stanz also, die auf Grund eines Vertrages gegen diejenigen ein- schreiten würde, die sich diese vertragliche Kontrolle auferlegt haben.
Wenn z. B. zwei Staaten übereinkämen, daß unter ihnen nur öffentlich kundgemachte Verträge gültig sein sollen oder nur solche Verträge, welche ihre Unabhängigkeit nicht schmälern, und diese beiden Staaten später einen solchen der Unabhängigkeit abträglichen oder einen geheimen Vertrag schlössen, könnten sie sich, einer dem anderen, die Ungültigkeit dieses zweiten Vertrages entgegenhalten? Unmöglich: denn entweder wollten sie im zweiten Vertrag die Verpflichtung für den Fall der Gefährdung der Unabhängigkeit nicht gelten lassen oder die Wirksamkeit des Vertrags von der Veröffentlichung abhängig machen, dann widerspricht der zweite Vertrag dem ersten nicht und jene Ein- schränkungen kommen nicht zur Anwendung; oder sie wollten in der Tat über die Einschränkungen des ersten Vertrages hin- weggehen, dann ist der erste insofern geändert. Denn, was sie im ersten abgemacht haben, können sie im zweiten wieder aufheben. (Oder: wenn die Staaten vor dem ersten befugt waren, Ver- träge der zweiten Art abzuschließen, wenn sie also unbeschränkte Vertragsfreiheit hatten, wie konnten sie sich dieser ihrer Freiheit begeben, ohne einen unzulässigen Vertrag zu schließen? Das Verbot, die Unabhängigkeit einzuschränken, ist rechtlich eine ebenso große Beschränkung der Freiheit wie die Einschränkung der Unabhängigkeit selbst; denn es bezieht sich genau auf den- selben Gegenstand wie diese.) Angenommen nun, es hätte sich drei Staaten zu einer solchen vertraglichen Kontrolle verständigt, z. B. dahin, daß sie Verträge, die gewisse Interessen des Arbeiter- schutzes, des Handels oder der äußeren Sicherheit verletzen könnten, nicht abschließen sollen, und zwei von ihnen verstoßen gegen diese Abrede, indem sie einem Vertrag der verbotenen Art unter sich abschließen, so könnten diese beiden letzteren Staaten selbst sich nicht gegenseitig den ersten Vertrag entgegenhalten, sowenig wie vorhin. Der Dritte wird es tun können, sofern er ein Interesse daran hat, aber dann tut er es ja selbst in Ausübung eines vertraglichen Rechtes und nicht einer gesetzlichen Pflicht des objektiven Rechts; er tut es als Inhaber eines subjektiven Rechtes, auf das er verzichten kann und das beiseite geschoben
Das Völkerrecht.
stanz also, die auf Grund eines Vertrages gegen diejenigen ein- schreiten würde, die sich diese vertragliche Kontrolle auferlegt haben.
Wenn z. B. zwei Staaten übereinkämen, daß unter ihnen nur öffentlich kundgemachte Verträge gültig sein sollen oder nur solche Verträge, welche ihre Unabhängigkeit nicht schmälern, und diese beiden Staaten später einen solchen der Unabhängigkeit abträglichen oder einen geheimen Vertrag schlössen, könnten sie sich, einer dem anderen, die Ungültigkeit dieses zweiten Vertrages entgegenhalten? Unmöglich: denn entweder wollten sie im zweiten Vertrag die Verpflichtung für den Fall der Gefährdung der Unabhängigkeit nicht gelten lassen oder die Wirksamkeit des Vertrags von der Veröffentlichung abhängig machen, dann widerspricht der zweite Vertrag dem ersten nicht und jene Ein- schränkungen kommen nicht zur Anwendung; oder sie wollten in der Tat über die Einschränkungen des ersten Vertrages hin- weggehen, dann ist der erste insofern geändert. Denn, was sie im ersten abgemacht haben, können sie im zweiten wieder aufheben. (Oder: wenn die Staaten vor dem ersten befugt waren, Ver- träge der zweiten Art abzuschließen, wenn sie also unbeschränkte Vertragsfreiheit hatten, wie konnten sie sich dieser ihrer Freiheit begeben, ohne einen unzulässigen Vertrag zu schließen? Das Verbot, die Unabhängigkeit einzuschränken, ist rechtlich eine ebenso große Beschränkung der Freiheit wie die Einschränkung der Unabhängigkeit selbst; denn es bezieht sich genau auf den- selben Gegenstand wie diese.) Angenommen nun, es hätte sich drei Staaten zu einer solchen vertraglichen Kontrolle verständigt, z. B. dahin, daß sie Verträge, die gewisse Interessen des Arbeiter- schutzes, des Handels oder der äußeren Sicherheit verletzen könnten, nicht abschließen sollen, und zwei von ihnen verstoßen gegen diese Abrede, indem sie einem Vertrag der verbotenen Art unter sich abschließen, so könnten diese beiden letzteren Staaten selbst sich nicht gegenseitig den ersten Vertrag entgegenhalten, sowenig wie vorhin. Der Dritte wird es tun können, sofern er ein Interesse daran hat, aber dann tut er es ja selbst in Ausübung eines vertraglichen Rechtes und nicht einer gesetzlichen Pflicht des objektiven Rechts; er tut es als Inhaber eines subjektiven Rechtes, auf das er verzichten kann und das beiseite geschoben
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[389/0404]
Das Völkerrecht.
stanz also, die auf Grund eines Vertrages gegen diejenigen ein-
schreiten würde, die sich diese vertragliche Kontrolle auferlegt
haben.
Wenn z. B. zwei Staaten übereinkämen, daß unter ihnen nur
öffentlich kundgemachte Verträge gültig sein sollen oder nur
solche Verträge, welche ihre Unabhängigkeit nicht schmälern,
und diese beiden Staaten später einen solchen der Unabhängigkeit
abträglichen oder einen geheimen Vertrag schlössen, könnten sie
sich, einer dem anderen, die Ungültigkeit dieses zweiten Vertrages
entgegenhalten? Unmöglich: denn entweder wollten sie im
zweiten Vertrag die Verpflichtung für den Fall der Gefährdung
der Unabhängigkeit nicht gelten lassen oder die Wirksamkeit
des Vertrags von der Veröffentlichung abhängig machen, dann
widerspricht der zweite Vertrag dem ersten nicht und jene Ein-
schränkungen kommen nicht zur Anwendung; oder sie wollten
in der Tat über die Einschränkungen des ersten Vertrages hin-
weggehen, dann ist der erste insofern geändert. Denn, was sie
im ersten abgemacht haben, können sie im zweiten wieder aufheben.
(Oder: wenn die Staaten vor dem ersten befugt waren, Ver-
träge der zweiten Art abzuschließen, wenn sie also unbeschränkte
Vertragsfreiheit hatten, wie konnten sie sich dieser ihrer Freiheit
begeben, ohne einen unzulässigen Vertrag zu schließen? Das
Verbot, die Unabhängigkeit einzuschränken, ist rechtlich eine
ebenso große Beschränkung der Freiheit wie die Einschränkung
der Unabhängigkeit selbst; denn es bezieht sich genau auf den-
selben Gegenstand wie diese.) Angenommen nun, es hätte sich
drei Staaten zu einer solchen vertraglichen Kontrolle verständigt,
z. B. dahin, daß sie Verträge, die gewisse Interessen des Arbeiter-
schutzes, des Handels oder der äußeren Sicherheit verletzen
könnten, nicht abschließen sollen, und zwei von ihnen verstoßen
gegen diese Abrede, indem sie einem Vertrag der verbotenen Art
unter sich abschließen, so könnten diese beiden letzteren Staaten
selbst sich nicht gegenseitig den ersten Vertrag entgegenhalten,
sowenig wie vorhin. Der Dritte wird es tun können, sofern er ein
Interesse daran hat, aber dann tut er es ja selbst in Ausübung
eines vertraglichen Rechtes und nicht einer gesetzlichen Pflicht
des objektiven Rechts; er tut es als Inhaber eines subjektiven
Rechtes, auf das er verzichten kann und das beiseite geschoben
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/404>, abgerufen am 21.11.2024.
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