sonstigen Fresken der Schüler R.'s nach seinen Entwürfen sind in Rom *vorhanden: Wanddecorationen mit allegorischen Darstellungen in Bezug auf die Allherrschaft der Liebe, in einem unzugänglichen Raum des Vaticans (dem sog. Badezimmer des Cardinals Bibbiena); -- in ähnlicher Weise wie- derholt in einem untern Raum der Villa Spada (Mills) auf dem Palatin; -- **die Reste aus der sog. Villa di Raffaelle, jetzt in der Galerie Borghese (Alexander mit Roxane, und eine Vermählungsscene; das sog. Bersaglio de' Dei ist nach einer Composition des Michelangelo ausgeführt, vgl. S. 878, b); +-- die Planetengottheiten auf Wagen von ihren geheiligten Thieren gezogen, in den Ovalen der Decke des grossen Saales des Appartamento Borgia. -- Mehreres Andere gehört schon in der Erfindung den Schülern an; -- da- gegen gelten die Überreste aus der Villa Magliana (5 Miglien vor Porta Por- tese) als eigene Arbeiten Rafaels, theils um 1511, theils um 1517. Sie wur- den neuerlich abgesägt und, wie es heisst, verkauft.
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
zen eine Allegorie auf die Allherrschaft der Liebe, im Einzelnen aber Kinderfiguren von lebendigstem Humor und trefflichster Bewegung des Schwebens im gegebenen Raum.
Vielleicht that es Rafael über dieser Arbeit leid um die vielen andern darstellbaren Momente aus der Geschichte der Psyche, welche nur eben hier keine Stelle finden konnten, weil sie eine bestimmte Örtlichkeit und eine grössere Figurenzahl verlangten. Wie dem auch sei, er entwarf eine grössere Reihe von Scenen, deren Andenken — leider nur nach einer spätern Redaction des Michel Coxcie — in Sti- chen und neuern Nachstichen (u. a. in der Sammlung von Réveil) vor- handen ist 1). So einfach und harmlos als möglich wird darin die Geschichte erzählt; das Auge nimmt die göttliche Schönheit der meisten dieser Compositionen hin, als verstände sie sich ganz von selbst.
Das ist es ja überhaupt, was uns Rafael so viel näher bringt als alle andern Maler. Es giebt keine Scheidewand mehr zwischen ihm und dem Verlangen aller seither vergangenen und künftigen Jahrhun- derte. Ihm muss man am wenigsten zugeben oder mit Voraussetzun- gen zu Hülfe kommen. Er erfüllt Aufgaben, deren geistige Prämissen — ohne seine Schuld — uns sehr fern liegen auf eine Weise, welche
1) Von sonstigen Fresken der Schüler R.’s nach seinen Entwürfen sind in Rom *vorhanden: Wanddecorationen mit allegorischen Darstellungen in Bezug auf die Allherrschaft der Liebe, in einem unzugänglichen Raum des Vaticans (dem sog. Badezimmer des Cardinals Bibbiena); — in ähnlicher Weise wie- derholt in einem untern Raum der Villa Spada (Mills) auf dem Palatin; — **die Reste aus der sog. Villa di Raffaelle, jetzt in der Galerie Borghese (Alexander mit Roxane, und eine Vermählungsscene; das sog. Bersaglio de’ Dei ist nach einer Composition des Michelangelo ausgeführt, vgl. S. 878, b); †— die Planetengottheiten auf Wagen von ihren geheiligten Thieren gezogen, in den Ovalen der Decke des grossen Saales des Appartamento Borgia. — Mehreres Andere gehört schon in der Erfindung den Schülern an; — da- gegen gelten die Überreste aus der Villa Magliana (5 Miglien vor Porta Por- tese) als eigene Arbeiten Rafaels, theils um 1511, theils um 1517. Sie wur- den neuerlich abgesägt und, wie es heisst, verkauft.
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Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
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Kinderfiguren von lebendigstem Humor und trefflichster Bewegung des
Schwebens im gegebenen Raum.
Vielleicht that es Rafael über dieser Arbeit leid um die vielen
andern darstellbaren Momente aus der Geschichte der Psyche, welche
nur eben hier keine Stelle finden konnten, weil sie eine bestimmte
Örtlichkeit und eine grössere Figurenzahl verlangten. Wie dem auch
sei, er entwarf eine grössere Reihe von Scenen, deren Andenken —
leider nur nach einer spätern Redaction des Michel Coxcie — in Sti-
chen und neuern Nachstichen (u. a. in der Sammlung von Réveil) vor-
handen ist 1). So einfach und harmlos als möglich wird darin die
Geschichte erzählt; das Auge nimmt die göttliche Schönheit der meisten
dieser Compositionen hin, als verstände sie sich ganz von selbst.
Das ist es ja überhaupt, was uns Rafael so viel näher bringt als
alle andern Maler. Es giebt keine Scheidewand mehr zwischen ihm
und dem Verlangen aller seither vergangenen und künftigen Jahrhun-
derte. Ihm muss man am wenigsten zugeben oder mit Voraussetzun-
gen zu Hülfe kommen. Er erfüllt Aufgaben, deren geistige Prämissen
— ohne seine Schuld — uns sehr fern liegen auf eine Weise, welche
1) Von sonstigen Fresken der Schüler R.’s nach seinen Entwürfen sind in Rom
vorhanden: Wanddecorationen mit allegorischen Darstellungen in Bezug auf
die Allherrschaft der Liebe, in einem unzugänglichen Raum des Vaticans
(dem sog. Badezimmer des Cardinals Bibbiena); — in ähnlicher Weise wie-
derholt in einem untern Raum der Villa Spada (Mills) auf dem Palatin; —
die Reste aus der sog. Villa di Raffaelle, jetzt in der Galerie Borghese
(Alexander mit Roxane, und eine Vermählungsscene; das sog. Bersaglio de’
Dei ist nach einer Composition des Michelangelo ausgeführt, vgl. S. 878, b);
— die Planetengottheiten auf Wagen von ihren geheiligten Thieren gezogen,
in den Ovalen der Decke des grossen Saales des Appartamento Borgia. —
Mehreres Andere gehört schon in der Erfindung den Schülern an; — da-
gegen gelten die Überreste aus der Villa Magliana (5 Miglien vor Porta Por-
tese) als eigene Arbeiten Rafaels, theils um 1511, theils um 1517. Sie wur-
den neuerlich abgesägt und, wie es heisst, verkauft.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 934. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/956>, abgerufen am 05.12.2024.
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