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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Schüler des Giorgione. Palma vecchio.

Nicht Schüler Giorgione's, wohl aber Ausbilder und Erweiterer
dessen was er erstrebt hatte, war Jacopo Palma vecchio (geb.
1476 -- 1482), bei welchem die Existenzmalerei bereits ihre höchste
Vollendung zu erreichen scheint. Er ist wesentlich der Schöpfer jener
etwas überreich, bei ihm aber noch sehr edel und besonders zutrauen-
erweckend gebildeten weiblichen Charaktere, wie sie die spätere ve-
nezianische Schule vorzüglich liebt. Er producirte mühsam und sein
Colorit hat nicht die vollkommene Freiheit mehrerer seiner Schul-
genossen, wohl aber die vollste Gluth und Schönheit. Wo er einen
dramatischen Inhalt zu geben sucht (Acad. von Venedig: das über-a
füllte Halbfigurenbild von der Heilung des besessenen Mädchens, --
ebenda: Mariä Himmelfahrt), muss man sich an Ausführung und Ein-
zelnes halten; am besten gelang ihm noch die ruhige Scene von Em-
maus
(Pal. Pitti), wo zwar der Christus schwächlich gerathen, dieb
Wahrheit und das schöne Dasein alles Übrigen aber erstaunlich ist;
man kann nichts echt Naiveres sehen als den aufwartenden Schiffer-
jungen, der dem einen überraschten Apostel ins Gesicht sieht. -- (Ist
vielleicht die Auferstehung in S. Francesco della Vigna zu Venedig,c
2. Cap. l., von ihm?). -- Sein Hauptwerk ist die Gestalt der heil.
Barbara
(mit unbedeutendern Seitenbildern) in S. Maria formosa zud
Venedig, 1. Alt. r., der Kopf von einer wahrhaft centralen venez.
Schönheit, das Ganze mit der höchsten Gewalt und Wissenschaft der
Farbe und Modellirung vollendet. Allein der unentschiedene Schritt,
der unplastische Wurf des Gewandes, die überzierliche Kleinheit der
Hand welche die Palme hält -- diess Alles verhindert, dass dem Be-
schauer dabei rafaelisch zu Muthe wird. -- Von grössern Altarbildern
ist mir in Venedig nur das ganz verdorbene in S. Zaccaria bekannte
(an einer Wand d. 1. Nebencap. r.), eine thronende Madonna mit Hei-
ligen, kenntlich an dem im Profil sitzenden Geigenengel, ehemals sehr
schön. -- Die übrigen "Sante Conversazioni" sind theils Halbfiguren-
bilder, theils Breitbilder mit knieenden und sitzenden Figuren, für die
Hausandacht. Immer derselbe Klang, hier einfacher, dort reicher;
hier auf einer höhern, dort auf einer tiefern Gamme von Farben; hier
mit schlichtem, dort mit prächtigem landschaftlichem Hintergrund; die
Madonna in der Mitte gerne unter dem Schatten eines Baumes. Die
köstlichsten Bilder dieser Art: Pal. Manfrin; -- Pal. Borghese in Rom;f

Schüler des Giorgione. Palma vecchio.

Nicht Schüler Giorgione’s, wohl aber Ausbilder und Erweiterer
dessen was er erstrebt hatte, war Jacopo Palma vecchio (geb.
1476 — 1482), bei welchem die Existenzmalerei bereits ihre höchste
Vollendung zu erreichen scheint. Er ist wesentlich der Schöpfer jener
etwas überreich, bei ihm aber noch sehr edel und besonders zutrauen-
erweckend gebildeten weiblichen Charaktere, wie sie die spätere ve-
nezianische Schule vorzüglich liebt. Er producirte mühsam und sein
Colorit hat nicht die vollkommene Freiheit mehrerer seiner Schul-
genossen, wohl aber die vollste Gluth und Schönheit. Wo er einen
dramatischen Inhalt zu geben sucht (Acad. von Venedig: das über-a
füllte Halbfigurenbild von der Heilung des besessenen Mädchens, —
ebenda: Mariä Himmelfahrt), muss man sich an Ausführung und Ein-
zelnes halten; am besten gelang ihm noch die ruhige Scene von Em-
maus
(Pal. Pitti), wo zwar der Christus schwächlich gerathen, dieb
Wahrheit und das schöne Dasein alles Übrigen aber erstaunlich ist;
man kann nichts echt Naiveres sehen als den aufwartenden Schiffer-
jungen, der dem einen überraschten Apostel ins Gesicht sieht. — (Ist
vielleicht die Auferstehung in S. Francesco della Vigna zu Venedig,c
2. Cap. l., von ihm?). — Sein Hauptwerk ist die Gestalt der heil.
Barbara
(mit unbedeutendern Seitenbildern) in S. Maria formosa zud
Venedig, 1. Alt. r., der Kopf von einer wahrhaft centralen venez.
Schönheit, das Ganze mit der höchsten Gewalt und Wissenschaft der
Farbe und Modellirung vollendet. Allein der unentschiedene Schritt,
der unplastische Wurf des Gewandes, die überzierliche Kleinheit der
Hand welche die Palme hält — diess Alles verhindert, dass dem Be-
schauer dabei rafaelisch zu Muthe wird. — Von grössern Altarbildern
ist mir in Venedig nur das ganz verdorbene in S. Zaccaria bekannte
(an einer Wand d. 1. Nebencap. r.), eine thronende Madonna mit Hei-
ligen, kenntlich an dem im Profil sitzenden Geigenengel, ehemals sehr
schön. — Die übrigen „Sante Conversazioni“ sind theils Halbfiguren-
bilder, theils Breitbilder mit knieenden und sitzenden Figuren, für die
Hausandacht. Immer derselbe Klang, hier einfacher, dort reicher;
hier auf einer höhern, dort auf einer tiefern Gamme von Farben; hier
mit schlichtem, dort mit prächtigem landschaftlichem Hintergrund; die
Madonna in der Mitte gerne unter dem Schatten eines Baumes. Die
köstlichsten Bilder dieser Art: Pal. Manfrin; — Pal. Borghese in Rom;f

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[965/0987] Schüler des Giorgione. Palma vecchio. Nicht Schüler Giorgione’s, wohl aber Ausbilder und Erweiterer dessen was er erstrebt hatte, war Jacopo Palma vecchio (geb. 1476 — 1482), bei welchem die Existenzmalerei bereits ihre höchste Vollendung zu erreichen scheint. Er ist wesentlich der Schöpfer jener etwas überreich, bei ihm aber noch sehr edel und besonders zutrauen- erweckend gebildeten weiblichen Charaktere, wie sie die spätere ve- nezianische Schule vorzüglich liebt. Er producirte mühsam und sein Colorit hat nicht die vollkommene Freiheit mehrerer seiner Schul- genossen, wohl aber die vollste Gluth und Schönheit. Wo er einen dramatischen Inhalt zu geben sucht (Acad. von Venedig: das über- füllte Halbfigurenbild von der Heilung des besessenen Mädchens, — ebenda: Mariä Himmelfahrt), muss man sich an Ausführung und Ein- zelnes halten; am besten gelang ihm noch die ruhige Scene von Em- maus (Pal. Pitti), wo zwar der Christus schwächlich gerathen, die Wahrheit und das schöne Dasein alles Übrigen aber erstaunlich ist; man kann nichts echt Naiveres sehen als den aufwartenden Schiffer- jungen, der dem einen überraschten Apostel ins Gesicht sieht. — (Ist vielleicht die Auferstehung in S. Francesco della Vigna zu Venedig, 2. Cap. l., von ihm?). — Sein Hauptwerk ist die Gestalt der heil. Barbara (mit unbedeutendern Seitenbildern) in S. Maria formosa zu Venedig, 1. Alt. r., der Kopf von einer wahrhaft centralen venez. Schönheit, das Ganze mit der höchsten Gewalt und Wissenschaft der Farbe und Modellirung vollendet. Allein der unentschiedene Schritt, der unplastische Wurf des Gewandes, die überzierliche Kleinheit der Hand welche die Palme hält — diess Alles verhindert, dass dem Be- schauer dabei rafaelisch zu Muthe wird. — Von grössern Altarbildern ist mir in Venedig nur das ganz verdorbene in S. Zaccaria bekannt (an einer Wand d. 1. Nebencap. r.), eine thronende Madonna mit Hei- ligen, kenntlich an dem im Profil sitzenden Geigenengel, ehemals sehr schön. — Die übrigen „Sante Conversazioni“ sind theils Halbfiguren- bilder, theils Breitbilder mit knieenden und sitzenden Figuren, für die Hausandacht. Immer derselbe Klang, hier einfacher, dort reicher; hier auf einer höhern, dort auf einer tiefern Gamme von Farben; hier mit schlichtem, dort mit prächtigem landschaftlichem Hintergrund; die Madonna in der Mitte gerne unter dem Schatten eines Baumes. Die köstlichsten Bilder dieser Art: Pal. Manfrin; — Pal. Borghese in Rom; a b c d e f

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 965. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/987>, abgerufen am 05.12.2024.