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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
werden kann, sobald er damit einverstanden ist, und nicht als
verantwortlicher Hüter eines absolut geltenden und unbedingt
auszuführenden Rechtssatzes, der durch keine Parteiabreden
außer Wirksamkeit gesetzt werden kann1. Was vermöge zwin-
genden Rechtssatzes ungültig sein soll, kann doch nicht durch
Vertrag ungültig gemacht werden, denn dann würde es ja gültig
durch die Zustimmung aller Vertragsparteien, was die Negation
des zwingenden, öffentlich-rechtlichen Charakters ist. -- Und
eben deshalb kann es auch bei einem vielgliedrigen Vertrag nicht
anders sein, z. B. beim Völkerbund. Auch die Vorschrift, daß
internationale Verträge nicht verbindlich sein sollen, bevor sie
registriert sind (Art. 18) ist nur eine vertragliche Abmachung.
Was vertraglich vorgeschrieben ist, gilt solange es von den Par-
teien (den Rechtsunterworfenen selbst) geltend gemacht wird,
und das ist das Gegenteil einer zwingenden Vorschrift2.

1 Allerdings kann auch die Partei eines Privatvertrages auf die Geltend-
machung der Ungültigkeit einer eingegangenen Verpflichtung "verzichten",
in dem Sinne, daß sie diese Ungültigkeit tatsächlich nicht geltend macht
und den Vertrag erfüllt; aber sie kann nicht, weder zum voraus noch nach-
träglich, die ungültige Vertragspflicht gültig machen, und wenn der Richter
über diese Pflicht, den Vertrag zu erfüllen, zu entscheiden hat, bleibt für
ihn die Zustimmung der Partei ganz bedeutungslos. Vgl. Burckhardt,
Der Vertrag 83. Im Völkerrecht dagegen können unter zwei Staaten ab-
geschlossene besondere Verträge, die einem allgemeineren Vertrage wider-
sprechen, ohne Rechtswidrigkeit erfüllt werden, sobald die Parteien dieses
allgemeinen Vertrages zustimmen, oder besser gesagt: der besondere Vertrag
ist gültig und begründet inter partes eine gültige Verbindlichkeit; indem
die Parteien ihn erfüllen, machen sie sich allerdings Dritten gegenüber haft-
bar; aber das ist nur ein Konflikt subjektiver, relativer Rechte, nicht ein
Konflikt zwischen Rechtsgeschäft und Gesetz.
2 Es sei denn, man betrachte den Völkerbundspakt nicht als Vertrag,
sondern als eine Art Verfassung, was bereits oben S. 385 zurückgewiesen
worden ist. Dann allerdings könnten keine dem Pakt widersprechenden
Verträge gültig geschlossen werden, so wenig wie gesetzwidrige Verträge
gültig sind. Aber dann könnte das Recht des Paktes auch nicht durch
Vertrag weitergebildet werden, wie es z. B. das Genfer Protokoll vom
2. Oktober 1924 wollte. Vgl. die Erklärung von Austen Chamberlain im
Völkerbundsrat (März 1925. Dok. A. 25, 1925, IX). Wenn es keine zwingen-
den Normen des Völkerrechts gibt, sind allerdings auch die Vorschriften
des Paktes über die Revision des Paktes selbst nicht zwingend; wenn alle
Staaten einverstanden sind, können sie den Völkerbundspakt auch auf an-
derem Wege abändern; wer wollte es ihnen verbieten? Die Verbindlichkeit

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
werden kann, sobald er damit einverstanden ist, und nicht als
verantwortlicher Hüter eines absolut geltenden und unbedingt
auszuführenden Rechtssatzes, der durch keine Parteiabreden
außer Wirksamkeit gesetzt werden kann1. Was vermöge zwin-
genden Rechtssatzes ungültig sein soll, kann doch nicht durch
Vertrag ungültig gemacht werden, denn dann würde es ja gültig
durch die Zustimmung aller Vertragsparteien, was die Negation
des zwingenden, öffentlich-rechtlichen Charakters ist. — Und
eben deshalb kann es auch bei einem vielgliedrigen Vertrag nicht
anders sein, z. B. beim Völkerbund. Auch die Vorschrift, daß
internationale Verträge nicht verbindlich sein sollen, bevor sie
registriert sind (Art. 18) ist nur eine vertragliche Abmachung.
Was vertraglich vorgeschrieben ist, gilt solange es von den Par-
teien (den Rechtsunterworfenen selbst) geltend gemacht wird,
und das ist das Gegenteil einer zwingenden Vorschrift2.

1 Allerdings kann auch die Partei eines Privatvertrages auf die Geltend-
machung der Ungültigkeit einer eingegangenen Verpflichtung „verzichten“,
in dem Sinne, daß sie diese Ungültigkeit tatsächlich nicht geltend macht
und den Vertrag erfüllt; aber sie kann nicht, weder zum voraus noch nach-
träglich, die ungültige Vertragspflicht gültig machen, und wenn der Richter
über diese Pflicht, den Vertrag zu erfüllen, zu entscheiden hat, bleibt für
ihn die Zustimmung der Partei ganz bedeutungslos. Vgl. Burckhardt,
Der Vertrag 83. Im Völkerrecht dagegen können unter zwei Staaten ab-
geschlossene besondere Verträge, die einem allgemeineren Vertrage wider-
sprechen, ohne Rechtswidrigkeit erfüllt werden, sobald die Parteien dieses
allgemeinen Vertrages zustimmen, oder besser gesagt: der besondere Vertrag
ist gültig und begründet inter partes eine gültige Verbindlichkeit; indem
die Parteien ihn erfüllen, machen sie sich allerdings Dritten gegenüber haft-
bar; aber das ist nur ein Konflikt subjektiver, relativer Rechte, nicht ein
Konflikt zwischen Rechtsgeschäft und Gesetz.
2 Es sei denn, man betrachte den Völkerbundspakt nicht als Vertrag,
sondern als eine Art Verfassung, was bereits oben S. 385 zurückgewiesen
worden ist. Dann allerdings könnten keine dem Pakt widersprechenden
Verträge gültig geschlossen werden, so wenig wie gesetzwidrige Verträge
gültig sind. Aber dann könnte das Recht des Paktes auch nicht durch
Vertrag weitergebildet werden, wie es z. B. das Genfer Protokoll vom
2. Oktober 1924 wollte. Vgl. die Erklärung von Austen Chamberlain im
Völkerbundsrat (März 1925. Dok. A. 25, 1925, IX). Wenn es keine zwingen-
den Normen des Völkerrechts gibt, sind allerdings auch die Vorschriften
des Paktes über die Revision des Paktes selbst nicht zwingend; wenn alle
Staaten einverstanden sind, können sie den Völkerbundspakt auch auf an-
derem Wege abändern; wer wollte es ihnen verbieten? Die Verbindlichkeit
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[390/0405] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. werden kann, sobald er damit einverstanden ist, und nicht als verantwortlicher Hüter eines absolut geltenden und unbedingt auszuführenden Rechtssatzes, der durch keine Parteiabreden außer Wirksamkeit gesetzt werden kann 1. Was vermöge zwin- genden Rechtssatzes ungültig sein soll, kann doch nicht durch Vertrag ungültig gemacht werden, denn dann würde es ja gültig durch die Zustimmung aller Vertragsparteien, was die Negation des zwingenden, öffentlich-rechtlichen Charakters ist. — Und eben deshalb kann es auch bei einem vielgliedrigen Vertrag nicht anders sein, z. B. beim Völkerbund. Auch die Vorschrift, daß internationale Verträge nicht verbindlich sein sollen, bevor sie registriert sind (Art. 18) ist nur eine vertragliche Abmachung. Was vertraglich vorgeschrieben ist, gilt solange es von den Par- teien (den Rechtsunterworfenen selbst) geltend gemacht wird, und das ist das Gegenteil einer zwingenden Vorschrift 2. 1 Allerdings kann auch die Partei eines Privatvertrages auf die Geltend- machung der Ungültigkeit einer eingegangenen Verpflichtung „verzichten“, in dem Sinne, daß sie diese Ungültigkeit tatsächlich nicht geltend macht und den Vertrag erfüllt; aber sie kann nicht, weder zum voraus noch nach- träglich, die ungültige Vertragspflicht gültig machen, und wenn der Richter über diese Pflicht, den Vertrag zu erfüllen, zu entscheiden hat, bleibt für ihn die Zustimmung der Partei ganz bedeutungslos. Vgl. Burckhardt, Der Vertrag 83. Im Völkerrecht dagegen können unter zwei Staaten ab- geschlossene besondere Verträge, die einem allgemeineren Vertrage wider- sprechen, ohne Rechtswidrigkeit erfüllt werden, sobald die Parteien dieses allgemeinen Vertrages zustimmen, oder besser gesagt: der besondere Vertrag ist gültig und begründet inter partes eine gültige Verbindlichkeit; indem die Parteien ihn erfüllen, machen sie sich allerdings Dritten gegenüber haft- bar; aber das ist nur ein Konflikt subjektiver, relativer Rechte, nicht ein Konflikt zwischen Rechtsgeschäft und Gesetz. 2 Es sei denn, man betrachte den Völkerbundspakt nicht als Vertrag, sondern als eine Art Verfassung, was bereits oben S. 385 zurückgewiesen worden ist. Dann allerdings könnten keine dem Pakt widersprechenden Verträge gültig geschlossen werden, so wenig wie gesetzwidrige Verträge gültig sind. Aber dann könnte das Recht des Paktes auch nicht durch Vertrag weitergebildet werden, wie es z. B. das Genfer Protokoll vom 2. Oktober 1924 wollte. Vgl. die Erklärung von Austen Chamberlain im Völkerbundsrat (März 1925. Dok. A. 25, 1925, IX). Wenn es keine zwingen- den Normen des Völkerrechts gibt, sind allerdings auch die Vorschriften des Paktes über die Revision des Paktes selbst nicht zwingend; wenn alle Staaten einverstanden sind, können sie den Völkerbundspakt auch auf an- derem Wege abändern; wer wollte es ihnen verbieten? Die Verbindlichkeit

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/405>, abgerufen am 21.11.2024.